Archiv für den Monat: Februar 2019

Geschlechtergerechte Sprache und Barrierefreiheit

Nach wie vor gibt es auch in sozialen Medien (zum Teil besonders von Konservativen sehr aggressiv geführte) Diskussionen, ob und wie man Sprache möglichst diskriminierungsarm gestalten könne.

Vorab muss man zunächst mal feststellen, dass auch ohne den Versuch von geschlechtergerechter Sprache „gegendert“ wird, nur eben halt männlich. Emanzipatorische Menschen sprechen daher mitunter auch von „entgendern“, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht.

Bei vielen beliebt ist das sogenannte Gendersternchen (wie in Lehrer*innen).

Hierbei wird verbesserte Sichtbarkeit von Frauen ebenso erzielt wie das Bedürfnis nach nicht-binären Bezeichnungen. Klingt doch erst einmal einleuchtend und gut. So einfach ist es dann aber auch wieder nicht:

Kritisiert wird dies auch von Menschen mit Autismus, für die teilweise aufgrund dessen das Lesen von Texten, in denen Gendersternchen verwendet werden, sehr mühsam ist. Sie empfinden einen solchen Text nicht als barrierefrei. Diese Einschätzung war mir bis vor kurzem so gar nicht bewusst, muss ich gestehen.

Im Diskussionen in sozialen Medien resultiert aus den nun unterschiedlichen oder sogar konträren Bedürfnissen unterschiedlicher Menschen nun mitunter das Gegeneinanderausspielen der Forderungen/Bedürfnissen von unterschiedlichen marginalisierten Gruppen. Wonach könnte nun abgewogen werden, wessen Bedürfnisse in welcher Form priorisiert werden? Oder welche Kompromissmöglichkeiten könnte es geben? (Zwischengedanke: Im Idealfall bin ich große Anhängerin von Konsensentscheidungen. Wie könnte hier ein Konsens aussehen?)

Als weiteres Argument bezüglich von fehlender Barrierefreiheit bei der Verwendung des Gendersternchens wird auch manchmal auf die Technik von Screenreadern/Vorlesefunktionen für Blinde und Sehbehinderte verwiesen. Diese Technik ist vom Hersteller/Betriebssystem etc. abhängig und insofern unterschiedlich in Bedien- und Einstellmöglichkeiten.

Grundsätzlich kann man sagen, dass Apple mehr Einstellmöglichkeiten bietet, was Bedienhilfen angeht. So kann man Emojis/Sonderzeichen je nach Bedarf ignorieren oder mitlesen lassen.

Android ist diesbezüglich weniger flexibel. (Es hat durchaus Gründe, dass viele Menschen mit Behinderungen aufgrund der guten Ansätze zu Accessibility Apple-Geräte bevorzugen.)

Man könnte auf Varianten mit Doppelpunkt ausweichen (wie in Lehrer:innen). Viele Screenreader lesen hier eine kleine Pause.

Grundsätzlich sollte aber programmierbar sein, wie flexibel man Technik zum Vorlesen konfigurieren kann. (Die Chance, dass das Standard wird, steigt vermutlich auch mit Standardisierung unterschiedlicher Möglichkeiten geschlechtergerechter Sprache.)

Gegen den Doppelpunkt spricht allerdings, dass er auch eher auf binäre Ansätze verweist und nicht-binäre Menschen sich hiervon eben deshalb nicht repräsentiert sehen.

Auch der DBSV empfiehlt, wenn Kurzformen verwendet werden, das Sternchen.

Wie also kommt man nun weiter in dieser Angelegenheit mit unterschiedlichen Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen?

Als Kompromiss lassen sich vielfach neutrale Formen finden: Lehrende/Studierende etc. Leider funktioniert dies aber nicht immer und zB. nicht für alle benötigten Berufsbezeichnungen etc. Gibt es hier andere Ansätze, die nicht beim generischen Maskulinum stehenbleiben? (Ich persönlich stolpere lesend über Texte mit generischem Maskulinum, weil ich „mitgemeint“ nicht ausreichend finde und mir bei Texten, die ich selber schreibe, wichtig ist, alle Menschen gleichermaßen zu adressieren. Da sehe ich also keine Lösung, aber vielleicht habt ihr bessere Ideen?)

Grundsätzlich würde ich mir Solidarität wünschen oder zumindest kein unsolidarisches Verhalten/unsolidarische/antifeministische Äußerungen, selbst wenn man mit geschlechtergerechter Sprache Probleme beim Lesen hat.

Unterschiedliche Formen von Behinderungen/Bedürfnissen bei marginalisierten Menschen sollten eigentlich dazu führen, dass man versucht, die jeweilige Benachteiligung nicht gegeneinander auszuspielen, sondern vermehrt Verständnis füreinander lebt. Am Ende kommen wir nicht zu einer besseren Gesellschaft, wenn alle sich in ihre Kämpfe aufsplittern und auseinanderdividieren lassen. (Vielleicht eine Selbstverständlichkeit, aber Solidarität setzt für mich die grundsätzliche Bereitschaft voraus, Diskriminierung vermeiden zu wollen. Dazu gehört natürlich entsprechend das Ablehnen von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung.)