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Freiräume erkämpfen

„Ohne Liebe in mir werde ich Teil des Systems werden.“

Wir erinnern uns. Im letzten August war da in Dortmund eine ehemalige Kirche kurzzeitig besetzt

Der Traum vom sozialen Zentrum Avanti platzte aber nach nur wenigen Tagen durch die Räumung der Polizei. Die Kirche steht -trotz gegenteiliger Ankündigungen- immer noch leer herum und verfällt. Da wäre also bei entsprechendem politischen Willen eine Zwischennutzung bis zum Abriss leicht möglich gewesen. 

Aktuell läuft nun in Dortmund eine Freiraumwoche mit wiederum beeindruckendem Programm.

Gestern Abend beispielsweise war ein Vortrag über die Besetzungen damals in Dortmund, zum Beispiel den Heidehof.

Interessant bei den Diskussionen mit ehemaligen Besetzer*innen von damals und jungen Menschen heute: Die Bedürfnisse empfinde ich als ähnlich. Aber auch die im Film gezeigten Gegenargumente sind es. Die „Wir verhandeln nicht mit Besetzer*innen“-Attitüde. Die Reaktionen mit Räumungen durch Polizeikräfte. 

Ich verstehe und teile den Wunsch nach selbstverwalteten Räume und Strukturen. Ich möchte Schulen, die Menschen in Freiheit lernen lassen. Ohne Noten. Ohne Selektion. Mit Bibliotheken für alle Menschen. Kurse unterschiedlichster Art, in denen Menschen gegenseitig unterschiedlichste Fähigkeiten weitervermitteln. Kollektivbetriebe, die Arbeiten ohne Hierarchien ermöglichen. Wohnen in achtsamer Umgebung. Mit Menschen, die einander sein lassen und leben lassen und die respektvoll miteinander umgehen.

Nein. Ich weiß immer noch nicht, ob das für eine ganze Gesellschaft funktioniert. Aber wir können es im Kleinen versuchen. Und natürlich gibt spannende Literatur über Anarchie. Wer also weiterlesen mag, zum Beispiel hier.

Derletzt war ich in Rojava. Viel zu kurz, um deren Bemühungen und Initiativen beurteilen zu können. Unser Übersetzer sagte: „Vielleicht haben wir irgendwann mehr Demokratie als Deutschland.“

Zumindest klingt vieles spannend: Selbstverwaltung von Kommunen als Grundprinzip. Kollektive. Wahlen angestrebt für politische Repräsentanten. Immer eine weibliche Repräsentantin und ein männlicher Repräsentant. Frauenquoten. Gesetze werden von Fachleuten gemacht. Kommunen/Kollektive etc. können Finanzmittel/Land bei der Regierung beantragen. Viel Wert auf Bildung. Learning by doing. Es ist nicht unbedingt anarchistisch, aber vielleicht können wir daraus über Selbstverwaltung lernen.

Und was machen wir hier? Uns abschotten mit Verschärfungen des Asylrechts. Mit ordnungspolitischen Maßnahmen gegen jene, die anders leben wollen. Mit mehr Gesetzen. Mit mehr Repression. Mit Hartz IV und wieder mehr Gegängel.

Wir zerstören Menschen. Manche tun dies wissentlich. Manche durch Ignoranz (dazu zähle ich auch die, die Gewalt ausschließlich über brennende Polizeiautos definieren und die subtilen Formen der alltäglichen Gewalt ausblenden). Manche mit der Intention der Kontrolle über andere. Manche zur eigenen Bereicherung. Manche aus der Arroganz heraus, Menschen bräuchten Führung, von oben diktierte Regelungen. 

Was, wenn dem nicht so ist? 

Ich sehe es als Möglichkeit, mehr Freiräume zu erschaffen, um Menschen zu ermächtigen, selbstverantwortet über ihr Leben, Lernen, Lieben und Arbeiten entscheiden zu können. Damit tut sich der Staat aber schwer, denn selbstverwaltete Räume entziehen sich der Kontrolle. Manche Menschen möchten sich aber immer und immer wieder nicht damit abfinden. Man erkennt es in den alten und immer wiederkehrenden Hausbesetzungen. In den Kämpfen um alternative Lebensmöglichkeiten. In der Abkehr von kapitalistischen und auf Konkurrenz basierenden Denkmustern. 

Aber was leider am besten funktioniert als Kontrollinstrument über Menschen und Initiativen: Geld. Als der Faktor für Macht schlechthin.

Fehlende finanzielle Mittel verhindern den legalen Erwerb von Produktion, von Lebensräumen, halten Initiativen klein und Menschen in unbefriedigender Lohnarbeit gefangen und mitunter sinnfrei beschäftigt, verhindern Selbstorganisation von Refugees usw. Alternativen wie das Containern von Lebensmitteln werden kriminalisiert. Und wir, die wir vielleicht anders leben wollen und auch auch gar nicht so ganz wenige sind, haben es auch noch nicht geschafft, unsere finanziellen Mittel geschickter einzusetzen. Modelle für solidarisches Wirtschaften im Kleinen und Großen zu schaffen. 

Aber unsere Träume und Hoffnungen lassen sich nicht einsperren. Ich habe nicht für alles eine Lösung, nicht mal für mich und mein Leben, nicht mal in der Theorie, aber mir macht es zumindest Mut, dass die Initiativen vom Avanti und auch anderswo Menschen zusammenführt. Danke dafür.



„Verlern es, Dich zu fügen…“

(Erich Mühsam)

Derletzt ergab sich via Twitter eine Diskussion über Anarchismus/Anarchie. Ich versuche mal, das ein wenig zusammenzufassen.

Aufhänger der Diskussion war unter anderem dieser Text:

„Sind Sie Anarchist?“

Im Laufe der Diskussion twitterte ich (wohl etwas zynisch):

„Die Anarchie ist leider daran gescheitert, weil niemand das Klo putzen wollte.“

(weil als Gegenargument eingebracht wurde, dass Anarchie schon im Kleinen, also in einer Wohngemeinschaft beim Aufräumen der Wohnung nicht funktionieren würde. Wer putzt freiwillig die Küche? Das Klo? Immer? Oder nur manchmal? Wie gut funktioniert der Putzplan? Woran scheitert es? (Unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich der möglichen oder nötigen Hygiene?))

Sagen wir also mal rein theoretisch, wir lösen das Problem in der WG basisdemokratisch:
Skaliert das? Klappt das, wenn es im Kleinen klappt, auch im Großen? In einem Dorf? In einer Stadt? In einem Land? Und weil ich ja eigentlich Lehrerin bin: Ist zum Beispiel Schule in Anarchie denkbar?

Es geht um Selbstorganisation, um Selbstbestimmung.
Sind „shared spaces“ (also durchaus erfolgreiche Konzepte im öffentlichen Raum zur gemeinsamen Nutzung von Straßen etc. ohne Vorschreiben von Regeln) schon Anarchie?

Es geht um echte Demokratie. Nicht nur alle vier/fünf Jahre mit dem Weg zur Wahlurne, sondern um Demokratie, in der gemeinsam, gemeinschaftlich die Mitmenschen im Kleinen und im Großen an Entscheidungen beteiligt. An allen Entscheidungen? Wollen Menschen das überhaupt? Ist es nicht viel einfacher, zu leben, wenn man nicht alle Entscheidungen selber treffen muss? Wenn man nicht ständig alle Positionen aushandeln muss? Wollen Menschen, dass ihnen jemand sagt, was sie tun sollen?

Es geht um Fehlen von Hierarchien/von Macht.
Ist Macht/Hierarchie nötig, um Menschen zu kontrollieren?
Oder führt Macht (und Ohnmacht) erst dazu, dass Menschen verantwortungslos handeln?

Ist mein Menschenbild zu positiv, dass ich überhaupt über Anarchismus/Anarchie nachdenke?
Sind Menschen von Natur aus gut oder schlecht?

Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse? Aber Respekt, Sicherheit, Selbstverwirklichung, Freiheit, Selbstbestimmtheit etc. wollen alle Menschen. Völlig unabhängig von deren Geschlecht, Arbeit, Einkommen. Unabhängig vom Land, in dem sie leben. Gefühlt ganz viele Menschen sind unzufrieden. Mit ihrem Leben. Manchmal diffus. Manchmal aber auch aufgrund ganz offensichtlicher Ungerechtigkeiten und aufgrund unterschiedlicher Chancen. Das ist in Deutschland schon so. Noch schlimmer wird es, wenn man weltweit guckt. (Die Wahlergebnisse der Bundestagswahl scheinen das aber nicht widerzuspiegeln. Berufen sich Menschen in „unsicheren“ Zeiten eher auf Regeln/Normen, neigen also eher zu konservativer Wahl? Wäre nicht das Gegenteil hilfreicher, macht aber mehr Angst?)

Überhaupt geht es vermutlich ganz vielfach um Angst. Angst vor Veränderung. Angst vor Verlust.
Vielleicht geht es auch um Fehlen von Phantasie?

Bemerkt wurde dann in der Diskussion über Anarchismus/Anarchie weiterhin: „Es funktioniert mit den richtigen Leuten.“ Nur dann? Was sind „richtige Leute“?
(Und die Bedenken erinnern mich an Diskussionen um freiere Konzepte in Schulen, in denen dann gerne schnell gesagt wird, dass das mit „unseren“ Schüler*innen nicht gehe… (was woanders funktioniert…))

Wie viele Arschlöcher/Ellenbogentypen verträgt Anarchie?
(Gibt es die „Ellenbogentypen“ generell? Oder entstehen diese erst „im System“? Sind Menschen zu Altruismus fähig?)

Ziemlich sicher ist: Menschen müss(t)en lernen, ohne Macht/ohne Hierarchien zu leben, ihr Leben, ihre Gesellschaft zu organisieren. Das kann man versuchen im Kleinen und irgendwann auf das Große übertragen. Hoffe ich. Weil ich es als erstrebenswert erachte…

Wäre die Piratenpartei nicht im Kern eine Partei, die genau diese Fragen stellen und etwas in der Art anregen, ausprobieren, testen, weiterführen müsste? Oder ist da eine Partei schon der falsche Ansatz, weil ja Parteien Teil eines Systems sind, was dann überholt wäre, wenn Anarchie funktionieren würde. Kann man noch wählen gehen, wenn man darüber nachdenkt, ob es nicht noch bessere, demokratischere Systeme geben könnte oder legitimiert man damit ein System nur unnötig?

Und nun sagen wir mal, so rein theoretisch, wir wüssten in einer großen Menge von Menschen, was wir wollen als Ziel. In welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Wie kommen wir dann dahin?

Vielleicht ist es ein Anfang, Macht/Hierarchien zu hinterfragen…

Es sind mehr Fragen geworden als Antworten. Ich bin noch relativ am Anfang mit meinen Überlegungen.

Ich bin deshalb sehr gespannt auf zum Beispiel diese kommende Veranstaltungsreihe zum Thema:

Zeit für Plan A

„Das Leben schwindet oder weitet sich aus im Verhältnis zu dem eigenen Mut.“
Anäis Nin

Oh. Ein lustiger Test: Anarchomat
(100 Prozent 😉