„Es geht gar nicht um Sinti und Roma. Es geht um Menschen.“ Oswald Marschall
Kurzbericht zur Podiumsdiskussion in der Auslandsgesellschaft Dortmund:
Sinti und Roma sind als nationale Minderheit anerkannt. Gleiche Herkunft. Romanes als Sprache. Viele betrachten sich als Deutsche. Vielzahl von Untergruppen.
Geschichte: geschätzte 500.000 Holocaustopfer immer noch zu selten erwähnt und zu wenig geschichtlich aufgearbeitet, Wiedergutmachung sehr spät, bzw. kaum noch möglich, da viele Betroffene schon verstorben waren, als mit Entschädigungszahlungen begonnen wurden.
Nach dem Krieg in Deutschland fast ausgelöscht. Relevanz auch nach all dieser Zeit, weil viel der mündlichen Überlieferung durch den Tod vieler Menschen unter dem Nationalsozialismus verloren gegangen ist.
Ziel der Roma-Jugendorganisation, die Merfin Demir vorstellt:
Gleichberechtigte Teilhabe junger Roma,
Identitätsfindung, Selbstwertgefühl vor dem Hintergrund der Alltagsdiskriminierung stärken, auch wegen der negativen Medienberichte.
Oswald Marschall beschreibt seine Arbeit in einem von ihm gegründeten Boxverein. Die taz hat zum Beispiel darüber berichtet:
Umgang der Menschen im Alltag von Diskriminierung und Vorurteilen geprägt. Viele Sinti und Roma bekennen sich deshalb aus Angst nicht zu ihrer Zugehörigkeit, berichtet Frau Lagrene.
Große Anzahl wird nicht als Roma oder Sinti wahrgenommen und outet sich entsprechend nicht.
Sinti und Roma sind eine heterogene Minderheit. Für viele Familien spielt die Traumatisierung in der Nazizeit immer noch eine Rolle, beispielsweise in der Ablehnung von Schule, weil diese damals als verlängerter Arm des Nationalsozialismus erfahren wurde. Roma leiden zudem in unterschiedlichen südosteuropäischen Ländern unter institutioneller Diskriminierung, so würden zum Beispiel Kinder im Regelfall ohne Grund als Sonderschüler*innen eingestuft. Es gibt weiterhin Ghettostrukturen in mehreren Ländern und damit verbunden zweitklassige Schulen plus Folgeprobleme.
„Nicht der Armen Schlechtigkeit / Hast du mir gezeigt, sondern / Der Armen Armut.“ (Brecht: die heilige Johanna der Schlachthöfe)
Situation aktuell:
Menschen leben unter fürchterlichen Bedingungen in Ursprungsländern, kommen hier mitunter in Häusern unter, die überbelegt werden, Schulden führen dann dazu, dass die Menschen quasi zu Niedrigstlöhnen oft ohne jeden Arbeitsschutz oder sonstige arbeitnehmerrechtlichen Mindeststandarts arbeiten (ein Problem, was fast gänzlich auf Migrant*innen zutrifft, zumeist jene die ohne hohe Qualifikationen nach Deutschland kommen)
Aber es gibt auch sehr viele Fachkräfte, die zuwandern nach Deutschland.
Sichtbarkeit in den Medien aber vor allem durch Müllberge wie „In den Peschen“.
(20 Prozent der Zuwander*innen sind hochqualifiziert. In der deutschen Bevölkerung sind das durchschnittlich 18 Prozent. Quelle: Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration)
Weiterhin gibt es durchaus viele Sinti und Roma, die der Diskriminierung im eigenen Land entkommen möchten.
Größerer Kontext: Europäische Binnenmigration im Rahmen der Finanzkrise
Bankenrettung möglich, aber sozialen Fragen in Europa sind ungelöst!
Problem der wenig differenzierten Medienberichterstattung führt zu Fortschreibung und Manifestation von Vorurteilen.
Problem der Verteilung von Europäischen Geldern: Teilweise Korruption, aber auch der Wunsch in Herkunftsländern, Sinti und Roma loszuwerden. Vorgesehene Finanzmittel kommen selten bei Bedürftigen selber an.
Gegen Ende dann aus der Reihe „Das wird man doch noch sagen dürfen“ berichtet jemand aus Duisburg von den Anwohner*innen um „In den Peschen“ über ständige Diebstähle, Einbrüche, Messerstechereien etc. und von „autonomen, linksextremistischen Gewalttätern“ im Rahmen der Nachtwachen. Die Darstellung wirkt wenig differenziert (um es mal vorsichtig auszudrücken) bis hin zu offen antiziganistischen Äußerungen. Es wird vom „rechtsfreien Raum“ geredet.
(Ich war an der Stelle unsicher, ob ich dazu was sagen soll. Ich habe mich entschieden, mich nicht zu melden, weil ich den verbliebenen zeitlichen Raum eher von den Expert*innen genutzt sehen wollte, statt diesem Menschen noch mehr Podium zu bieten. Richtig gut hat sich das trotzdem nicht angefühlt, weil ihm zu wenig entgegengesetzt wurde.)
Was kann man tun?
Vorurteile noch sehr stark in unserer Sprache (in ganz Europa!) verankert (Beispiel eines Märchens aus 2011, aber eben auch in den Medien)
Positive Beispiele: Aktion in der Düsseldorfer Altstadt dazu, dass die Minderheiten zwar die Mehrheitsgesellschaft sehen, sie aber von der Gesellschaft nicht differenziert wahrgenommen werden.
Nicht an Politiker*innen oder Vereine Verantwortung abgeben, sondern selber auf Menschen zugehen, sich selbst hinterfragen, Alltagsdiskriminierung im eigenen Umfeld ansprechen und bekämpfen.
„Gott hat keine Nationalitäten gemacht.“ Ilona Lagrene
Fazit:
Sehr gute Moderation durch Bastian Pütter, spannende Podiumsgäste mit sehr interessanten Beiträgen, zum Teil sehr von Vorurteilen oder Unwissen geprägte Publikumsfragen/-aussagen (und weiße, privilegierte Männer, die sich gerne selber reden hören…)