Archiv für den Monat: Februar 2013

Über Barrierefreiheit im Landtag NRW

Oder: Warum gibt es eigentlich so wenig PolitikerInnen mit Einschränkungen?

Meine Sehbehinderung ist hoffentlich nur temporär, aber trotzdem ist das ein sinnvoller Moment, um die Barrierefreiheit im Landtag NRW zu testen. Viele Einschränkungen bemerkt man erst, wenn man selbst auf einmal damit konfrontiert ist. Darüber denkt man sonst gar nicht nach, oder?

Bei der Gelegenheit kam bei mir folgende Frage auf: Gibt es eigentlich in Deutschland oder in Europa blinde Menschen oder Menschen mit Sehbehinderungen in der Politik?
Mir fällt keine/r ein. Warum ist das denn so? Mir scheint, gerade in der Politik könnten wir aufgrund
der recht guten Voraussetzungen Inklusion aktiv leben.

In der Schule wäre es zumindest schwierig, aktuell zu arbeiten Klausuren könnte ich in nicht-digitaler Form nicht bearbeiten. Würde es nicht auch selbstverständlich zu Inklusion gehören, dass auch LehrerInnen mit unterschiedlichen Einschränkungen im Schulsystem willkommen sind? Mir scheint, da haben wir noch ein weiten Weg vor uns gesellschaftlich.
Normal wäre ich also krankgeschrieben, bis es besser wird (was hoffentlich bald der Fall ist.)

Wie klappt das derzeit im Landtag?

Eigentlich ganz gut. Raumorientierung klappt, weil ich mich mittlerweile ganz gut auskenne. Mein Büro finde ich also 😉 und die meisten Räume, die ich gewöhnlich aufsuche, auch. Toll ist: Im Normalfall sind alle Dokumente digital verfügbar. Die kann ich also sehr groß am iPad lesen (diese Hilfe bei Windows mit der Bildschirmlupe reicht gerade nicht aus. Vielleicht weiß ich aber auch nicht, wie man da die Einstellungen verändert.) Dokumente kann man am iPad auch markieren und vorlesen lassen. Das ist auch hilfreich. Allerdings bin ich normalerweise ein sehr visueller Mensch. Lernen und merken via Audio-Input fällt mir schwerer. Es geht aber insgesamt einigermaßen. Einfacher ist es vermutlich sowieso für Menschen, die dauerhaft mit Sehbehinderungen leben, weil mir an vielen Stellen derzeit Routine fehlt. Ich fühle mich unsicher auf dem Flur, weil ich eventuell Menschen nicht erkenne und vielleicht zwei Mal am Tag grüße. Unsicher bin Ischia Ausschuss. Ich kann mir nicht vorstellen, so im Plenum zu reden, weil ich dann komplett frei reden müsste. Und auch, weil so sämtliche Rückmeldung aus dem Plenum mit Augenkontakt oder so wegfällt. Dies wiederum könnte aber auch eine Hilfe sein 😉 Sollte also irgendwann nicht wieder alles gut werden, ist das sicher eine Frage der Gewöhnung.
Unsicher bin ich auch bei der Orientierung in einer fremden Umgebung zum Beispiel. An fremden Bahnhöfen. Wenn ich Menschen um Hilfe bitten muss. Beim Einkauf.
Beim Bäcker. Vermutlich morgen bei der Podiumsdiskussion. Ständig muss ich mich erklären.

Aber vermutlich ist das alles kein Grund, etwas nicht zu versuchen.

Audiounterstützung im Aufzug gibt es zumindest nicht bei dem Aufzug, den ich gewöhnlich benutze. Die Tasten haben auch keine Blindenschrift, meine ich. (Zumindest habe ich keine gefunden.) ich schätze aber, dass dies bei den Hauptaufzügen im von Besuchern mehr frequentierten Bereich der Fall ist.

Ansonsten ist es generell so, dass alle MitarbeiterInnen immer sehr freundlich und hilfsbereit sind. Das ist also sicher kein Problem.

Anders als in der Schule haben wir hier zudem Referenten/Referentinnen und persönliche MitarbeiterInnen, die Aufgaben übernehmen, fachlich beraten und anderweitig unterstützen (Briefe und Mails schreiben, Termine zu-und absagen und einfach bei allen anfallenden Tätigkeiten helfen können). Auch das macht die Arbeit mit Beeinträchtigung sehr viel leichter.

Ich würde mich freuen, wenn ich Menschen Mut machen könnte.
Menschen mit Handicaps können im allgemeinen im Alltag viel besser damit umgehen als ich.

Also lasst euch nicht erzählen, was geht und was nicht. Was ihr werden dürft und was nicht.

Ich wünsche mir Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen in Schulen, in unterschiedlichsten Berufen und selbstverständlich auch in der Politik!

(Wir bieten auch immer gerne Praktikumsstellen an!)

Augenerkrankung – aktuell

Nun. So langsam wird alles mühsam….

Stand heute: auf dem guten Auge sind es noch 12 Prozent Sehstärke. Hinzu kommen größere Ausfälle in der Mitte des Gesichtsfeldes, also genau an der Stelle des schärfsten Sehens. In dem Moment des objektiven Befundes muss ich dann doch mal durchatmen.

Ich versuche trotzdem weiter hier zu schreiben und auch so gut es geht, arbeiten zu gehen.
Schreiben ist aber ohne Garantie. Ich weiß nicht, wie viele Fehler ich so einbaue.

Kontakte bitte per birgit.rydlewski@googlemail.com
(Das kann ich einfach abrufen und auch gut sehr groß stellen.)

Wie abgeschnitten von der Welt man sich fühlt, wenn man kaum noch lesen kann..

Aber keine Panik. Normal wird es mit Spritze irgendwann besser.
(Spritze zunächst neben das Auge bekommen. Nun 14 Tage Daumen drücken und warten.)

Noch ein Nachtrag: für Menschen, die normal sehen können, ist das Ausmaß der Einschränkung schwer einzuschätzen.

Die Sehstärke ist nicht so gut. Das bedeutet, dass ich Text sehr groß machen muss, um ihn lesen zu können. Auf dem alten Handy geht das nicht. SMS kann ich deshalb derzeit nicht lesen. Auch keine Anrufe mit unbekannter Nummer entziffern.

Erschwerend hinzu kommt der Ausfall in der Mitte. Dort sehe ich dunkle Flecken. Das bedeutet, dass in Texten, Worten die Mitte fehlt. Bei Texten/Worten kann ich eventuell logisch schlussfolgern, was in der Mitte steht. Bei Ziffern, Telefonnummern, Bankdaten etc. geht das nicht. Das muss ich mir vorlesen lassen.

Orientierung im Raum geht ganz gut. Auch außen. Wobei ich immer mal Menschen fragen muss. Speziell in Gegenden, in denen ich mich nicht auskenne. Das ist immer mal mit blöden Erlebnissen verbunden, weil man den Augen den Ausfall nicht ansieht. Meist sind Menschen aber tatsächlich sehr hilfsbereit, wenn ich kurz erkläre, dass ich etwas nicht erkennen kann.

Die „fließende Schullaufbahn“ und das Sitzenbleiben

Aus aktuellem Anlass mal wieder ein paar Worte über das, was diePiraten in NRW als „Fließende Schullaufbahn“ bezeichnen.

http://www.piratenpartei-nrw.de/politik/bildungspolitik/schule/

Derzeit wird endlich die Diskussion geführt, das Sitzenbleiben in der Schule abzuschaffen. Diese Diskussion ist lange überfällig. Sitzenbleiben gehört abgeschafft!

Sitzenbleiben kostet unnötig Geld, führt zu unnötiger Frustration und ist pädagogisch nicht sinnvoll. Die Grundlage ist doch, dass SchülerInnen in mehreren Fächern das Kursziel nicht erreicht haben. Es gibt also ein Interesse, dass die SchülerInnen diese Kurse wiederholen. Es spricht aber nichts dafür, dass zusätzlich auch die vielen Kurse wiederholt werden, in denen die SchülerInnen ausreichende Kompetenzen nachweisen konnten.
Es reicht also, wenn nicht das gesamte Spektrum an Kursen wiederholt wird, sondern nur die Kurse, in denen Defizite vorhanden sind.

Das von den Piraten NRW angedachte flexiblere System hat aber noch weitere Vorteile:

Wir wünschen uns ein Schulsystem, das echtes individuelles Lernen ermöglicht. (Damit wäre auch die Diskussion von G8 oder G9 vom Tisch.)

Ein flexibleres Schulsystem hat weitere Vorteile. Beispiel aus dem Berufskolleg:
Eine Schülerin kommt nach dem Hauptschulabschluss zum Berufskolleg in die Handelsschule, um dort den mittleren Schulabschluss zu erwerben. Im ersten Jahr ist sie leider nicht so motiviert und muss deshalb das Schuljahr wiederholen wegen mangelhafter Leistungen in Deutsch und Sport. In Volkswirtschaftslehre hingegen war sie gut. Nun hört sie also den Kurs Volkswirtschaftslehre ein weiteres Mal. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Handelsschule hat die Schülerin viel Spaß am Lernen und besucht daraufhin die Höhere Handelsschule mit dem Ziel der Fachhochschulreife. Wiederum muss sie den Kurs Volkswirtschaftslehre wiederum belegen. Im schlimmsten Fall nochmal, wenn sie nach erfolgreichem Abschluss in die Banklehre geht.
Schlussfolgerung: Es wäre sinnvoll, Kurse als erfolgreich teilgenommen zu zertifizieren und für die weitere Schullaufbahn und Ausbildung anzuerkennen. Dies könnte durchaus auch für außerhalb der Schule erworbene Kompetenzen ermöglicht werden.

Über den Kontrollverlust bei Krankheit

Aktuell habe ich mal wieder Probleme mit meinem Auge (ich habe ja nur noch eins, was so richtig funktioniert). Vielleicht der richtige Moment, um darüber nachzudenken, was das eigentlich so mit einem macht, so eine Krankheit.

So richtig weiß niemand, was da eigentlich los ist. Die Pigmentepithelschicht entzündet sich, so dass dadurch in Folge die Netzhaut zerstört werden kann. Beim rechten Auge muss sowas in der Art passiert sein, als ich ungefähr 18 Jahre alt war. Die Mitte der Netzhaut ist komplett vernarbt, weshalb das Auge nicht mehr richtig taugt. Irgendwann vor ein paar Jahren fing es dann auf dem linken Auge auch an. Damit konnte niemand rechnen. Bei der Verbeamtung war das durchaus Thema, aber solche Krankheiten treten wohl kaum auf beiden Augen auf und so war das damals auch von allen Ärzten eingeschätzt worden. Es ist nicht richtig klar, ob es überhaupt dieselbe Erkrankung ist. Es ist auch nicht klar, was der Auslöser ist. Eventuell Kälte (tritt immer nur um Winter auf). Es könnten auch irgendwelche Mikroerreger sein, die durch eine Erkältung etc. aktiviert werden. Das könnte zum Beispiel jetzt passiert sein, weil ich mehrere Tage mit Fieber und Grippe gelegen habe. Die Chancen, die Ursachen herauszufinden, sind aber generell eher gering. (Getestet wurde Toxoplasmose, Borreliose, Sarkoidose etc.)

Als ich das erste Mal mit dem linken Auge zum Arzt gegangen bin, weil ich anfing, Flecken zu sehen (stellt euch vor, ihr habt in die Sonne gesehen), war ich noch irritiert, wenn ein Arzt sagte, dass er mal lieber noch einen Kollegen holt. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass Ärzte, die das vorher nicht gesehen haben, nichts damit anzufangen wissen. Der eine sagt: „Ach, Sie sind das.“ (auch, wenn er mich Jahre nicht gesehen hat.) Meine Achtung hatte ein Chefarzt, der ganz offen zugab, dass er bezüglich der Behandlung unsicher sei und er gerne die Meinung eines Spezialisten aus der Uni-Klinik in Essen hören wollte. In beiden Kliniken bin ich heute noch, je nach Stand der Diagnose, in Behandlung. Letztendlich war es die ganze Zeit viel Ausprobieren. Zig Diagnosemethoden. Bilder mit und ohne Farbstoff. OCT. Was immer die Augendiagnostik so bietet. Am Ende lief es in den meisten Fällen auf Cortison (also genauer: Triamcinolon) hinaus. Das kann man ins Auge spritzen (klingt schlimmer als es ist, hat aber die Nebenwirkung, dass der Augeninnendruck steigt und die Linse leidet oder direkt neben das Auge (das muss man dann auch nicht unter OP-Bedingungen machen). In beiden Fällen braucht man Geduld. Die Zeit, bis die Sehstärke wieder normal ist, hat zwischen 4 Wochen und mehreren Monaten betragen).

Was macht das eigentlich mit einem? So psychisch?

Als ich das erste Mal daran erkrankte, hatte ich zunächst Angst, es könnte ein Tumor sein. Panik. Dann lange Phasen, in denen ich durch zig Diagnosen geschleift wurde und von Klinik zu Klinik gereicht. Da war ich noch recht ruhig. Aber ich hatte zwei Schlüsselerlebnisse. Einmal musste ich in Essen im Hauptbahnhof zur Apotheke und habe Passanten danach gefragt. Ich wurde total angeraunzt, die Apotheke sei doch sofort da vorne. Als ich erwiderte, dass ich das nicht sehen könne, waren die Menschen beschämt.
Bei dieser Augenerkrankung sieht man es den Augen halt überhaupt nicht an, dass sie nicht funktionieren. Blöd ist auch, dass es für Sehbehinderte wenig Hilfe gibt, auf welches Gleis man muss etc. Immer musste ich fragen mit den bekannten Unverständnisreaktionen.

Das zweite Schlüsselerlebnis war in der Straßenbahn zur Klinik. Ich war ganz sicher, dass ich in die 106 eingestiegen war, aber anhand der Ansagen merkte ich irgendwann, dass das nicht stimmen konnte. Ich habe heulend in der Straßenbahn gesessen, weil mir da so offensichtlich bewusst wurde, wie hilflos ich auf einmal geworden war. (Der Schaffner hat mir dann sehr lieb geholfen.)

In dem Jahr war ich nach ca. sechs Wochen wieder arbeitsfähig. Dann verdrängt man es etwas. Bis zum nächsten Schub, der direkt im Jahr danach war. Wieder im Winter.
Dieses Mal wirkte das Cortison nicht so richtig. Von der Injektion ins Auge bis zur Besserung vergingen mehrere Monate, in denen ich mich irgendwann damit abgefunden hatte, dass es vielleicht nie wieder zum Auto fahren reichen würde. (Dafür braucht man 60 Prozent auf einem Auge.) Zwischendurch habe ich mal angefangen, Blindenschrift zu lernen, aber das ist so schwer, wenn man das erst im Laufe des Lebens lernt. (Ich habe unsere blinde Schülerin so bewundert, weil sie so schnell lesen konnte.)

Ich wollte aber immer weiterarbeiten. Meinen Lehrerjob habe ich geliebt. Also wollte ich auch mit Sehbehinderung weitermachen. Den Kampf hätte ich durchgefochten.

Die Erfahrungen mit SchülerInnen in der Zeit waren auch spannend. Am Anfang habe ich meist noch gearbeitet und so waren auch SchülerInnen mit der offensichtlichen Schwäche konfrontiert. Ich muss sagen, dass sie es nie ausgenutzt haben. Im Gegenteil sind viele SchülerInnen sehr sensibel damit umgegangen. Eine Schülerin nahm mir im dunkeln Flur den Schlüssel vom EDV-Raum ab, weil ich die Tür nicht schnell aufschließen konnte und hat einfach die Tür aufgeschlossen. Viele SchülerInnen haben bei Ihren Präsentationen darauf geachtet, dass ich trotzdem genug verstand,obwohl ich es nicht mehr lesen konnte. Sie waren insgesamt viel selbstständiger. Haben Klassengeschäfte selbst geregelt (was sonst nie klappte.) Vielleicht kann das Menschen mit Behinderungen Mut machen, sich auch trotzdem als LehrerIn in eine Regelschule zu trauen.

Am Ende hat sich durch den Einsatz von Cortison oder trotz (ein Oberarzt meinte, selbst da sei er nicht sicher) die Sehstärke immer wieder stabilisiert. Darauf hoffe ich jetzt auch einfach wieder.

In der Schule wäre ich jetzt schon krankgeschrieben, weil ich nicht mehr Auto fahren darf und auch zunehmend schlechter lesen kann. Im Landtag geht es vielleicht noch. Das werde ich testen. Spritzen will der Arzt erst, wenn es noch schlechter wird. Die Spritzen haben auch Nebenwirkungen (so früh will zum Beispiel niemand die Linse austauschen) und so warten wir erst einmal ab, ob es von alleine besser wird.