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Solidarisch durch die Krise! Aber wie?

Krisen und Bedrohungen aller Art werden mehr. Pandemie. Nächste Welle Corona. Krieg in der Ukraine. Klimawandel. Damit einhergehende Preissteigerungen, die viele Menschen existenziell bedrohen. Abwehrkämpfe gegen Entwicklungen ins Autoritäre.

Was machen „wir“ als wie auch immer aussehende linke Bewegung damit? Demos organisieren, um Forderungen an den Staat zu stellen? Mehr Selbstorganisierung in Gruppen, Stadtteilläden, mit Küfas etc. gegen die Vereinzelung, die (gesellschaftliche) Kälte und das Ohnmachtsgefühl? Beides? Oder vielleicht ganz was Anderes?

Ich weiß für mich gerade auch nicht so richtig, was sinnvoll wäre. Also habe ich erst einmal parallel bei Twitter und Mastodon einige Fragen gestellt, um zumindest in meiner überschaubaren Bubble herauszufinden, wie da eigentlich die Stimmung ist. Das erfüllt natürlich keine wissenschaftlichen Kriterien zur Datenerhebung, ist nicht repräsentativ, viel zu kleine Stichprobe. Dies. Das. (Jede Unfug-Umfrage läuft natürlich besser mit viel mehr Beteiligung. Seufz.) Und verschafft mir trotzdem einen klitzekleinen Überblick, wie es anderen Menschen mit ähnlicher politischer Ausrichtung aktuell so geht diesbezüglich.

Kurzer Exkurs Social Media: Meine Twitteraccounts haben aktuell 1684 Follower*innen (offener Account), 2432 (geschlossener Account). Bei Mastodon sind es 555 . Das ist insofern interessant, weil die Anzahl von Teilnehmenden bei den Umfragen bei Mastodon trotz viel niedrigerer Anzahl an Follower*innen vergleichbar ist. Die Reaktionen in Form von Kommentaren, Diskussionsbeiträgen sind in der Anzahl etwa gleich.

Die Qualität der Diskussionsbeiträge ist natürlich zunächst mal von einzelnen Menschen abhängig. Grundsätzlich empfinde ich aber oftmals die Kommentare bei Mastodon als ausführlicher/persönlicher/tiefergehender in der Analyse. In diesem konkreten Fall waren die Kommentare bei beiden Plattformen durchweg qualitativ hochwertig, differenziert, ausführlich etc. Einen Unterschied kann ich an der Stelle insofern nicht feststellen.

Ich kann keine belastbare Analyse der politischen Einordnung meiner Follower*innen liefern. Aus dem Gefühl heraus ist Mastodon deutlicher politisch linksradikal. Bei Twitter sind (auf beiden Accounts) durchaus auch noch liberale und Accounts der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ zu vermuten. (Auch, wenn ich großzügig blocke.) Zudem hat Twitter vermutet mehr Karteileichen (inaktive Accounts) als Mastodon. (Bei Mastodon kann man inaktive Accounts via Dashboard schnell identifizieren. Gibt es sowas auch für Twitter?)

Umfrageergebnisse: (Wenn nichts dabei steht, waren die Fragestellungen bei Twitter und Mastodon identisch.)

Frage 1:

(Boosts/Mastodon: 10 Retweets/Twitter: 5 Likes/Mastodon: 5 Likes/Twitter: 4)

Angesichts kommender Krisen (Corona-Welle, Preissteigerungen, Klimawandel etc.): Was wäre eure bevorzugte Variante?

  • M 70 % T 45 %     Mehr Selbstorganisation (in Stadtteilen)
  • M 17 % T 33 %     Große, linke Demos
  • M   7 % T   4 %     Was Anderes (Kommentar)
  • M   6 % T 18 %     Ergebnis zeigen
  • M 97     T 136         Anzahl Teilnehmende

Kommentare:

  • Geld wird immer weniger wert und die Preise steigen stetig. Wir müssen Wege finden den Umweg Geld zu umgehen. Dies nutzt in der Inflation und mehr teilen schont auch noch die Umwelt. Also werft nichts weg und fördert die Umsonstökonomie.
  • Eine irgendwann ja vielleicht doch noch mal funktionierende (grüne) Politik/Regierung.
  • Bessere politische Vorgaben durch Land und Bund, letztlich sind das Krisen, die nicht individuell oder durch Bewegungen gelöst werden können, sondern nur durch kluge politische Rahmensetzung.

Frage 2: (Bei Auswahlmöglichkeit 1 musste ich für Twitter aufgrund der restriktiveren Zeichenbegrenzung „Stadtteilläden“ leider weglassen, was zu einem etwas anderen Ergebnis führt. Ein Umsonstladen hat sich deshalb via Twitter statt für Möglichkeit 1 für Möglichkeit 3 mit entsprechend erläuterndem Kommentar entschieden.)

(Boosts/Mastodon: 5 Retweets/Twitter: 1 Likes/Mastodon: 4 Likes/Twitter: 2)

Wie seid ihr aktuell organisiert?

  • M 33 % T 20 %     Selbstorganisation, (Stadtteilläden,) Antifa etc.
  • M   8 % T 11 %     In Parteien
  • M   6 % T   6 %     Anders (Kommentar)
  • M 53 % T 63 %     Nicht organisiert
  • M 79     T 85           Anzahl Teilnehmende

Frage 3: (Erläuterung: ph = physical health, mh = mental health)

(Boosts/Mastodon: 3 Retweets/Twitter: 2 Likes/Mastodon: 3 Likes/Twitter: 2)

An Menschen, die derzeit nicht irgendwo organisiert sind:

Was hindert euch?

  • M 23 % T 32 %     Zu wenig Zeit
  • M 43 % T 42 %     Mastodon: Ich kenne keine Menschen, Orgas, Gruppen. Twitter: Ich weiß nicht, wo.
  • M 32 % T 24 %     Erkrankung (ph, mh)
  • M   2 % T   2 %     Ich sehe keine Notwendigkeit.
  • M 53     T   71         Anzahl Teilnehmende

Kommentare:

  • Angst vor Gruppen und Dynamiken
  • Keine Kraft und keine passenden Strukturen, in denen ich das Gefühl hätte, sinnvoll aktiv zu sein.

Frage 4:

(Boosts/Mastodon: 3 Retweets/Twitter: 2 Likes/Mastodon: 3 Likes/Twitter: 2)

An Menschen, die aktuell nicht organisiert sind:

  • M 65 % T 66 %       Ich würde gerne mehr machen.
  • M 15 % T 12 %       Ich möchte nicht mehr m(achen).
  • M 20 % T 22 %       Ergebnis zeigen.
  • M 61     T 83             Anzahl Teilnehmende

Analyse der Umfrageergebnisse: Aus den in der Einleitung erwähnten vermuteten unterschiedlichen politischen Umfeldern bei Mastodon und Twitter ergeben sich entsprechend zumindest an einzelnen Stellen deutliche Unterschiede in den Ergebnissen. Diese zeigen sich vor allem beim Bedürfnis nach mehr Selbstorganisierung (Frage 1) sowie bei der Art der aktuellen Organisierung (Frage 2).

Potential für Gruppen und zukünftige Aktionen ergibt sich aus dem bei beiden Plattformen recht großen Anteil an Menschen, die Interesse an progressiver, linker Politik haben, die derzeit aber (noch) nicht irgendwo politisch engagiert sind. (Obwohl die absoluten Zahlen sehr klein sind, ist zumindest zu hoffen, dass es außerhalb von Social Media diesbezüglich ähnlich aussieht.) Man darf aber nicht übersehen, dass dies bei „bürgerlicher Mitte“ über liberal hin zu Querdenken und Neonazis ebenfalls zu befürchten ist.

Frage 5:

(Boosts/Mastodon: 2 Retweets/Twitter: 1 Likes/Mastodon: 4 Likes/Twitter: 8)

Ich ergänze noch um eine offene Frage:

Was würde euch helfen, irgendwo einzusteigen in eine Gruppe/Orga? Was braucht ihr dafür?

Kommentare: (in einzelne Punkte aufgesplittet bei längeren Antworten. Teilweise Rechtschreibung (Groß-/Kleinschreibung) angepasst.)

  • Online-Affinität
  • weitgehende inhaltliche Übereinstimmung
  • Umgangsweise ohne Messer im Rücken und Kleinkrieg wie sonst überall.
  • Aktionsformen neu erfinden, statt ritualisiert immer dasselbe abzuspulen.
  • Dinge hinterfragen wird als Inspiration und Chance zur Weiterentwicklung, nicht als Angriff gewertet.
  • Anerkennung der Realität, dass wir als Zivilisation auf dem absteigenden Ast operieren.
  • aber tbh: mehr oder weniger aufgegeben.
  • formell organisiert, habe aber nicht die Kapazitäten, mich auch tatsächlich einzubringen. Eine Partei, mehrere Vereine. Mehr als Beiträge zahlen kommt im allgemeinen nicht rum. Und ob ich das noch dauerhaft bei allen kann, steht aufgrund der explodierenden Preise auf der Kippe.
  • gute Gesundheit
  • Eine geeignete Gruppe oder Orga brauch ich.
  • heterogen
  • kein idiotischer Anspruch an eigene, angebliche Unfehlbarkeit (aka mind. undogmatisch)
  • solidarischer Umgang mit (eigenen) Widersprüchen
  • Ansetzen an Lebensrealitäten
  • (Selbst)Reflektionsfähigkeit
  • Und ein bisschen Spaß wäre auch nicht falsch.
  • In der Wirkung nach außen gerichtet. Selbstbespaßung und „predigen zu den Bekehrten“ gibt mir wenig.
  • Niedrigschwelligkeit bzgl Kindern. Wenn Treffen um 19 Uhr abends stattfinden, bin ich raus. Verrauchte Kneipen als Treffpunkte raus. usw.
  • anarchistisch, antikapitalistisch, antifaschistisch, antirassistisch, undogmatisch, praktisch, lokal.
  • Begriffe ausdifferenzieren: „Antifaschistisch“ heißt zZ für die einen Waffenlieferungen an die Ukraine, für andere gegen die Sanktionen ggü. Russland und für Dritte für einen naiv-depperten Pazifismus einzutreten. Ich glaube, man muss vielfach viel grundlegender debattieren.
  • Hier konkret: Den offensichtlich Betroffenen von überlegener Gewalt beistehen. Und sich dabei vielleicht nicht auf die eigenen Scheuklappen beziehen, sondern auf potenziell Verbündete vor Ort.
  • Gleichgesinnte und Leute wie ich, die in und an dieser Arbeitswelt leiden.
  • Linke wollen (mit Revo) die Welt retten, aber bekommen es nichtmal geschissen, während ner Pandemie laut und sichtbar dafür einzustehen, dass täglich Menschenleben durch simples, konsequentes Masketragen geschützt werden könnten.
  • Umgang mit Konflikten, „bad actors“ (Erläuterung: In der weiteren Diskussion via Twitter kein Konsens diesbezüglich. Rauswerfen vs. Täter*innenarbeit, Fehlerkultur (bis zu welchem Punkt?))
  • Weg von Szenecodes, akademischer Sprache. Menschen zugestehen, da zu lernen.
  • Niedrigschwelliger Einstieg
  • Akzeptieren von Krankheiten mit entsprechenden Einschränkungen
  • gut erreichbar mit ÖPNV

Fazit? (Für Gruppen?)

Trotz nicht ausreichender Zahlen kann man wohl davon ausgehen, dass im linken Spektrum etliche Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen bisher nicht in Gruppen aktiv sind. Diese Gründe sind einerseits sehr persönliche (Gesundheit etc.), aber auch in bisherigen Erfahrungen mit Aktivismus begründet, wenn man sich die doch sehr vielfältigen Kommentare ansieht. Auch Gruppen haben an der Stelle Ansatzpunkte, ihre Zugänglichkeit, ihre Kommunikation, ihre Ausrichtung und den Abbau von Barrieren zu überdenken.

Und nun? (Für Menschen, die sich organisieren wollen)

Wenn ihr in eurer Region was machen wollt, aber nicht so richtig wisst, wo anfangen: Es gibt in vielen Regionen ganz gute Seiten mit Terminen. In Berlin zum Beispiel ist das der Stressfaktor. In Dresden heißt die Seite Terminal. In Hamburg Bewegungsmelder. In München https://www.kalinka-m.org. In Leipzig https://www.planlos-leipzig.org/. Im Ruhrgebiet gibt es Hermine und für Dortmund/Bochum zusätzlich noch Latscher.in.

Gewalt. Find ich doof.

Einige Piraten haben gerne den Ansatz, sich bei allerlei Anlässen von Gewalt distanzieren zu wollen. Das klingt dann oberflächlich fein. Im Grunde ist es aber vor allem blöd. Also auf dem Niveau von Viertklässlern. Natürlich ist Gewalt doof. Aber dieses polemische Distanzieren könnte genauso in einer konservativen Zeitung stehen. Es geht also um Stimmungsmache. Gerne gegen Linke. Oder gegen „die Antifa“. Aber das lassen wir hier mal am Rande stehen.

Man kann sich über Gewalt unterhalten. Aber dann muss man sich auch wenigstens die Mühe machen, Gewalt zu definieren. Ist Frontex Gewalt? Ist Abschiebung Gewalt? Ist der Ausschluss von Menschen Gewalt („Bürger*innen“)? Ist Ausbeutung Gewalt? Was ist mit Austerität? Zwang? (Sei es in Schule, Uni, Arbeitsverhältnissen) Ist Herrschaft Gewalt? Was ist mit Diskrimierung? Prekariat? Mit dem, was Bourdieu als „Symbolische Gewalt“ bezeichnete?

Es ist doch durchaus so, dass sich viele schlaue Menschen mit dem Thema beschäftigt haben. Orwell. Fried.

Nehmt, was ihr wollt. Aber bevor undifferenziert über Gewalt geredet wird, lest doch wenigstens mal etwas darüber.

Und nun sagen wir mal, am Ende kommen wir zu dem Schluss „Gewalt ist doof“. Was machen wir denn dann?

Zusehen? Betroffen sein? Wegschauen?

https://www.youtube.com/watch?v=OdFekGmQlFk&themeRefresh=1

„Ihr wollt, dass eure triste Welt ein bißchen bunter wird, während irgendwo anders der Andere stirbt.“ But Alive – Natalie

„Leute, die durch Geld und Kanonen vor der Wirklichkeit geschützt sind, hassen die Gewalt zu Recht und wollen nicht einsehen, daß sie Bestandteil der modernen Gesellschaft ist und daß ihre eigenen zarten Gefühle und Ansichten nur das Ergebnis sind von Ungerechtigkeit, gestützt durch Macht.“ Orwell

Man kann über Gewalt nicht unpolitisch reden. Gewalt ist überall. Es ist also zutiefst politisch, welche Art von Gewalt man unterstützt und welche man bekämpft.

Korrespondenz mit der DPolG

Wie gestern angekündigt, ging meine erste Mail vom Büro heute an den Vorsitzenden der DPolG Köln wegen des folgenden (mittlerweile gelöschten) Postings bei Facebook:

IMG_1180.JPG

(Screenshot via @_allroy und @formprim bei FICKO-Magazin)

Der Vorsitzende antwortete mir recht zügig und teilte mit, dass das betroffene Posting nicht „autorisiert“ worden sei. Zukünftig sollen ausschließlich durch ein Redaktionsteam autorisierte Inhalte veröffentlicht werden. Weiterhin entschuldigte er sich, weil in diesem Posting der politischen Neutralität nicht entsprochen worden sei. Der Verfasser des Postings sei freiwillig nicht mehr Mitglied des Redaktionsteams.

In einer weiteren Mail habe ich mich für die schnelle Antwort bedankt, aber meine Bedenken geäußert, inwieweit solches Gedankengut bei der Polizei verbreitet sei. Weiterhin interessiert mich, wie viele Polizist*innen in Köln in der DPolG organisiert sind. Die Antworten auf diese Fragen/Anmerkungen stehen noch aus.

Nachtrag: Heute kam noch die Mail, dass die DPolG zur „Anzahl der Mitglieder“ „grundsätzlich keine Auskunft“ gibt.

Es bleiben die Fragen, wie so ein Posting zustande kommt, wieso dies ca. 12 Stunden unbemerkt bleiben kann, dann beim Aufkommen von Kritik gelöscht wird und wieso die in diversen Screenshots ausgesprochenen Drohungen in den Kommentaren ebenfalls 12 Stunden stehengelassen werden. (Sind da strafrechtlich relevante Sachen bei?)

„Lass das doch lieber mal mit der Demo…“

Inklusion in linken Strukturen

Oder: Tauge ich eigentlich noch für Aktivismus?

Ich habe manchmal diese Probleme mit der Augenerkrankung. Das trat bei mir bisher nur in Schüben auf und ging bisher zumindest irgendwann wieder weg. Aber manchmal grübele ich dann, wie eigentlich der Umgang mit Behinderungen/Einschränkungen in der linken Szene so ist. Oder in Antifa-Strukturen? Wie klappt das auf Demos? Sind da nur Menschen erwünscht, die voll „funktionsfähig“ sind? (Das können ja auch andere körperliche oder psychische Einschränkungen sein (oder etwas, was man selber als einschränkend empfindet)). Wie gehen Bezugsgruppen damit um? Gibt es Beispiele, dass das gut funktioniert? Oder wird man dann eher als lästiges Anhängsel betrachtet?

Es geht aber nicht nur um Demos. Wie viele Räume sind barrierefrei? Wie achtsam ist generell der Umgang miteinander? Trauen sich neue Menschen in solche Strukturen? Ich merke selber, dass ich bei einem aktuellen Schub unsicher werde und dann Veranstaltungen mitunter meide, wenn ich nicht weiß, wie der Umgang miteinander sein wird. Oder ob ich die Räume gut genug kenne, um mich dort zurechtzufinden.

Wie sind eure Erfahrungen? Was hilft? Was funktioniert gut? Was könnte man verbessern? Oder ist das alles eigentlich gar kein Thema?

Keine Angst?!

Über Repression und Traumata und wie wir damit umgehen könnten:

„Wem Polizeigewalt widerfährt, ist allein gelassen!
Egal wie oft ihr es retweetet!

Sollte man wissen!“

Quelle:
https://.twitter.com/lottokoenigin

Aufhänger:Es war dem wohl ein Treffen vorangegangen, bei dem mehrere Menschen anwesend waren, die in Frankfurt/Blockupy im Kessel waren und die bis heute traumatisiert zu seien scheinen. Deren „Bewältigungsstrategie“ scheint teilweise zu sein, nach außen kalt zu reagieren und mit der Bewegung gebrochen zu haben.

Die gehen also vielleicht nie wieder auf eine Demo! Und das kann natürlich ein von Repressionsorganen gewollter Effekt sein.

Beim Antifa-Kongress in Berlin sprach ich bereits mit einigen Menschen über die Problematik der Auswirkungen von Repression und Polizeigewalt und was wir dagegen tun könnten. Ich komme aber erst jetzt dazu, mich in Textform damit zu befassen.

Völlig selbstverständlich ist bei jeder Demo/Aktion rechtliche Unterstützung erreichbar. Da leistet die Rote Hilfe großartige Arbeit und auch auch sonst gibt es gute Strukturen, die EAs (Ermittlungsausschüsse) stellen. Man meldet z.B. Festnahmen dort, kann Kontakt zu Anwält*innen bekommen etc.

Ebenfalls oft im Einsatz sind weiterhin meist Demosanitäter*innen, die erste Hilfe leisten z.B. nach Pfeffersprayeinsatz.

Noch nicht ganz so selbstverständlich, aber auch sehr wichtig, ist emotionaler Support. Belastungen bei Demos/Aktionen können sehr vielfältig sein bis hin zum Trauma mit weitreichenden psychischen Folgen.

Hierzu ein kurzer wissenschaftlicher Exkurs:

„Unter einem Trauma wird ein Ereignis verstanden, dass von jedem Menschen als extrem belastend oder katastrophal erlebt werden würde. Der Betreffende erfährt eine oder mehrere Situationen, in denen er lebensbedrohlichen Ereignissen oder Handlungen ausgesetzt war, durch die er körperlich schwer verletzt wurde oder die seine psychische Integrität bedrohten. Ebenso wird darunter das Miterleben als Zeuge verstanden.“ (S.260ff)

Die individuelle Möglichkeit jedes Menschen, sich auf einschneidende Erlebnisse anzupassen, hängt nicht nur vom „Ausmaß des Traumas“, sondern auch von der „individuellen Belastungsgrenze“ ab.

Mögliche Reaktionen umfassen „Veränderungen auf emotionaler, somatischer, kognitiver Ebene“.
Beispiele: „Angst, Verzweiflung, innere Leere, „Betäubung“, Verwirrung, Anspannung, Hilflosigkeit, verminderte Aufnahmefähigkeit“ plus körperliche Symptome wie „Schlafstörungen, Appetitverlust, Herzklopfen, Schwitzen, Zittern etc.“

Weiterführend kann man noch akute Belastungsreaktion und später auftretende Symptome unterscheiden, aber das führt jetzt zu weit, denke ich.

Interessant sind aber mögliche Folgen, wie „Desinteresse, sozialer Rückzug, Wut, Flash-Backs, Alpträume, Vermeidung ähnlicher Situationen, Teilnahmslosigkeit, Gefühlstaubheit etc.“

Zitate aus: Lieb, Frauenknecht, Brunnhuber: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. München 2008

Was uns helfen kann:

Bezugsgruppen

Im Idealfall habt ihr eine kleine Bezugsgruppe, wenn ihr bei einer Demo seid. Menschen, denen ihr vertraut und die einen ähnlichen Aktionsansatz haben. Die Frage, wie viel man mitmachen möchte, sollte im Grunde vorher geklärt sein, um Konflikte während einer Demo zu vermeiden. Trotzdem kann es auch in eingespielten Teams dazu kommen, dass sich während einer Demo die Stimmung ändert. Seid ehrlich, wenn euch etwas zu viel wird. Seid achtsam und nehmt trotz all des Stresses wahr, wenn es jemandem nicht gut geht mit einer Situation.

In Hamburg zum Beispiel gab es einen größeren, für mich sehr belastenden, Streit am Ende des Tages. Ein Teil meiner Gruppe wollte noch weitermachen. Ein Teil war einfach kaputt, auch von der empfundenen Ohnmacht nach diversen Übergriffen durch vermummte Polizisten (waren da tatsächlich vor allem Männer). Ich war nicht mehr in der Lage, adäquat zu reagieren, habe dann im Grunde resigniert und habe vorgeschlagen, ich könnte einfach alleine weggehen. Das ist natürlich total unvernünftig. Ich habe mich aber in dieser recht belastenden Situation auch nicht wirklich aufgefangen gefühlt. Ich wollte mich nicht dazu drängen lassen, an weiteren Aktionen teilzunehmen. Alleine wollte ich auch nicht sein. Irgendwann habe ich dann halt heulend in einem Hauseingang gesessen bis es wieder ging. Ein Freund war bei mir, aber auch da hat es lange gebraucht, bis er verstanden hatte, wie es mir wirklich geht. Obwohl ich wirklich ganz gut über Gefühle reden kann, ist es mir furchtbar schwer gefallen, in der Situation zu sagen, was los ist.

In der Folge des Erlebten habe ich Monate davon immer wieder geträumt und hatte für längere Zeit (trotz meiner Privilegien mit dem Ausweis) Probleme, mich mit Polizisten auf der Straße auseinanderzusetzen.

Möglicherweise ist das ein generelles Problem beim Umgang mit Emotionen in unserer Gesellschaft. Es ist aber eben manchmal auch eins in der linken Szene, die das durchaus mehr reflektiert als die „Mehrheitsgesellschaft“. Viele sind gerade politisch aktiv, weil sie mit diversen Ungerechtigkeiten nicht klarkommen. Weil sie nicht zusehen wollen, wie Asylsuchende abgewiesen oder sogar vor Grenzen getötet werden. Weil sie Diskriminierung bekämpfen wollen und für eine Gesellschaft, in der Menschen respektvoll miteinander umgehen. Ich kenne deshalb sehr viele empfindsame Menschen, die in der linken Szene politisch aktiv sind. Und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass auch wir, dass auch ich, die Gefühle wegschiebe/n, die uns dabei begleiten. Was das mit uns macht, wenn neben uns ein/e Freund*in weggeknüppelt wird. Was das mit uns macht, wenn jemand von uns von Nazis bedroht oder überfallen wird. Wo reden wir über die Wut, die Traurigkeit, die Angst, die Ohnmacht und Hilflosigkeit?

Was tun?

Es gibt zum Beispiel diese Gruppierungen:

Out Of Action (mit recht klaren Positionen, Strukturen und Grundlagen, weshalb der Name nicht einfach so verwendet werden soll)

Leider sind die Aktivitäten auf der Seite zum Beispiel schon einige Zeit her. Ich weiß aktuell nicht, ob die Gruppen noch alle Bestand haben, frage aber zumindest fürs Ruhrgebiet etc. mal dort nach. (Ergänzung: Es gibt im Ruhrgebiet eine aktive Gruppe. Vielleicht schaffen wir es für kommende Aktionen, das Team für alle besser erreichbar zu machen.)

Im Idealfall wünsche ich mir, dass jede Demo von uns auch ein Team mit Handynummer hat, welches sich um emotionale Unterstützung kümmert. Ich weiß: Wir sind immer zu wenig Menschen. Wir brauchen Menschen für Infogruppen, in Delegiertengruppen, für rechtliche Beratung, zur Bedienung der Ticker, für Pressemitteilungen, welche, die Versammlungen anmelden usw.

Aber immer wiederkehrende Diskussionen zeigen mir, dass wir auch emotionale Betreuung brauchen über den selbstverständlichen, achtsamen Umgang in unseren regelmäßigen Bezugsgruppen hinaus, um die Menschen nicht zu verlieren, die eventuell nicht immer gut vernetzt sind. Aber auch, um es als selbstverständlich zu etablieren, all die Emotionen, die um Aktionen herum entstehen können, auszusprechen, zu thematisieren und nicht zu verdrängen.

„Der Unterschied, auf den es wirklich ankommt, ist nicht der zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern zwischen der Neigung zur Machtausübung und der Abneigung dagegen.“ Orwell

Mehr als nur Nazis jagen?!

Da ich selber leider nicht zur Bilokation fähig bin und dieser Workshop parallel lief und auch super interessant klang, hier ein Gastbeitrag von Alice zum Workshop „Antifa feministisch weiterdenken“:

Das letzte Podium, was ich im Rahmen des Kongress „Antifa in der Krise?!“ besucht habe, beschäftigte sich mit queerfeministischen Themen in der antifaschistischen Bewegung. Auffällig wurde, noch bevor es losging, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem oft formulierten Anspruch „Antifa ist mehr als Nazis jagen!“ und den tatsächlichen Zuständen. Offensichtlich scheint es die cis-männlichen Genossen wenig zu interessieren was die beiden referierenden Personen der „trans*geniale f_antifa“ zu sagen hatten. Immerhin waren ca. 3x mehr Frauen als Männer anwesend. Die kommunistische Argumentation des Nebenwiderspruchs drängt sich auf.

Nach einer kurzen Einleitung fingen die Referierenden an einige Begriffe, die für dieses Thema wichtig sind, zu erklären. Damit kamen sie einem selbsterklärten Anspruch nach, ihren Vortrag auch für Personen offen zu gestalten, die keinen akademischen Hintergrund haben, um einer Exklusion vorzubeugen.

Im Rahmen dieser Begriffserklärung wurden einige Ansichten geäußert, die ich gerne weitertragen würde, da ich sie für interessant und/oder wichtig halte:

1. Ablehnung der Begriffe „Homophobie“ und „Transphobie“, da sie Hass und Gewalt, zumindest dem Begriff nach, mit Angstzuständen erklären und damit eben jenen Hass relativieren. Als Ersatz wurde der Begriff „Heterosexismus“ vorgeschlagen oder das Ersetzen des Wort „Phobie“ durch „Feindlichkeit“.

2. Im Zusammenhang mit der Thematik Ableismus (Diskriminierung/Exklusion von behinderten Menschen) wurde angemerkt, dass Menschen nicht behindert sind, sondern durch die Gesellschaft behindert werden. (Stichwort: Einrichtung einer barrierefreien bzw. barrierearmen Gesellschaft und Umwelt)

Anschließend wurde die Struktur/Gruppe vorgestellt, aus der die beiden kommen. Die „trans*geniale f_antifa“ versteht sich als Gruppe, die an feministische Antifakonzepte der ’90er anknüpft und sie um die Bedürfnisse von Trans- und Inter-Menschen erweitert. Um für die Gruppenmitglieder einen Raum zu schaffen, in dem sie sich vor Übergriffigkeiten sicher fühlen, sind keine cis-Männer zugelassen. Ansonsten probiert die Gruppe jegliche Exklusion zu vermeiden und übt daher Gesellschafts- und Herrschaftskritik, die u.a. auch in Reflexion über die eigenen Privilegien und eigenen Betroffenheit mündet. Sie versuchen barrierearme Räume und Veranstaltungen zu organisieren. (Stichwort: Reflexion darüber, inwiefern nicht-drogenfreie Räume (von Tabak über Alkohol bis hin zu „härteren“ Drogen) eine Barriere darstellen)
Kritik wurde u.a. an der teils sehr heterosexistischen Berliner linksradikalen „Szene“ geübt, an linker Emotionsfeindlichkeit, die den Umgang/die Verarbeitung von Erfahrungen mit sprachlicher und körperlicher Gewalt schwieriger macht und damit selber wieder zur Barriere werden kann.

Ein schwerer, aber berechtigter Vorwurf ist, dass die radikale Linke, genau wie der Rest der Gesellschaft, Trans-Menschen unsichtbar macht (z.B. auf Plakaten, in Aufrufen gegen Naziaufmärsche etc.) Dabei gibt es viele und berechtigte Gründe, warum Queer-Feminismus Teil der antifaschistische Bewegung sein sollte. Die „trans*geniale f_antifa“ nimmt z.B. positiven Bezug auf den Schwur von Buchenwald und benennt als Wurzel des Nazismus u.a. die duale Geschlechtereinteilung und das Patriarchat. So wurden z.B. bei der ersten Bücherverbrennung in Berlin auch sexualwissenschaftliche Werke verbrannt.

Weiterhin zeigt sich gerade in letzter Zeit wie „besorgte Eltern“ und Rechte Hand in Hand gehen (z.B. Pro Köln in Köln, NPD und Autonome Nationalist_innen in Stuttgart).

Ein weiteres Bespiel, dass Nazis massiv antifeministisch sind, ist einer der jüngsten Angriffe in Schweden auf Showan Shattak. Er war nicht das einzige Opfer des Angriff. Er und seine Genoss_innen kamen von einer Veranstaltung zum Frauenkampftag. Weiterhin hat Showan die Kampagne „Fottbolssupportrar mot Homofobi“ (Fußballfans gegen Homophobie) mit initiiert. Aber natürlich gibt es trans- und homofeindliche Übergriffe auch in Deutschland und nach Aussage der Referierenden ist die queerfeministische Bewegung alleine nicht in der Lage, das alles abzufangen und Widerstand zu leisten. Genau hier könnte „die Antifa“ ins Spiel kommen.

Zusätzlich wurde noch ein ganz konkretes aktivistisches Thema angesprochen. Der „Marsch für das Leben“ eine heteronormative, patriarchale und reaktionäre Demonstration, die jeden September in Berlin stattfindet und sich gegen Abtreibungen richtet. Trotz steigender Mobilisierungszahlen und politischem und gesellschaftlichem Einfluss (Grußworte kommen u.a. von Mitgliedern des Bundestages und der Landtage sowie von Bischöfen) bleibt eine große linksradikale Mobilisierung zu Gegenprotesten bis jetzt aus. Hier wären antifaschistische Gruppen gefragt, um die (queer)feministische Bewegung zu unterstützen und Teilnehmer_innen der Gegenveranstaltungen vor Übergriffen zu schützen.

In der anschließenden Diskussion wurde u.a. gefragt, was sich „die queerfeministische Bewegung“ von „der Antifa“ wünscht. 3 Hauptpunkte wurden daraufhin von den Referierenden genannt.
1. Reflexion über eigenes exkludierendes Verhalten
2. Zusammenarbeit (z.B. Mobilisierung gegen reaktionäre Demos)
3. Queerfeminismus muss Alltag werden!

PS: Wie sehr auch die antifaschistische Bewegung patriarchale Verhaltensmuster verinnerlicht hat, zeigt sich auch darin, dass Frauen in der Naziszene in den meisten Fällen als Mitläuferinnen angesehen werden und selten als Täterinnen benannt werden oder Ziel von Recherche sind.

„You shall not pass“

Antifa-Kongress, nächster Teil

Workshop:

nazifrei revisited – Über Blockadebündnisse

Immerhin beginnt es mit einer Entschuldigung, dass nur Männer auf dem Podium sitzen. Ich erfreue mich daran, dass es in der Szene zumindest ein Bewusstsein für diese Probleme gibt, aber der Leidensdruck ist offensichtlich nicht groß genug, um’s zu ändern, sondern nur, um sich zu entschuldigen. (Und das nächste Mal läuft’s dann wieder so?)

Aber kommen wir zum eigentlichen Thema:
Auf dem Podium Vertreter aus Dresden, Cottbus, Bad Nenndorf

Dresden nazifrei:

Dresden wird sehr oft als Vorbild genannt. Aber dieses Jahr war eher kein Erfolg.

Erfolg in Dresden: bis 2009 konnten große Gruppen Neonazis durch Dresden marschieren. Zwar mit kleinen Gegenbewegungen, aber bis dahin war die zivilgesellschaftliche Auffassung sehr davon geprägt, dass man sie halt laufen lassen könne und dann wären sie nach einem Tag wieder weg. Mittlerweile wird immerhin mehr darüber diskutiert, wie man mit diesem Tag nun umzugehen hat. Es ist lange noch nicht so, dass die Auseinandersetzung mit dem Opfermythos in weiten Teilen der Gesellschaft zufriedenstellend erfolgt.

Die Frage nach Legitimität von Blockaden wurde diskutiert. Diesbezüglich hat sich gefühlt das Klima in der Stadt durchaus verändert. Mehr Menschen aus Dresden selbst, sind bereit, sich an Blockaden zu beteiligen.

Kritisch wird gesehen, dass in diesem Jahr in der Öffentlichkeit dargestellt wurde, dass Dresden den 13.2. zurück habe und dies ist schlicht nicht wahr. Es waren Nazis in der Stadt und die kritischen Stimmen waren viel zu wenig bei den Gedenkveranstaltungen. Da der große Punkt des Naziaufmarsches wegfiel, wird es schwerer, den Diskurs um den Opfermythos und die Feierlichkeiten des Tages aufrecht zu halten. Ordner*innen der Menschenkette sollen die Anweisung gehabt haben, auch bei offenkundigen Neonazis dazwischen nicht einzuschreiten, um das Gedenken nicht zu stören. Die Demo der Nazis am Tag zuvor wurde hingegen kaum in der Öffentlichkeit beachtet.

Bad Nenndorf:

Angst der Menschen vor Ort vor angeblich Autos anzündende Autonomen war zunächst vorhanden. Struktur geschaffen, um Massenblockade zu organisieren. Erst zwei Jahre nach den ersten Naziaufmärschen hat sich die breite Mehrheit mit dem Problem beschäftigt. Vorher haben sich hauptsächlich Menschen aus Antifa-Strukturen dem entgegengestellt. Weiterhin ist es eher ein kleiner Ort, so dass Vertrauensarbeit wichtig war. Seit 2010 geht die Teilnehmer*innenzahl der Naziaufmärsche deutlich zurück aufgrund der Gegenproteste.

Cottbus:

Bündnis seit ungefähr vier Jahren. Vorbild Dresden. Unterschiedliche Akteur*innen. Zwei Jahre lang hat das Konzept nicht funktioniert. Sitzblockaden wurden gewaltsam geräumt etc.
Zwei Jahre hat es geklappt, den Naziaufmarsch zu verhindern. Es haben sich zunehmend Menschen getraut, mitzumachen. Bei größeren Gruppen in Sitzblockaden nimmt die Gefahr von Gewalt durch die Polizei gegen Aktivist*innen ab. Viel Kommunikation mit der Stadt. Breites Bündnis: Gewerkschaften, Autonome Antifa, Parteimitglieder etc.

Magdeburg:

Problem der Informationsbeschaffung: Da es keine Informationen über die Route der
Nazis gab, war es quasi unmöglich, effektive Sitzblockaden durchzuführen. Dadurch werden Gruppen zersplitterte. (Es ist nicht machbar, 11 Bahnhöfe zu besetzen.) Akzeptanz ist in der
Mehrheit schon vorhanden.

Dortmund:

Bündnis noch relativ neu. Diskussionen natürlich auch über Aktionskonsens. Verschiedene Akteur*innen (Autonome Antifa, Gewerkschaften, Parteien etc.) Bürgermeister hat zunächst freudig verkündet, dass es das Bündnis gibt. Später dann doch keine Unterstützung. Weiterhin Diskussionen darüber, ob man überhaupt Blockaden durchführen oder dazu aufrufen darf. Ablauf des 1. Mai im Detail noch unklar.

Kritikpunkte: Wird genug reflektiert, ob Sitzblockaden sinnvoll sind? Gibt es weitere Aktionsformen, die angewendet werden können? Viel hängt an der frühzeitigen Kenntnis der Route von Aufmärschen. Problem außerdem, mit wem man zusammenarbeiten möchte. Eine Kooperation mit Menschen, Parteien, die in ihrem Verhalten Rassismus etc. mittragen, muss kritisch gesehen werden. Oft geht es halt darum, dass Image einer Stadt zu verbessern. Alle machen toll was gegen Nazis. Presse/Öffentlichkeit: Wenn es gut klappt, war es die breite Gesellschaft/die Stadt, die Naziaufmärsche verhindert haben. Wenn irgendetwas schief geht, waren es „die Autonomen“.

Wünschenswert:

In antifaschistischen Gruppen sollte es mehr Vor- und Nachbereitung von Aktionen geben. (Zum Beispiel zum Umgang mit Polizeigewalt und dadurch entstandenen physischen und psychischen Verletzungen. Darauf gehe ich eventuell nochmal mit einem gesonderten Text ein, weil es auch zu der im Seminar zu Antifa und Feminismus geäußerten Emotionsfeindlichkeit der linken Szene passt und damit als Thema komplexer wird.)

„Antifa in der Krise?!“

Kongress

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Das Podium von gestern ist mir leider entgangen. Hier nun zum heutigen Tag:

(Insgesamt sind es recht viele Eindrücke und Inhalte, so dass es mir schwer fällt, dies kurz zusammenzufassen. Da aber meine geneigten Leser*innen mitunter nicht alle Antifa-Aktivist*innen sind, trotzdem ein paar Betrachtungen auf den heutigen Tag der oben genannten Konferenz.)

Workshop 1:

NSU und Antifa

Erschreckend im Rückblick, dass antifaschistische Gruppen durchaus die Täter*innen und Unterstützer*innen im Blick hatten auch Jahre vor der Enttarnung.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die zentralen Fragen im Prozess zum Beispiel gar nicht geklärt werden?
Was/wer könnte/kann Recherche leisten? Ein Vorschlag war u.a. eine oder mehrere nichtstaatlich organisierte und finanzierte Ganztagsstelle(n), die Rechercheergebnisse zusammentragen, publizieren und weiterführen.

Mehr Kommunikation mit Opfern von rechter Gewalt oder Angehörigen anbieten.

Den NSU nicht als Geschichte betrachten, als abgehakt ansehen, die Vorfälle als von Einzeltäter*innen begangen abtun. Neonazis haben immer noch Waffen. Es gibt eine gute Vernetzung der Szene. Es muss ein Unterstützer*innennetzwerk gegeben haben.

Workshop 2:

Tschechien. Antiziganismus.

Workshop 3:

Proteste gegen Asylsuchendenunterkünfte

Beispiele Hellersdorf, Leipzig, aus dem Publikum Duisburg und Essen und weitere. Schwierig: Alltagsrassimus und Antiziganzismus bei „besorgten Bürger*innen“ weit verbreitet. Dies wird von rechten Gruppierungen/Parteien aufgegriffen, im Wahlkampf verwendet und verstärkt. Dadurch werden auch zahlenmäßig recht große Gruppen mobilisiert.

Problem: schmaler Grat zwischen Paternalisierung und Hilfe zur Selbsthilfe (sprich Empowerment oder Ermutigung von Refugees, ihre politischen Anliegen zu formulieren und ihre Kämpfe selbstorganisiert zu führen)

Abendpodium:

http://kriseundrassismus.noblogs.org/post/2014/03/10/antifa-in-der-krise-3/

„Danke an die „Junge Freiheit“ (Anm. Rechte Zeitung). Jetzt schaut auch der Verfassungsschutz zu. Das ist ja irgendwie auch beruhigend.“

Welche Rolle kann „die Antifa“ spielen in einer Welt in einer Krise?

Themenblock 1:

Die rechtspopulistische Partei AfD stellt die Antifa vor neue Herausforderungen. Die AfD verschiebt den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts. Klassische Strategien funktionieren da nicht, weil die AfD vermeidet mit bekannten Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten. Es ist nichtsdestotrotz eine nationalistische Partei. Man muss an der Stelle also inhaltlich angreifen. Widersprüche aufzeigen (auch zwischen Wähler*innenklientel und Leistungschauvinismus im Programm). Die Gefahr besteht, dass die von der AfD vertretenen Positionen in einer von Alltagsfremdenfeindlichkeit durchzogenen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fällt.

Themenblock 2:

Zunehmende Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte, nicht immer gewalttätig, aber häufig, zeigen Probleme des Versuchs der Abgrenzung vieler Bürger*innen gegen Flüchtlinge etc. und eine Verbrüderung eines bürgerlichen Mobs mit Neonazis. Willkommenskultur kann hier frühzeitig helfen, allerdings wird auch hier der Kritikpunkt genannt, dass leider vielfach Asylsuchende selber gar nicht gefragt werden. Ebenso müssen lokale Strukturen eingebunden werden.

Politisch: Überfälle werden als unpolitisch abgetan. Aktivist*innen/Opfer von rechter Gewalt werden zu häufig als Täter*innen angenommen. Es wirkt, als hätte man aus dem NSU nicht gelernt bzw. sind strukturelle Probleme einfach tatsächlich nicht behoben worden. Ermittlungsbehörden sind weiterhin so tätig wie vor dem Bekanntwerden des NSU. Der Verfassungsschutz zieht im
Grunde Vorteile daraus. Heimleiter*innen wollen trotz Übergriffen Normalität zeigen. Hier überall muss der Finger in die Wunden gelegt werden.

„Selbst wenn Rassismus in einer Gesellschaft Normalität ist, ist das nicht unsere Normalität.“

Themenblock 3:

Nachwuchsproblem bei der Antifa? Zu wenig Menschen für zu viel, was man leisten möchte? Warum wächst die Antifa nicht? (Kurze Antwort: „weil es anstrengend ist“)

Was gut funktioniert: Große Bündnisse (Blockaden in Dresden als Beispiel), Blockaden sinnvoll aus einer defensiven Position heraus?) grundsätzlich Diskussion über zivilen Ungehorsam in einer größeren Gruppe von Zivilgesellschaft. Was ist legal? Was ist legitim?

Themenblock 4:

Institutionelles Versagen bei den NSU-Taten. Systemisches Versagen. Auch Antifagruppen haben ihre durchaus Erkenntnisse zu wenig vernetzt. Zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit/Menschen. Beispiel: Zu wenig Begleitung des NSU-Prozesses. Arbeitsteilung muss verbessert werden.

Antifarecherchen werden durchaus verwendet, trotzdem wird die Expertise nicht anerkannt. Gesellschaftspolitische Analysen werden komplett ignoriert.

Fragestellungen/allgemeine Ansätze:

Strukturen und Alltagsrassismus als Thema stärker in den Fokus nehmen. Mit Opfern reden.
Wie kann sich Antifa Gehör verschaffen? Mehr selber Akzente setzen, nicht nur reagieren. Willkommenskultur schaffen/verbessern. Mit anderen Gruppen vernetzen? Antifa/Antira-Arbeit besser vernetzen. Wie wird man mehr gesellschaftliche Linke? Sich selbst als politischen Akteur ernster nehmen. Strategischer handeln. Arbeitsprozesse verbessern. Trotz fehlender Bundesorganisation Vernetzung/Austausch autonomer Gruppen verbessern. Erweitern auf soziale Themen.

Was mich bis dahin beim Kongress bewegt (Zwischenfazit):

Positiv:

Grundsätzlich sinnvolle Veranstaltung, seit Jahren größerer Kongress dieser Art in Deutschland. Viele engagierte Menschen, nach meiner Auffassung recht gut besucht (Workshopräume sehr voll), fachlich in den meisten Fällen sehr hochwertig, interessante Vorträge, gute Einbindung des Publikums, oftmals sehr gute Moderation, wie immer bei Kongressen zu viele spannende Sachen gleichzeitig

Negativ:

Teilweise „Mackerkultur“ (mehrfach irgendwie unnötig angerempelt worden, so rücksichtsloses Verhalten nervt mich schnell), überhaupt reden auch mehr (weiße, studierte) Männer als Frauen (der Frauenanteil ist sicherlich nicht bei 50 Prozent), aber zumindest wird über quotierte Redelisten nachgedacht und gesprochen, Essen recht teuer und kaum vegan.

Ein Kritikpunkt mal extra: Mir fällt wiederum auf, dass wir bei diversen Workshops und Themen über Betroffene (Asylsuchende, Roma, von Rassismus betroffene Menschen etc.) sprechen, aber im Grunde keine Betroffenen selber zu Wort kommen oder selber Workshops/Vorträge anbieten. Generell sollte antifaschistische Politik mehr mit Betroffenen zusammen gemacht werden. Ich finde, daran könnten wir in der antifaschistischen Szene arbeiten.

„Mouvement mondial“?

„Unsere Antwort steht fest: Globaler Protest.“ Aufstehn. Irie Révoltés

Nun fragen mich Menschen ja immer mal, was denn nun passieren soll. Was denn eigentlich mein Ansatz sei (bezüglich Rassismus, bezüglich der Probleme in der Gesellschaft). Klingt es depressiv, wenn ich schreibe, dass ich nicht mehr so recht an so Klein-Klein-Lösungen glaube? Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht ebenfalls immer mal so ein Ohnmachtsgefühl, nichts ändern zu können…

Was sind denn die Probleme?

Nach meiner Auffassung ist eins der Grundprobleme Entsolidarisierung.

Aus 2011 gibt es die Studie des Soziologen W. Heitmeyer über „Deutsche Zustände“: Es geht um eine Langzeitstudie über „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.

„Für die weltweit größte Studie dieser Art wurden in den zehn Jahren insgesamt 23.000 Personen nach ihrer Haltung zu schwachen Gruppen, wie etwa Migranten oder Langzeitarbeitslosen, befragt.“

Siehe Presseberichte dradio und taz.

„Wilhelm Heitmeyer sorgt allerdings das auffälligste Ergebnis: Dass nämlich gerade die mittleren bis höheren Schichten unserer Gesellschaft die Solidarität mit den unteren Klassen aufkündigen und auf Ellbogenmentalität umschalten; dass also unsere bisherige tolerante Bürgerlichkeit durch eine „rohe“ ersetzt wird:

‚Diese rohe Bürgerlichkeit lässt sich in ihrer Selbstgewissheit nicht stören: Die Würde bestimmter Menschen und die Gleichwertigkeit von Gruppen sind antastbar.'“

https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/330_arabischer_fruehling/rez1_heitmeyer


„Der diesjährige Report warnt, dass etwa 47 Prozent der repräsentativ Befragten den AsylbewerberInnen einen legitimen Grund für ihre Einwanderung absprechen. Über 40 Prozent äußern Unmut bei der Vorstellung, Roma und Sinti könnten sich in ihrer Wohngegend aufhalten. Jüngere und Wohlhabende neigen zunehmend zur Abwertung von Langzeitarbeitslosen.“

Dieser Trend der Entsolidarisierung mit Schwächeren scheint sich auch heute nicht abgeschwächt zu haben, sondern eher zuzunehmen, wenn man aktuelle Ereignisse in Duisburg (In den Peschen) oder Berlin-Hellersdorf betrachtet.

Grundsätzlich gibt es gefühlt weiterhin in breiten Teilen der Bevölkerung eine diffuse Unzufriedenheit und Ängste, sozial abzusteigen oder finanzielle Sicherheit einzubüßen. Dies führt dann leider nicht dazu, dass sich Gruppen zusammenschließen, sondern zum Treten nach unten.

Und ich werde so richtig wütend, wenn ich dann sowas am frühen Morgen lesen muss:
[TW Innenminister Friedrich] http://www.spiegel.de/politik/ausland/friedrich-verlangt-haerte-gegen-armutseinwanderer-aus-der-eu-a-926609.html

„Zu Gast bei Freunden“ gilt halt nur, wenn man zum Wachstum beiträgt und nicht etwa aus Not hier landet. Widerlich. Vielleicht mag sich der Mob einfach mal vorstellen, dass die Menschen hierhin kommen, weil sie keinen Ausweg sehen? ICH WILL SCHREIEN.

Um was geht es denn da eigentlich? Besitzstandswahrung aus Angst vor Veränderung?
Purer Egoismus? Deutsches Geld für Deutsche Kinder?

Ok. Ganz ruhig….
Fangen wir das mal anders an:
Fahren Sie/fährst Du Bahn?
Sehen Sie/schau mal in die Augen der Menschen.

Wie viele freuen sich auf den Tag?
Wohin fahren die Menschen?

Zur Schule, die wie viel freie Entfaltung wirklich zulässt?
Zur Arbeit, die wem dient?

Und nachmittags?
Sport? (Brot und Spiele?)
Fernsehen?

Und die Menschen, die sich nun schon politisch engagieren: Was verändern wir denn eigentlich wirklich?

Die Utopie/der Traum von einer besseren Welt

„Unter Geist des Anarchismus verstehe ich jenes umfassende menschliche Gefühl, das das Wohl aller, die Freiheit und Gerechtigkeit für alle, die Solidarität und Liebe unter allen anstrebt und nicht ausschließlich die Anarchisten im eigentlichen Sinne kennzeichnet, sondern alle großherzigen, geistig offenen Menschen erfüllt.“

Errico Malatesta

Ein paar konkretere Ansätze:

Bedingungsloses Grundeinkommen (Sicherheit, dass man nicht jeden Tag für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse kämpfen muss, besseres Ausgangsverhältnis, niemand muss sich ausbeuten/schlecht behandeln lassen)

Umverteilung (im Grunde sind genug finanzielle Mittel da, um Menschen (weltweit) zu versorgen)

Wie fühlt man sich wohl mit so richtig viel Geld, wenn man ein Herz hat und sich in der Welt umsieht? http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Wirtschaft/d/3634106/deutschlands-reiche-haben-mehr-geld-denn-je.html

Neoliberales Gedankengut anzweifeln (Solidarität lehren, lernen und stärken statt Konkurrenz, „das System“ Kapitalismus und das Ausspielen von Macht funktioniert besonders gut, wenn wir gegeneinander gehen)

Verzicht (auf Fleisch zum Beispiel, weil es für die Ernährung der Welt sinnvoller ist, nicht so viel Tierprodukte zu essen, nebenbei auch für die Tiere…)
Ja. Verzicht tut weh. Ich habe da auch kein Interesse an einer Moralkeule. Aber guckt euch um. Wem geht es besser? Wem geht es schlechter? Und was kann ich tun, um Menschen zu stärken, denen es schlechter geht als mir? Das kann finanziell sein oder durch Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und Respekt und Engagement.

Wir müssen endlich über den Tellerrand unserer in großen Teilen doch sehr heilen Welt hinausgucken. (Ja. Ich weiß, meine Welt ist sicher noch einen ganzen Tick heiler. Ich verdiene viel Geld. Ich gebe davon viel weg und das ist auch schwierig, weil ich das Gönnerhafte nicht mag. Aber ich mag Freunde unterstützen. Ich wohne hübsch. Ich kann mir leisten, einen recht großen Teil meines Geldes anderweitig abzugeben. Aber das sind halt gesamt gesehen Peanuts…)

Ich frage mich zunehmend, was wirklich wichtig ist.

Brauchen wir eigentlich alles? Das Auto? Das zigste Elektronikgerät? Die zwanzigste Jeans (produziert unter miesesten Bedingungen in Bangladesch)?

Mein Ausbruch aus diesem Konsumdenken ist auch nicht immer konsequent. Auch das weiß ich. Aber glücklicher macht mich nicht viel davon. Was also macht vielleicht glücklicher?

Freunde. Und da kann ein Punkkonzert in einer ranzigen Lokation angenehmer/authentischer und erfüllender sein, als jede Schnittchen- und Sektchen-Veranstaltung.

Politisches/ehrenamtliches Engagement erfüllt mich. Mit Menschen, die ähnliche Werte vertreten. Das Gefühl, Hilfe zu bekommen und Zuspruch und Solidarität.
Plenumsdiskussionen in unterschiedlichen Projekten können auch sehr anstrengend sein, aber manchmal bewegt man halt auch gemeinsam was. Und dann fühlt es sich richtig gut an.

Ich denke, dass jede/r im Rahmen seiner Möglichkeiten die Welt ein wenig besser machen kann. (Ob das dann auch jede/r will, ist eine spannende Frage.)

Ok. Für den kommenden Absatz/Gedanken gibt es Prügel;)

Sich Fragen, ob man das System noch stützen will (oder wo man es schwächt). (Ich grübele immer noch, ob es nicht auch mal interessant wäre, wenn möglichst viele Menschen, die nicht mehr an das alles glauben, einfach nicht wählen gehen… Zumindest jedenfalls verstehe ich Nichtwähler*innen irgendwie…)

Die Grundsatzfrage ist: Welche Gesellschaft wollen wir? Wie wollen wir leben?
(Und da sehe ich tatsächlich Potential für eine Welt, die Hierarchien/Macht mehr anzweifelt.)

Und dann ende ich wieder beim Anarchismus. Oder beginnt es da erst? „Die Grundidee des Liberalismus ist es, die persönliche Unabhängigkeit zu sichern. Die Grundidee des Kommunismus ist es, das gesellschaftliche Wohl zu sichern.“

Anarchismus also als „Synthese der besten Aspekte des Liberalismus und des Kommunismus“?

Zumindest die Grundwerte des Anarchismus müssen wir immer wieder in Erinnerung rufen, diskutieren, verinnerlichen, weiterentwickeln, verbreiten, leben, finde ich:

Freiheit, Unabhängigkeit, Solidarität, Internationalismus, freiwillige Assoziation, Föderalismus, Bildung, Spontaneität, Harmonie, gegenseitige Hilfe.“

Zitate aus C. Milstein: „Der Anarchismus und seine Ideale“

Besorgte Bürger*innen oder Lynchmob?

Heute standen in Duisburg wieder mehrere Kundgebungen/Demos an. Als erstes eine Veranstaltung von Bürger*innen: http://www.radioduisburg.de/duisburg/lokalnachrichten/lokalnachrichten/archive/2013/09/24/article/in-den-peschen-in-rheinhausen-stehen-die-naechsten-demonstrationen-an.html
(In deren Flyer machen sie mit dem Haus „In den Peschen“ auf. Leider finde ich den Flyer gerade nicht im Netz.)

Vor meiner Ankunft am Hochemmericher Markplatz in Duisburg wurde dort mehreren Gegendemonstrant*innen ein Platzverweis erteilt. Wir waren also dann vor Ort nur sehr wenige Gegendemonstrant*innen.

Der Versammlungsleiter erzählte dann in seiner Einstiegsrede gleichzeitig was von Toleranz und belässt aber trotz ausdrücklichem Hinweis darauf Menschen mit Thor Steinar Sachen (teilweiser NW Duisburg (?), teilweise sogar mit Ordnerbinde) in der Kundgebung. Die könnten ruhig mitdemonstrieren, das sei ja Meinungsfreiheit, ergänzt ein anderer Mann.

Nachtrag: Auf ihrer Facebookseite behaupten die Bürger*innen, die Bilder der Nazis in ihrer Mitte seien Fotomontagen:
https://www.facebook.com/groups/260550860733260/
(Offensichtlich schrecken sie vor Lügen keinesfalls zurück. Die Bilder wurden von verschiedensten Personen gemacht. Auch der anwesenden Presse und der Polizei müssen diese Menschen aufgefallen sein. Siehe auch die Fotoserie von „Der Westen„.)

Es wird in den ersten Reden vor allem Angst geschürt und auf die Kriminalität hingewiesen (zum Teil mit absurden Behauptungen. Es sollen zum Beispiel 300 Schafe gestohlen und auf „der Rheinbrücke verrichtet“ worden sein.)

Zwischendurch eskaliert es fast. Eine sehr mutige Frau, die wohl zufällig vorbeikam, redet spontan. Sie weist auf die antisolidarische Stimmung hin und bittet um Verständnis für Armutsflüchtlinge. Da zeigt sich, wie es mit der Meinungsfreiheit der Bürger*innen wirklich aussieht. Die Frau soll aufhören, zu reden. Sie wird ausgebuht. Wir stellen uns solidarisch zu der Frau. Der Rednerin wird das Mikro abgenommen. In der Mitte der Kundgebung, also zwischen den Bürger*innen, danken wir der Frau für ihre Rede. Bürger*innen kommen daraufhin sehr nah und bedrängen uns. Nach meiner Frage, warum sie offen Nazis in ihrer Mitte dulden, werde ich massiv beschimpft und mir wird gesagt, ich solle „nach Rumänien gehen.“ Dieselbe Frau, die das sagt, wettert vorher, dass es ja Geld nur für deutsche Kinder geben solle. Wir werden körperlich von Bürger*innen angegriffen, körperlich bedrängt und mehrfach geschubst. (Ein Ordner hat sich nach der Veranstaltung aber immerhin bei mir dafür entschuldigt. Ob aus Einsicht oder aus Angst vor einer Anzeige, weiß ich nicht.) Wir begeben uns daraufhin außerhalb des Pulks.

Es wird weiterhin vom „Problemhaus“ gesprochen, deutsches Liedgut gespielt und ein Rapper rappt irgendwas mit Stolz auf Deutschland.

Es fällt die Aussage „Dann ist Deutschland verloren“.

Die Stimmung ist unangenehm, aufgeheizt und es fehlen nur die Fackeln und Mistgabeln…

Es gibt auch offene Hetze:
„Scheiß Bulgaren. Die werfen Waschmaschinen aus dem Fenster und kacken aus dem Fenster.“

Jemand von uns fragt die Polizei, ob das für eine Anzeige reiche. Die Anzeige wird erstattet. Danach verbale Angriffe auf uns. Derjenige, der Anzeige erstattet hat, wird als „Pisser“ beschimpft und dass er nicht „die Eier“ habe, sich direkt mit ihnen auseinander zu setzen. Weiterhin werden wir als „Gutmenschen“ beschimpft. Immer alles sehr körperlich nah und sehr unangenehm bedrohlich. Es wird von mehreren Bürger*innen behauptet, niemand außer uns hätte das gehört….

Wir sind dann weiter zur Demo gegen Pro NRW „In den Peschen“. (Auf dem Weg dorthin hört ein Bekannter mehreren Menschen zu, die auch von der Bürger*innenkundgebung dorthin laufen. Eine Frau soll telefoniert und dabei gesagt haben, dass es doch auch gut wäre, wenn jemand das Haus anzünde. Dann wäre auch Ruhe.)

In den Peschen werden wir noch einmal von der oben genannten Bürgerin, die wir angezeigt haben, angesprochen. Sie möchte zusammen mit einer Begleitung wissen, warum wir sie angezeigt hätten. Wir benennen ihre Aussage. Sie habe „Scheiß Bulgaren“ gesagt. Daraufhin sagt ihre Begleitung „Recht hat sie“. Weiterhin bedroht sie uns. Ihr Freund sei „Bulle“ (Zitat) und wir wüssten ja gar nicht, mit wem wir uns da jetzt angelegt hätten. Ein Mann mit „Patriot“-Shirt sagt dann, sie „sollen ‚die Antifa‘ in Ruhe lassen“. (Derselbe soll etwas später gedroht haben, jemandem von uns (Antifa) die Beine zu brechen.)

Auf der Veranstaltung stehen also die vormals besorgten Bürger*innen auf der Seite gegen Pro NRW. Das ist ja doch dann sehr inkonsequent. Sie rufen zum Teil: „Wir sind keine Nazis, wir sind besorgte Eltern.“ im Schulterschluss mit Nazis.

Als Pro NRW kommt, stehen wir Gegendemonstrant*innen für eine Weile zwischen Pro NRW (geschützt von Polizei und mit zwei Reihen Absperrgitter) und hinter uns stehen die „besorgten Bürger*innen“ zusammen mit Nazis (zum Teil wohl auch Division Duisburg und NW Duisburg). Unangenehm. Die Polizei geht erst nach mehrfacher Aufforderung und Bitte dazwischen.

Nach Neumühl zur Kundgebung von Pro NRW bin ich nicht mehr gefahren. Aber ein Kollege hat mir berichtet, dass die Anwohner*innen dort (ich erlebte einige von ihnen schon derletzt) mit Hassparolen „Kein Asyl in Neumühl“ direkt zur Seite von Pro NRW gegangen seien. Das ist dann zumindest konsequent.

Die heute offen rassistischen Äußerungen der „besorgten Bürger*innen“ und deren Lynchmobstimmung sowie deren offene Aggression bis hin zu körperlichen Übergriffen machen für mich auch deutlich, dass die Geschichten von der Bürger*innenversammlung, die angeblich von „Linksautonomen“ überfallen wurden, auch deutlich anders gewesen seien könnte…

Diese Menschen machen mir Angst. Diese Stimmung macht mir Angst. Sie behaupten, keine Nazis zu sein und finden es unfair, wenn man sie als solche bezeichnet. Aber ich meine, man muss da den Alltagsrassimus auch klar benennen. Die in einer Reihe, Schulter an Schulter, mit Nazis stehen und das nicht ändern, sind eben auch Nazis. Punkt.