Archiv des Autors: Birgit Rydlewski

siamo tutti antifascisti?

Ich habe heute Folgendes getwittert:

„Es wird nicht besser, solange die „bürgerliche Mitte“ Nazis zwar doof findet, aber gleichzeitig gegen Linke/Antifa hetzt.“

Es ärgert mich. Schon lange. Wo immer es um rassistische Äußerungen oder Taten geht. Wo immer Nazis marschieren. Es findet sich immer ein Presseartikel, in dem dann behauptet wird, da gäbe es auch „gewaltbereite Linksautonome“ (aktuell gerne auch bezeichnet als „Krawalltouristen“.)

Dortmunds Oberbürgermeister U. Sierau zum Beispiel verhinderte letztes Jahr das Antifacamp, um dann auch gleich noch einen schier unsäglichen Satz mitzuliefern, in dem er sagte, „Wir können auch Mitgliedern aus dem Alerta!-Bündnis helfen, aus der Szene auszusteigen“. Weiterhin wird dann von ihm im Vorfeld der gestrigen Demo zwar erklärt, dass er Sitzblockaden für legitim hält, gleichzeitig werden diese aber verfolgt. Wie passt das zusammen?

Antifaschistische Aktionen werden gerne in einen Topf geworfen mit rechten Gewalttaten. Nicht vereinzelt, sondern systematisch. Auf so einem Boden konnten NSU-Morde über Jahre unerkannt bleiben.

In einem Bündnis gegen Nazis in Dortmund soll darüber diskutiert worden sein, wie man „die Antifa“ von der Demo am 31.8. fernhalten könne. Ja, geht es denn noch?

Punkt 1: Es gibt nicht „die Antifa“.

Punkt 2: Antifaschistisch organisierte Menschen setzen sich friedlich ein gegen Rassismus, Antiromaismus und gegen Propaganda und Übergriffe durch Nazis.
Das beinhaltet auch mal eine Blockade von Nazidemos. Ich halte es für sinnvoll und sogar für notwenig. Und dabei auch die Variante, die nicht nur „Blockade für hübsches Pressefoto“ beinhaltet, sondern die Variante, bei der man damit rechnen muss, von der Polizei auch unsanft entfernt zu werden und zusätzlich zum Platzverweis eine Anzeige zu kassieren. Widerstand gegen Polizei ist da schnell mal konstruiert. Sich trotzdem den Nazis in den Weg zu stellen oder zu setzen, ist vor allem mutig.

Punkt 3: Gefühlt sind Repressalien gegen linke Versammlungen allgegenwärtig. Wegen Vermummung zum Beispiel. Gefühlt ist da ein Ungleichgewicht zu rechten Demos, bei denen auch viele vermummt herumlaufen, aber nicht in gleichem Maße Vermummte herausgezogen werden. Ich kann Menschen sehr gut verstehen, die verhindern wollen, dass rechte Fotografen ihre Gesichter auf ihren Seiten veröffentlichen und dort zu Gewalt gegen linke Aktivist*innen aufrufen. Das dient also nicht zum Schutz vor Strafverfolgung, wie gerne behauptet, sondern schlicht zum Schutz des eigenen Lebens oder der Familie etc.

Punkt 4: Weiterhin muss die Rolle des Verfassungsschutzes kritisch hinterfragt werden, der permanent auf der Ansicht beharrt, es gehe gar nicht vordergründig um den Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“. Da (auch mit dem Hintergrund der NSU-Morde) nicht ein systemisches Problem zu erkennen, halte ich für naiv.

Punkt 5: Ich habe oft den Eindruck, dass gebetsmühlenartig Dinge über die „linke Szene“ verbreitet werden von Menschen, die nie auch nur einen Hauch damit zu tun hatten. Nahezu alle Erfahrungen, die ich mit antifaschistischen Bündnissen gemacht habe (viele Menschen davon sind Freund*innen geworden) waren und sind geprägt von respektvollem Umgang miteinander und von demokratischen Strukturen. Da muss ich nicht, wie an anderen Stellen der Gesellschaft, darüber diskutieren, wie man mit diskriminierender Sprache umgeht, weil es selbstverständlich ist, dass man das vermeiden kann. Da muss ich nicht darüber diskutieren, dass Sexismus scheiße ist. Da muss ich mich nicht rechtfertigen dafür, dass ich kein Fleisch esse. Da bekomme ich keine dummen Sprüche für antidiskriminierendes Engagement.

Konkret: Glaubt wirklich irgendwer, dass Antifaschist*innen nichts Besseres in ihrer Freizeit machen könnten, als überall in Deutschland nachts vor Häusern zu sitzen, weil sie Sorge haben, es könne nochmal etwas geben wie in Rostock damals? Die Stimmung in Deutschland ist derzeit wieder so, dass rassistische, ausländerfeindliche Äußerungen viel zu sehr toleriert und unter dem Deckmantel der „besorgten Bürger*innen“ kleingeredet werden. Gerne getarnt als Meinungsfreiheit und mit Sätzen wie „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen…“ oder „Ich bin ja nicht ausländerfeindlich, aber…“

Fazit: Es wäre ein Anfang, wenn Menschen vermehrt stutzig würden, wenn in Medien und von Politiker*innen „rechts“ und „links“ in einem Atemzug genannt werden.

Und dann sollten sich immer mehr Menschen selber als Antifaschist*in begreifen….

Nazidemo, Dortmund, 31.8.

Wie ihr wisst, laufen die Nazis am Samstag durch Dortmund.

Die Marschroute führt durch die östliche Innenstadt (Gerichtsstraße, Hamburger Straße, Von der Goltz-Straße, Im Defdahl, Deggingstraße, Karl-Marx-Straße, Feldstraße, Heiliger Weg, Ernst-Mehlich-Straße) und endet wohl im Stadewäldchen. Direkt gegenüber (Märkische Straße 64) befindet sich die Geschäftsstelle der Piraten in Dortmund.

Da die Piratenfraktion am Samstag um 14 Uhr dort eine Fraktionssitzung abhalten möchte, laden wir alle am Protest gegen diese Provokation interessierten Demokrat*innen und Antifaschist*innen ab 10 Uhr zum Brunch in unsere Geschäftsstelle. Für das leibliche Wohl und spannende Unterhaltung ist gesorgt. (Ihr dürft gerne noch vegane und andere Speisen mitbringen.) Wir bitten um frühzeitiges Erscheinen, da der Zugang zum Büro aufgrund möglicher Polizeisperren nicht durchgängig gewährleistet werden kann.

(Hinweis: Die Toilette im Büro ist leider nicht barrierefrei, sondern kann nur über eine Treppe erreicht werden.)

In den Peschen, Duisburg, Augenzeugenbericht vom 23.8.

Ein Freund von mir war in der Nacht vom 23. auf den 24.8. vor Ort in Duisburg. Hier sein Bericht:

„Nachdem die WAZ bzw. derwesten.de einen von vorne bis hinten erfundenen Polizeibericht veröffentlicht hat, möchte ich doch mal die letzte Nacht aus meiner Sicht wiedergeben:
Ich beteilige mich erst seit Donnerstag an den Nachtwachen, war am Freitag also das zweite Mal dabei. Ich habe mich auf eine ruhige Nacht eingestellt. Ich habe Decken, Getränke, Süßigkeiten einen Feuerlöscher und Spiele eingepackt. Als ich um 19:30 am Gebäude „In dem Peschen 3-5“ ankam, war die Stimmung jedoch deutlich angespannter als in der Nacht davor. Es fand in der Nähe gerade eine Versammlung des Vereins „Bürger für Bürger“ statt und es wurde befürchtet dass es im Anschluss zu Übergriffen gegen das Haus kommen könnte. Twitternachrichten aus der Versammlung wie „90% der Leute pöbeln rum, rassistische Aussagen ohne Ende.“ und „Der deutsche Mob tobt.“ untermauern diese Befürchtung. Es treffen immer mehr Menschen ein, die helfen wollen, das Gebäude und die Bewohner vor Übergriffen zu schützen. Darunter auch zwei junge Männer, die im späteren Verlauf noch verhaftet werden. Es gehen Gerüchte um, dass Nazis bereits in den umliegenden Straßen gesichtet wurden und es auch schon zu einem Übergriff gekommen sein soll.

Gegen 21 Uhr kommt eine Gruppe von der Bürgerversammlung zurück und berichtet von der Stimmung dort. Sie wirken verängstigt. Sie berichten, dass ihnen das Wort verboten wurde, Menschen körperlich von Wortmeldungen zurückgehalten wurden. ProNRW-Personen, Menschen die eindeutig der Division Duisburg zuzuordnen waren und offensichtliche Neonazis sollen anwesend gewesen sein. Die Menschen haben die Sitzung verlassen und wurden bis zum Auto verfolgt.

Um vorm Gebäude für Ruhe zu sorgen und um in einem Plenum zu besprechen wie weiter vorgegangen wird, wird beschlossen, dass nur ein paar Leute am Gebäude bleiben, um notfalls die Polizei zu rufen und der Rest der Helfer sich zu dem ca. 200m entfernten Gebäude des alten Mädchengymnasiums begibt, um dort in Ruhe ein Plenum abzuhalten.

Zurück am Gebäude „In dem Peschen 3-5“ bleiben die beiden Personen, die später verhaftet werden.

Vor dem alten Mädchengymnasium werden wir von einer kleinen Gruppe angesprochen, die uns entgegen kommen. Die Menschen sind sehr aufgeregt und berichten von einer gerade eben stattgefundenen Auseinandersetzung in der Nähe. Der genaue Ort der Auseinandersetzung erschließt sich mir aus den Berichten nicht. Es wurde wohl eine Gruppe, die von den Berichtenden dem Antifa-Umfeld zugeordnet wurden, von „bürgerlichen“ Menschen angepöbelt. Es kam zu Handgreiflichkeiten incl. Pfefferspray. Wer was gegen wen wie einsetzte erschloss sich mir aus den Berichten nicht.
Es kann jedoch als sicher erachtet werden, dass die beiden Menschen, die später verhaftet wurden, sich zu dem Zeitpunkt der Auseinandersetzung vor dem Gebäude „In den Peschen 3“ befanden, um es zu bewachen.

Im Plenum wird nun das weitere Vorgehen für die Nacht besprochen. Um 22:10 geht eine kleine Gruppe vom Plenum zum Gebäude „In den Peschen 3“, da mit den Bewohnern vereinbart war, dass um 22 Uhr ein Plenum mit Ihnen stattfindet, um die kommende Nacht zu besprechen.
Um 22:15 fährt ein großes Aufgebot der Polizei an uns vorbei zum Gebäude „In den Peschen 3“. Wir warten weiter am Mädchengymnasium. Berichte erreichen uns telefonisch, dass wahllos Wohnungen gestürmt, Kinder aus den Betten gerissen, Pfefferspray eingesetzt wird. Eine hochschwangere Frau muss mit dem Notarzt zum Krankenhaus gebracht werden. Ein Kind soll sich gewehrt haben und verhaftet worden sein. Der Vater, der dem Kind helfen wollte, wurde ebenfalls verhaftet. Die Bewohner sollen von der Polizei in rassistischer und sexistischer Weise bedroht und beleidigt worden sein.

Es werden direkt zu Beginn auf dem Gehweg die beiden Menschen verhaftet, die als Wache zurückgeblieben waren. Laut dem WAZ-Bericht wird ihnen vorgeworfen, Menschen, die aus der Bürgerversammlung kamen, angegriffen zu haben. Weiterhin behauptet die Polizei der WAZ gegenüber, dass die Personen ins Gebäude geflohen wären und deswegen die Polizei die Razzia durchgeführt habe. Fakt ist jedoch, dass die beiden Personen seit Stunden an der Ecke des Gebäudes standen, nicht mal in der Nähe des Eingangs und an dieser Ecke auch direkt verhaftet wurden.

Gegen 0 Uhr ist die Polizei wieder vollständig vom Gebäude „In den Peschen 3“ abgezogen. Eine Streife wurde zum Schutz nicht abgestellt. Nachdem einige Menschen, die schon länger die Nachtwache mitmachen, mit den Bewohnern gesprochen haben, wurde die Nachtwache eingeteilt. Ich bin tief beeindruckt von der Herzlichkeit, mit der die Bewohner uns direkt mit Tee empfingen. Die Bewohner waren sichtlich dankbar über unsere Anwesenheit.

Der Rest der Nacht blieb abgesehen von einem Flaschenwurf aus einem fahrenden Auto und besoffenen Pöbeleien eines Anwohners relativ ruhig. Die Polizeistreifen fuhren ca. alle halbe Stunde um das Gebäude. Gegen 3 Uhr wurde die Gruppe am Hofeingang von der Polizei angesprochen, weil es wohl Anzeigen gab, dass ein Rollerfahrer vom Gebäude aus mit einer Flasche beworfen wurde sowie dass Menschen, die aus einem Taxi stiegen bedroht und verfolgt wurden. Die Polizei räumte jedoch selbst ein, dass sich beide Vorfälle zu Zeiten ereignet haben sollen, zu denen die Polizei gerade selbst mit einem Streifenwagen vor Ort war.

Alles in allem hat mir der heutige Abend gezeigt, dass die Polizei in den Bewohnern des Gebäudes „In den Peschen 3“ nicht Opfer, sondern Täter sieht. Es geht nicht darum, Übergriffe auf das Gebäude zu verhindern, sondern die Bewohner zu diskriminieren und zu kriminalisieren. An einen Schutz des Gebäudes durch die Polizei ist damit auch mittelfristig nicht zu glauben.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht mehr daran, dass es langfristig möglich sein wird, einen Anschlag auf das Gebäude zu verhindern.“

In den Peschen, Duisburg

Über die Häuser „In den Peschen 3-5“ in Duisburg ist tatsächlich schon viel geschrieben worden. Ich greife das Thema trotzdem auf, weil ich nicht sicher bin, wie weit sich meine geneigten Leser*innen damit schon beschäftigt haben.

Die von einem Mann aus dem Rotlichtbereich vermieteten Wohnungen würden normalerweise Platz bieten für ca. 300 Menschen. Es gibt Schätzungen, dass derzeit aber über 1000 Menschen dort unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen.

Proteste von Anwohner*innen hat es schon sehr lange gegeben, die erschreckend schnell zu unreflektierter rassistischer Hetze wird. (Wer gute Nerven hat, möge die derzeit noch offene Facebookgruppe aufsuchen. Dort findet sich neben dem üblichen „Meinungsfreiheits“-Gerede und „Das wird man doch noch sagen dürfen“ auch die Bezeichnung „Gutmenschen“ für diejenigen, die derzeit dort zum Schutz der Bewohner*innen Nachtwachen organisieren. Die rassistische „Mitte der Gesellschaft“ schreibt dort durchaus unverhohlen unter richtigem, komplettem Namen.) Gegen die offenen Aufrufe zum Angriff wird zwar ermittelt, jedoch zeigt sich dort, dass es „ganz normale“ Menschen sind, die dies ganz offen unterstützen. Alltagsrassismus eben.

Ja. Es gibt Kriminalität in den Häusern vor Ort. Das führt aber gerade auch unter vielen Bewohner*innen zu Streit. Viele Familien wollen eben nicht in die Kriminalität abrutschen. Sie wollen, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Sie wollen eine faire Chance. Dort bekommen sie keine. Es werden also dringend Wohnungen gesucht. (Die rechtliche Situation, was Arbeit angeht und Kindergeld etc. ist zudem nicht wirklich unterstützend. Im Grunde sind diese Menschen hier nur so gerade geduldet. Willkommen ist echt etwas anderes.)

Ich verlinke nur einen Artikel: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-organisieren-nach-hetze-gegen-auslaender-nachtwache-id8338177.html

Die Presse trägt leider seit Monaten zur ohnehin aufgeheizten Stimmung bei, denn Titel wie „Roma-Haus“ fördern den Alltagsrassimus in der Gesellschaft. Der obige Artikel fasst aber die aktuelle Situation zumindest einigermaßen treffend zusammen.

Ich war gestern auch für einige Stunden bei der Nachtwache. Ich bin sehr beeindruckt zum Beispiel von Annegret Keller-Steegmann. Die Lehrerin organisiert viel vor Ort. Kulturprogramm für die Kinder (zum Teil gegen die bürokratischen Hürden der Stadt). Sie kennt viele Bewohner*innen. Als wir dort ankommen, erzählt sie uns von den Zuständen im Haus und führt uns durch das Gelände. Im Hof stehen drei Müllcontainer. Das ist natürlich viel zu wenig für die vielen Bewohner*innen. Deshalb ist der Müll darum herum verteilt. Die vielen Ratten verteilen den Müll weiter. Und werden mehr. Überall laufen sie herum. Ein wahrlich hoffnungsloser Ort.

Aber da ist auch noch die andere Seite: Die vielen freundlichen Menschen. Die Bewohner*innen, die uns in ihren Wohnungen zur Toilette gehen lassen. Die kaum selbst etwas haben, uns aber Kaffee und Kaltgetränke bringen. Ich spreche kaum Französisch oder Spanisch, aber trotzdem verständigen wir uns irgendwie. Und von deren Gastfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit unter diesen widrigen Bedingungen bin ich so gerührt für einen Moment, dass ich hätte heulen können.

Weiterhin macht Hoffnung, dass die gesamte Nacht über 30-40 Menschen vor Ort Wache halten.

Die Nacht verläuft weitgehend ruhig. Die Polizei ist allerdings leider kaum präsent. Ein Mal sehe ich eine Streife um den Block fahren, ein weiteres Mal kommt ein Polizeiwagen, weil er einen anderen Wagen verfolgt und anhält (vermutlich wegen Fahrt unter Alkohol).
Wesentlich öfter fahren Autos mit Nazis vorbei. Manche mehrfach. Manche mit rechten Aufklebern darauf. Oft viel zu schnell. Mit aufheulenden Motoren und Drohgebärden. Es zeigt, dass die Nachtwachen nötig sind, solange die Polizei dort nicht vor Ort bleibt in der Nacht. Für die kommende Nacht wurde dies angekündigt. Ich hoffe, dass dies wahr gemacht wird, denn viele Menschen haben bereits mehrere Nächte in Folge dort verbracht, um die Bewohner*innen vor Übergriffen zu schützen.

Wenn ihr also helfen wollt: lest den Twitteraccount @indenpeschen und die Texte auf der Seite: http://indenpeschen.blogsport.de/
Hilfreich für die Teilnahme an den Nachtwachen oder weitere Vernetzung ist eine kurze Mail. Die Bewohner*innen und auch die Helfer*innen vor Ort sind zu Recht sehr misstrauisch derzeit, weil sie schlicht Angst um ihr Leben haben.

Open Mind 2013

Vom 23.-25. August kommen zum vierten Mal Netzphilosoph*innen, Aktivist*innen, Sympathisant*innen und Kritiker*innen der Piratenpartei zur openmind-Konferenz in der Jugendherberge in Kassel zusammen. Unter dem Motto „Challenge accepted“ wird in Vorträgen, Workshops und einem Barcamp über politische und gesellschaftliche Visionen für die vernetzte Welt diskutiert.

Die breite Themenauswahl geht von der Wirksamkeit von Politik oder der Veränderung der Demokratie über die Wirkung von Sprache, über Cyborgs, #aufschrei, Demonstrationen bis zum Anarchismus und bietet daher erstmals in drei Räumen parallel unterschiedlichste Ansätze, die mögliche Gestaltung der Gesellschaft innerhalb und außerhalb des Netzes zu diskutieren.

Die Veranstaltung ist wie die letzten Jahren bereits im Vorfeld ausverkauft. Die Konferenzbeiträge können aber natürlich live im Internet verfolgt werden.

Pressevertreter*innen sind Samstag herzlich willkommen. Wir bitten um Anmeldung unter 0177/7792284.

Link zum Programm: https://pentabarf.junge-piraten.de/fahrplan/om13/
Den Stream finden Sie am Samstag und Sonntag auf der Homepage der openmind: http://13.openmind-konferenz.de/live/

„Dann geh doch zu den Grünen…“

Der Aufreger der Woche ist also der „Veggieday“, auch bei Piraten.
(Via Twitter wird darüber diskutiert, warum sich vorwiegend Männer über den Vorschlag aufregen. Das können wir dann gerne mal an anderer Stelle diskutieren (oder in den Kommentaren.))

Es wird gegen „Bevormundung“ aufbegehrt. Nochmal langsam. Ich habe keinen Gesetzentwurf gesehen. Ich verstehe das als (durchaus diskussionswürdigen) Vorschlag.

Ich denke, wir können durchaus mal hinterfragen, wie Fleisch so produziert wird, wie Tiere in Massentierhaltung leben. Warum also nicht darüber diskutieren? Es scheint jedenfalls ein allseits sehr emotional besetztes Thema zu sein (ähnlich wie Rauchen oder Tempolimit auf Autobahnen?)

Gibt es dazu eigentlich auch was von den Piraten?

Ja! Zum Beispiel im Wahlprogramm:
https://www.piratenpartei.de/politik/wahl-und-grundsatzprogramme/wahlprogramm-btw13/umwelt-und-verbraucherschutz/#wahlprogramm-umwelt-landwirtschaft-tierproduktion
„Wir lehnen eine industrielle Massentierhaltung ab.“

Dann wird man also in der Konsequenz auch mal über die Menge des Fleischkonsums in Deutschland diskutieren müssen. Hierzu mal ein paar Zahlen via Statistisches Bundesamt:
(Während im Jahr 2011 die Fleischproduktion zunahm, ging im Jahr 2012 erstmals seit 1997 zurück. Ist doch ein Anfang.)

Es gibt sogar eine recht deutliche Abstimmung via lqfb , in der sich 339 Pirat*innen mit 83 Prozent für ein „Umdenken beim Konsum von Lebensmitteln“ entschieden haben. Der „Veggie-Donnerstag“ wird hierbei explizit als Beispiel genannt.

In NRW steht in der Kantinenverordnung: „Das Essen soll aus Fleisch, Gemüse, Kartoffeln oder anderen gleichwertigen Nahrungsmitteln bestehen.“

Das ist doch zumindest überholt. Es wäre also ein Anfang, wenn hier mal deutlich würde, dass ein vollwertiges Essen keinesfalls notwendigerweise Fleisch enthalten muss und jede Kantine mindestens ein vegetarisches und veganes Essen parallel anbieten würde (welches nicht jeden Tag nach undefinierbarem Bratling schmeckt).

Ebenfalls sinnvoll finde ich, dass Menschen generell wieder mehr Bezug zu dem auf dem Teller bekommen sollten. Wer war denn alles schon mal in einer Mastanlage? Oder im Schlachthaus? Es geht nicht darum, Menschen zu bevormunden. Aber es geht darum, den Dingen (den Tieren) wieder einen Wert zu geben.

It’s not over – Besetzung der Hauptschule Bärendelle in Essen

Von ungefähr Sonntag Nacht/Montag früh an hatte eine Gruppe junger Menschen (Plenum Bärendelle) das seit einigen Jahren leer stehende (und mangels Investor langsam verfallende) Gebäude der Hauptschule Bärendelle in Essen besetzt.

Heute früh erfolgte die Räumung durch ein massives Aufgebot an Polizei.

Ich habe seit Montagnachmittag viele Stunden vor Ort verbracht. Aus mehreren Gründen:
Ich fühle mich der Antifa verbunden.
Ich bin der Auffassung, dass es dem Ruhrgebiet gesamt sehr gut tun würde, alternative, selbstverwaltete Projekte für Menschen zu fördern.
Ich kann mir vorstellen, dass eine Stadt ein leer stehendes Gebäude für eine Zwischennutzung frei gibt.

Was ich vor Ort erlebte:

Die Menschen dort waren allesamt friedlich und politisch hoch engagiert. Ich habe Gespräche verfolgt über feministische Sicht auf Filme, über Literatur und Kunst. All das gibt mir das Gefühl: Das sind Menschen, die das Zeug hätten, ein kulturelles, bildendes, politisches Projekt zu initiieren und zu betreiben. Die Atmosphäre dort war sehr angenehm. Musik, Kerzen, Gespräche. Und der einende Wunsch nach einem Ort, der dafür auch weiterhin verwendet werden kann.

Auf Twitter wurde mir vereinzelt „fehlendes Unrechtsbewusstsein“ vorgeworfen. Es gehe nicht, dass Menschen sich „ein Objekt der Begierde“ einfach nehmen würden. (Dass gerade „Piraten“ das so sehen, entbehrt nicht einer gewissen Komik.)

Ich bin etwas anderer Ansicht. Sicher. Es ist strafrechtlich relevant, in das Eigentum der Stadt Essen einzudringen. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass es durchaus ein wirkungsvoller Protest war, um auf Missstände aufmerksam zu machen (mit friedlichen Mitteln). Ich war selber nicht im Gebäude und kann also nichts dazu sagen, ob es dort Sachbeschädigungen durch die Besetzer*innen gegeben hat. Allerdings habe ich die staatlich legitimierte Sachbeschädigung durch die Polizei am Eingangsbereich gesehen und deren Kettensägen etc.

Ich war heute Nacht vor Ort. Der Abend verlief wie zuvor friedlich und entspannt. (Man mag darüber streiten, ob es sinnvoll ist, laute Musik zu hören nachts im Park vor der Schule, weil ich es taktisch nicht klug finde, die Anwohner*innen zu verärgern. Aber das waren nicht unmittelbar die Menschen vom Plenum Bärendelle, sondern nach meiner Wahrnehmung eher solidarische Gruppen im Park.)

Gegen Ende der Nacht gab es dann zunehmend Berichte darüber, dass die Polizei die Schule bald räumen würde. Ein Räumpanzer fuhr dann auch mal vorbei (zunächst zum Bahnhof dort, wo sich die Polizeikräfte sammelten.) Wie vermutet wurde es dann gegen 6 Uhr ernst. (Meine Nachfrage ob einer bevorstehenden Räumung wurde aus „polizeitaktischen Gründen“ von den dann kurze Zeit später abgezogenen Polizist*innen direkt vor Ort nicht beantwortet.)

Die Räumung:

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Die Polizei fuhr mit allerlei Gerät auf. Ich habe die Menge der Polizist*innen und Fahrzeuge plus Räumpanzer plus Hunde als recht bedrohlich und übertrieben empfunden. Es gab drei ähnlich lautende Ansagen durch die Polizei, bevor dann geräumt wurde. Den Besetzer*innen wurde dabei bewusst über den Mund und in ihre Erklärung gefahren. Menschen nicht ausreden zu lassen, ist auch Demonstration von Macht. Gleich zu Beginn haben Polizist*innen mit Helm etc. solidarische Menschen auch gleich mal aus dem Weg geschubst.

Zu mir war die Polizei weitgehend freundlich. Ich musste zwar gefühlte x Male meinen Ausweis zeigen, wurde aber dann auch im gesperrten Bereich toleriert. Bis eine Polizistin kam und mich gar nicht ausreden ließ. Sie hat mich hinter die Absperrung verwiesen, weil ich dort in ihrem Arbeitsbereich stehen würde. (Ich stand neben dem Zaun zum Sportplatz in sicherer Entfernung zum Eingang. Da war also kein direkter Arbeitsbereich.) Sie hat zur Kenntnis genommen, dass ich MdL bin und argumentiert, sie könne meine Anwesenheit dort nicht rechtfertigen vor den Menschen, die hinter der Absperrung bleiben müssten. Ihre vermummte Kollegin hat es dann aber gar nicht mehr mit Reden versucht, sondern mich einfach gewaltsam Richtung Absperrung gedrängt. Meinen rechten Arm hat sie auch nach mehrfacher Aufforderung (auch durch ihre Kollegin) nicht losgelassen. (Ich denke, dass jemand hinter mir das gefilmt haben müsste.) Ich selber habe mehrfach gesagt, dass ich Mitglied des Landtages sei und sie kein Recht hätten, mich dort wegzudrängen. Ich habe den Ausweis der Polizistin auch nach mehrfacher Aufforderung nicht zu sehen bekommen. Den Namen habe ich. Ich habe kein Interesse, das weiter zu verfolgen, aber interessant war, zu sehen, wie viel Spaß die Dame an dem Machtkampf hatte. Ich bin nach der Auseinandersetzung wieder nach vorne in die Nähe der Eingangstür gegangen. Ich spiele solche Privilegien nicht gerne aus. Aber an der Stelle ist es vielleicht auch einfach wichtig, Präsenz zu zeigen. Zu zeigen, dass die Polizei auch beobachtet wird. Zu zeigen, dass es mich interessiert, wie bei einer Räumung mit Menschen umgegangen wird.

Irgendwann dann kamen wohl auch Vertreter*innen der Stadt (Frau Kern? und weitere mir nicht bekannte Personen, die zum Teil auch mit der vor Ort anwesenden Presse sprachen.)

Was mich traurig macht: Formulierungen wie „Die Stadt will“, „Der Stadt gehört“ etc. Solche Formulierungen nehmen Beteiligten die Verantwortung. Da steht dann kein Mensch direkt hinter, sondern ein wenig greifbares Kollektiv. Zudem hätte ich es mutiger gefunden, wenn Vertreter*innen der Stadt den Kontakt mit den Menschen vom Plenum Bärendelle gesucht hätten (und zwar ohne Polizeischutz). Nach meinem Kenntnisstand ist das bis zuletzt nicht wirklich passiert. Man mag darüber streiten, ob es von Seiten der Besetzer*innen klüger gewesen wäre, selber offensiver den Kontakt zu suchen. Eine Mail zu schreiben, sollte aber auch von Seiten der Stadt möglich sein. Ebenfalls wenig glaubhaft fand ich die Begründung der Stadt beim Abstellen des Wassers. (Diese kenne ich allerdings nur aus Gerüchten.) Zu sagen, man hätte das gemacht, weil das Gebäude nicht mehr genutzt würde, ist zu wenig klar. Im Grunde ging es doch darum, den Besetzer*innen das Leben schwer zu machen im Haus, weil sie dort nicht erwünscht waren.

Ich finde zusammenfassend, dass sich der Protest gelohnt hat. (Und ja: Ich finde die Menschen, die das organisiert haben, mutig.)

Was nun?

Ich wünsche mir aber, dass es nun nicht vorbei ist. Ich habe die Hoffnung, dass jetzt Gespräche aufgenommen werden, die vielleicht sogar die Nutzung eines Gebäudes der Stadt für ein Autonomes Zentrum ermöglichen. Ich behaupte, damit wäre allen geholfen: Den Menschen, die sich politisch engagieren und Kunst und Kultur organisieren wollen. Der Stadt, die damit neue Freiräume schaffen könnte. Und dem Ruhrgebiet, dem viele Freiräume für derlei fehlen. In allen Städten.

Ausdrücklich loben möchte ich die Berichterstattung von Stefan Laurin und Team via Ruhrbarone, die sehr viel vor Ort waren.

Demo:

Heute (Mittwoch, 24.7.) findet um 18. 00 Uhr eine Demo am Bahnhof Essen-West statt. Nehmt teil, seid bunt und laut und friedlich.

Just let me be myself – Über Polyamorie und andere Beziehungsmodelle

tl;dr Polyamorie und weitere nicht-monoamore[1] Beziehungsmodelle sind Ausdruck der menschlichen Vielfalt und sollten zur Monoamorie[2] gleichberechtigt sein.

Die taz analysiert gerade Wahlprogramme.
Hier geht es um „Familie“.

Was wollen die Piraten?
„Verheiratet? Verpartnert? Polyamor? Den Piraten ist das egal. Sie wollen alle Lebensformen gleichstellen, Familien mit Kindern sollen besonders unterstützt werden. Kitas sollen kostenlos sein.“

Polyamor? Was ist denn das nun schon wieder…

Aufgewachsen mit Monogamie – Wie fast alle!

Die meisten von uns dürften monogame (und heterosexuelle) Zweierbeziehungen gewohnt sein, denn schließlich sind diese die seit langer Zeit einzige gesellschaftlich anerkannte und gewollte Beziehungsform. In früheren Zeiten beinhaltete dies auch einen einzigen Partner auf Lebenszeit, was bis heute unter dem Stichwort „wahre Liebe“ weiterlebt, während sich die Gesellschaft schon lange auf serielle monoamore Beziehungen, d.h. wechselnde Partner, aber immer nur einer zur Zeit, eingestellt hat.

Fast jeder von uns ist mit serieller Monoamorie aufgewachsen. Auch ich selbst, meine erste Beziehung hat vierzehn Jahre lang mit kurzer Unterbrechung gehalten. Doch so konsequent ich damals auch monoamor war, so sehr fiel zunehmend auf, dass serielle Monoamorie ebenso wie eine Beziehung auf Lebenszeit auch nicht so recht funktionierte.

Kennt ihr die Szene aus „Eyes wide shut“, in der die Hauptprotagonistin erzählt, es hätte da einen Mann gegeben, den sie nur gesehen hat und mit dem sie sofort mitgegangen wäre, ungeachtet der möglichen Folgen? Etwas Ähnliches habe ich während meiner monoamoren Beziehung mit einem Kommilitonen erlebt. Obwohl wir nicht einmal miteinander geredet haben, hat sich eine fast schon greifbare Spannung zwischen uns aufgebaut – und lediglich meine eigene Feigheit hat mich daran gehindert, daraus mehr werden zu lassen. (Aus der Distanz betrachtet wäre es sehr spannend, zu erfahren, ob der Student von damals das auch so empfunden hat. Ich frage mich, was aus dem wohl geworden ist…)

Es war damals nicht so, dass ich einen unerschütterlichen Glauben an Monoamorie hatte. Aber ich konnte mir nichts anderes vorstellen. Und ich hatte Angst davor, so offen zu sein, hatte Verlustängste, Angst, meine Stabilität zu gefährden.

Zudem dominieren in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute heterosexuelle, monoamore Beziehungen. Es gibt kaum Fernsehserien mit polyamoren Konzepten (zumindest jedenfalls nicht mit funktionierenden, harmonischen Beziehungen). Meist geht es darum, sich entscheiden zu müssen zwischen mehreren Partner*innen. Oder um Fremdgehen (was gesellschaftlich also auf eine etwas merkwürdige Art anerkannt zu seien scheint) und die Dramen darum herum. Es gibt ein paar Romane, die das Thema anreißen, aber in einem Großteil der aktuellen oder klassischen Literatur dominiert ebenfalls das gängige heterosexuelle, monoamore Modell.

Dabei hat es im Laufe der Geschichte durchaus auch immer Menschen gegeben, die anders gelebt haben. Brecht zum Beispiel hatte mehrere Freundinnen/Frauen parallel, die voneinander wussten.

Wer sich ehrlich in der Gesellschaft umsieht, in seinem Freundeskreis und in der Familie, der wird jede Menge Untreue feststellen. Wird feststellen, dass sich Liebe und Begierde wieder und wieder einen Weg suchen, um doch gestillt zu werden. Und da man dies ja eigentlich nicht haben will, da es dem Idealbild der seriellen Monogamie widerspricht, werden dann Sachen vertuscht, werden Geschichten ausgedacht, wird gelogen. Wäre es da nicht viel ehrlicher, einen anderen Weg zu gehen?

Polyamorie ist einer dieser anderen Wege. Polyamorie geht davon aus, dass Liebe nicht nur zu einer Person möglich ist, sondern dass man verschiedene Menschen auf verschiedene Arten zur selben Zeit lieben kann.

Es geht mir dabei nicht um „richtig“ oder „falsch“. Es geht um Akzeptanz verschiedener Lebensmodelle. Diskutiert mal mit Menschen (Eltern, Großeltern, Freund*innen) außerhalb der Wohlfühlbubble darüber. Wie sind da die Reaktionen auf ein Lebensmodell wie „Polyamorie“? Im günstigsten Fall ist es Unverständnis. Im ungünstigeren Fall ist man (gerade als Frau) eine Schlampe.

Gesellschaftliche Standards – und warum Polyamorie kein „Rudelbumsen“ ist

Derletzt habe ich ein paar Tweets in dem Kontext einer Diskussion um Polyamorie gelesen:

„Wenn Du mit allen ficken willst, musst Du das nicht intellektuell überhöhen.“
„Wir haben das einfach Rudelbumsen genannt.“

Polyamorie hat zunächst einmal nicht nur mit Sex zu tun, etwas, was viele Menschen missverstehen. Denn ein ganz wichtiger Aspekt von Polyamorie ist, dass es eben nicht willkürlich ist. Denn es geht um emotionale Bindung, nicht zu einer Person, sondern zu mehreren. Doch emotionale Bindungen sind niemals willkürlich, eben genausowenig, wie eine emotionale aber platonische Bindung namens Freundschaft willkürlich ist. „Da ist der Unterschied nur Sex“, möchte man nun sagen. Natürlich geht es mitunter auch um körperlich Anziehung, aber für mich geht es mehr um echte Beziehungen, auch um Liebe. Um Verantwortung füreinander. Darum, füreinander da zu sein, einzustehen. In meinem idealen Bild von Beziehungen würde das in einem Netzwerk von Menschen funktionieren, die sich mögen und entsprechend sowas wie eine Familie werden.

Praktisch geht es dann aber auch um Herausforderungen. Wie geht man mit Eifersucht um? Was ist, wenn ein/e Partner*in einen Partner/eine Partnerin hat, die eins nicht mag? Manchmal geht es vielleicht auch ganz banal um Zeitmanagement. Auf jeden Fall aber um respektvollen Umgang.

Polyamorie ist sicher nicht der einzige Weg, um Inkonsequenzen in Beziehungsleben zu lösen. Es ist ein Weg unter Vielen. Und nicht jeder ist für jeden Weg geignet, so wenig, wie ich für serielle Monogamie geeignet wäre sind andere Menschen für Polyamorie geeignet. Das ist alles bestens, solange jeder die freie Wahl des Weges hat und nicht wegen seinem persönlichen Weg angegriffen und diffamiert wird.

Dabei gibt es noch viel mehr als nur die Pole Polyamorie und Monoamorie. Dazwischen gibt eine Vielzahl verschiedener Beziehungsmodelle, welche alle ihre Berechtigung haben. Denn während Polyamorie von mehreren gleichberechtigten Partnern ausgeht, ist z.B. auch eine Form der Priorisierung denkbar, wo ein(e) Partner(in) einen gesonderten Status hat

Ziel: Gleichberechtigung der Lebensmodelle

Für mich ist das wichtigste daran, dass alle Lebensmodelle eine Berechtigung haben und parallel nebeneinander existieren können – ganz wie im Artikel der taz geschrieben. Das bedeutet insbesondere, dass es eine steuerliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung zwischen all den Modellen gibt. Das bedeutet nicht, dass irgendwem irgendein Modell vorgeschrieben wird, sondern im Gegenteil – wir müssen die persönliche Wahl haben dürfen und diese persönliche Wahl muss von anderen akzeptiert werden.

Bei der Open Mind Konferenz im August wollen wir mit ein paar Menschen mit ganz unterschiedlicher Auffassung das Thema „Lebensmodelle“ in einem Videopodcast (Freitag Abend) diskutieren. Input/Anmerkungen/Kommentare/Diskussion deshalb gerne schon vorab hier! (Leider abgesagt.)

[1] Um nicht nur binär zwei Lebensmodelle zu betrachten, wird im Textverlauf der Begriff nicht-monoamore Beziehungen verwendet. Damit sind dann auch weitere Lebensmodelle integriert wie zum Beispiel offene Beziehungen, Absprachen in monoamoren Beziehungen (don’t ask, don’t tell), keine Beziehung etc.

[2] Der Begriff „Monoamorie“ wird verwendet, weil „Monogamie“ zwar geläufiger ist, aber sich vom Wort her auf die Ehe bezieht und damit nicht weitreichend genug ist.

Globales Lernen

Bericht von meinem Besuch im Welthaus Bielefeld zu einer Veranstaltung über Globales Lernen in der Region OWL:

Aus meiner Zeit als Lehrerin weiß ich, dass Schüler*innen, wenn sie mit ca. 16 Jahren bei mir im Berufskolleg landeten, erschreckend wenig wissen über diverse (auch globale) Zusammenhänge.

Wie ist das eigentlich mit Fleischproduktion?
Wo kommt die Jeans her und wie leben die Menschen, die sie nähen?
Wie ist das mit Handys?
Ist meine Schokolade mit Kinderarbeit produziert?

Es hat Gründe, warum ich vegetarisch esse, warum ich ab und an noch bei Attac bin und warum ich ein Fairphone bestellt habe. Insofern war der Termin heute in Bielefeld ein wirklich spannender:

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„Globales Lernen als Bildungskonzept“

„Bildung verändert alles“

Wie wollen wir in Zukunft leben (in der einen Welt)?

Wie werden Menschen aus anderen Ländern (in Schule) dargestellt?
Wie werden wirtschaftliche Verflechtung dargestellt?

Schulen fragen Projekttage an (zum Schuljahresende), aber das hat nichts mit globalem Lernen zu tun.

Was braucht Schule? Was kann langfristig (ich kann „nachhaltig“ nicht mehr hören) in Schulen geleistet werden?

Wo steht das Globale Lernen an Schulen?

(Kurz: Man weiß es nicht so genau. Es gibt natürlich ein paar Vorgaben in den Lehrplänen von NRW in allen Schulformen für unterschiedliche Fächer (Gesellschaftslehre, Erdkunde etc. Es gibt darüber aber keine Studien. Meist geht es leider ausschließlich um kognitive Wissensvermittlung.)

(Ich habe das meist in VWL untergebracht. (In der Gymnasialen Oberstufe mit Schwerpunkt Wirtschaft auch in Deutsch (sogar über ein halbes Jahr im Lehrplan vorgesehen).) In einer meiner letzten Unterrichtsreihen haben Schüler*innen in vier Gruppen Präsentationen zu vier Themen erarbeitet. Wenn ihr Präsentationen macht, denkt ab und an mal an Garr Reynolds „If you are trying to change the world, there is no excuse for beeing boring“ – also die Kombination von guter! Präsentation mit wissenschaftlichen Inhalten.)

Es geht aber bei Globalem Lernen nicht darum, mal einmal etwas über Globalisierung im Unterricht gehört zu haben, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen in einer globalen Welt.

Den globalen Blick zu entwickeln bei unterschiedlichen Themen. Entscheidungen hier über Energie, über Handelsabkommen etc. haben immer auch Effekte auf Menschen auf der Welt. Schule kann hierbei ansetzen, eigenes Verhalten zu reflektieren.

Sinnvoll: Andere Gruppen einladen. Junge Menschen einladen in Schule. (z.B. Menschen, die ein Jahr in einem Entwicklungsprojekt mitgearbeitet haben.)

Schlussfolgerung: Derzeit ist globales Lernen von wenigen Lehrer*innen abhängig, die sich engagieren. (Aber Globales Lernen darf nicht strukturell darauf abzielen, nur auf wenige Lehrer*innen zu vertrauen.)

Wie kann man ansetzen? Qualitativ und quantitativ?
Fortbildung. Bedarfsunterstützung. Lehrpläne. Lehrer*innenausbildung!

Projekt: Schule der Zukunft

Frage: Wie bekommt man die Angebote zur Schule? (Es gibt ja durchaus Angebote zum Globalen Lernen.)

Beispiele Kernlehrpläne, Unterrichtsmaterialien:
www.globales-lernen-schule-nrw.de
Mediothek/Datenbank Welthaus: http://www.welthaus.de/bildungsbereich/mediothek/

Modellschulen für Globales Lernen

Modellschulen

Projektzeit 15.7.2011-15.10.2013
(Plus Verlängerung)

Schulen:
Max-Planck-Gymnasium, Bielefeld
Gerträud-Bäumer-Realschule, Bielefeld
Peter-August-Böckstiegel-Gesamtschule
Grundschulverbund Wichern-Lohe, Bad Oeynhausen

Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung als Grundlage

Alle Schulen, nicht nur Modellschulen, können umfangreiche Beratung und Materialien bekommen.

Zusätzlich bei Modellschulen: Auf die Schule zugeschnittene Unterrichtsreihen, Fortbildungen auf die Schulen/Kollegien zugeschnitten, Empfehlungslisten für alle Lehrpläne (Wo gibt es Ansatzpunkte für Globales Lernen? Beispiele: Menschenrechte, Migration/Rassismus/Vorurteile, Wirtschaft, Kinderarbeit, Energie, Klima, Ernährung, Kleidung, Konsum… mit Linklisten, Projektangeboten usw.), Vernetzung mit Kooperationspartner*innen.

Das Projekt wird evaluiert von der Universität Erlangen.
Über Gelingensbedingungen für erfolgreiche Implementierung von Globalem Lernen bei Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulen.
Wie verändert es alle Beteiligten?

Beispiele von Modellschulen:
Screenshot http://www.modellschulen-globales-lernen.de/die-schulen/gertrud-baeumer-realschule/

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PAB Gesamtschule: Zusätzlich Partnerschaft mit Projekt in Nairobi (inklusive Besuche dort alle zwei Jahren (mit 12 Schüler*innen))

Max-Planck-Gymnasium:
Auch eine schöne Idee, Expert*innen aus aller Welt einzubeziehen: Skype-Konferenzen
(Zum Beispiel mit Teilnehmer*innen von „weltwärts“ http://www.welthaus.de/weltwaerts/ )

Ausblick/Ziele/Wünsche

Ideen aus der Diskussion: Lehrer*innenausbildung, Zentrum für Lehrerbildung einbinden, Kooperationen zwischen Schulen verbessern, Praxissemester für Student*innen, Bekanntheitsgrad erhöhen (zu wenig Schulen kennen die Projekte oder das Welthaus), Vernetzung verbessern (zwischen NGOs, zwischen Schulen etc.)
Problem: Kompetenzteams, Fortbildung derzeit vor allem auf Inklusion ausgelegt.

Ausblick des Welthauses:

Projekt Schule der Zukunft ausbauen (dort gibt es auch verschiedenen Level, die Schulen recht niederschwellig erreichen können), neu: Fairtradeschulen, aber Problem der vielen Siegel in Deutschland.

Öffnung für Ostwestfalen-Lippe von Bielefeld aus
Vernetzung vorantreiben (zum Beispiel mit Art at Work)
Qualität verbessern (Fortbildung für Mitarbeiter*innen des Welthauses: Inhalt, Pädagogik, Bildungsmanagement (Wie tickt Schule?))
Datenbanken mit Material vernetzen,
Landkarte erstellen mit guten Projekten aus der Region

Fazit: Da sind wirklich großartige, engagierte Menschen, die die Welt ein wenig besser machen wollen. Danke! (Weil das die Momente sind, warum ich Politik machen möchte, warum ich auf Demos gehe oder zu Veranstaltungen und weil ich dann das Gefühl habe, dass es irgendwie noch was werden könnte mit dieser Welt.)

Halblegale Drogen und missbrauchsfähige Medikamente

Gastbeitrag

ein Essay von

Maike Wehmeier
Bergische Universität Wuppertal

Kurs: Vertiefungsseminar Physiologische Grundlagen der Biopsychologie

Studienfach: Bachelor Psychologie
Institut: Fachbereich G – Bildungs- und Sozialwissenschaften
Datum: 14. März 2013

Einleitung

Ob es uns gefällt oder nicht, Drogen und Rausch sind bis heute ein omnipräsentes Thema in nahezu sämtlichen Bereichen unserer Gesellschaft. Von kiffenden Jugendlichen über arbeits- und obdachlose Heroin-Konsumenten bis hin zu alkoholkranken Familienvätern (und -Müttern) und medikamentenabhängigen Schmerzpatienten, jede Bildungsschicht, jede Altersstufe und jede Subkultur hat ihr eigenes Rauschmittel der Wahl und die dazugehörigen Probleme. Die oben erwähnten Beispiele sind nur ein paar der gängigen Klischees – dazwischen und darüber hinaus gibt es kaum eine Form des praktizierten Drogenkonsums, die allein hier in Deutschland nicht vorkommt. Religiöse Gemeinschaften, die ihren Glauben auf spirituellen Erfahrungen unter Einfluss von Psychedelika begründen, Gewalttäter, die ihre Opfer mit Hilfe verschreibungspflichtiger Medikamente als sogenannte ‚KO-Tropfen‘ betäuben und homosexuelle Männer, die Schnüffelstoffe, sogenannte Poppers, für den besonderen Kick beim Sex einsetzen, sind nur ein paar weitere, etwas ausgefallenere Varianten.

Einer der entscheidendsten – und meiner Meinung nach willkürlichsten – Unterschiede ist die Rechtslage um die jeweiligen Stoffe. Man unterscheidet in legale Drogen (Alkohol, Nikotin, Koffein…), illegale Drogen und die Grauzone der missbrauchsfähigen Stoffe, hauptsächlich Medikamente. Hierbei wiederum reicht die Skala von besonders geschützten Mitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und nur mit einem speziellen Rezept und unter externer Überwachung verschreibungsfähig sind, über verschreibungspflichtige Medikamente bis hin zu frei verkäuflichen, nur teilweise apothekenpflichtigen Stoffen, die unkontrolliert und nahezu von jedermann erstanden werden können. Weiterhin fallen in die semi-legale Kategorie diverse Chemikalien, die zum Beispiel als Nagellackentferner, Klebstoff oder Felgenreiniger verkauft werden, außerdem in Labors synthetisierte Derivate psychoaktiver Stoffe, sogenannte Research Chemicals und einige handelsübliche Pflanzen und Pflanzenteile, die sich missbräuchlich als Rauschmittel verwenden lassen. Ebenso wie legalen Drogen sind diese Stoffe zwar nicht verboten, dürfen aber im Gegensatz zu diesen nicht gezielt für den Konsum als Rauschmittel verkauft werden, daher die Bezeichnung missbrauchsfähig.

Mit dem Verbot von weithin konsumierten Rauschmitteln gehen weitreichende Folgen einher – die Preise steigen, der Reiz des Verbotenen kommt gerade für Jugendliche dazu, Händler und Konsumenten werden kriminalisiert. Letzteres mag manche Konsumenten abschrecken – für andere jedoch verringert es schlicht die Skrupel, sich auf weitere Straftaten einzulassen. Beschaffungskriminalität ist eine Seite dieses Effekts, das Auftauchen immer gefährlicherer Stoffe als Streckmittel ein anderer.

Weiterhin führt ein Verbot illegaler Drogen zu einer gesteigerten Nachfrage nach legalen, preiswerteren und leichter zu beschaffenden Alternativen. Die Suche danach bleibt nicht lange erfolglos, denn die Möglichkeiten sind vielfältig – sowohl in historischer Pflanzenkunde als auch in der modernen Chemie lassen sich zahllose als Rauschmittel einsetzbare Substanzen finden, die vom Betäubungsmittelgesetz nicht (oder noch nicht) erfasst sind.
(Geschwind, 2007)

Ob Stimulanzien, Psychedelika oder Sedativa/Hypnotika – das gesamte Wirkspektrum bekannter Rauschmittel findet sich auch unter dem Deckmantel missbrauchsfähiger, jedoch nicht hauptsächlich als Rauschdroge gedachter Stoffe. In diesem Essay möchte ich ein paar der weniger bekannten Beispiele aus dem Bereich der missbrauchsfähigen, nicht per se als Droge klassifizierten Stoffe vorstellen, deren Wirkspektrum und Gefahrenpotential meiner Meinung nach weithin unterschätzt werden.

Vom Heilmittel zur Rauschdroge – missbrauchsfähige Medikamente

Nicht wenige der heute als illegale Drogen bekannten Stoffe haben ihren Ursprung in der Pharmazie. So tauchte zum Beispiel das von vielen als gefährlichste Droge überhaupt eingeschätzte Heroin erstmals als Hustensaft von Bayer auf. Als klar wurde, welches dramatische Suchtpotential Diamorphin aufweist – für ein Morphinderivat und damit einen dem Opium nahe verwandten Stoff eigentlich nicht sehr verwunderlich – wurde es zwar vom Markt zurückgezogen, in Konsumentenkreisen hatte es allerdings bereits seinen Platz erlangt und hält sich bis heute hartnäckig.

Sinnigerweise ist Methadon, der Stoff mit dem, neben dem neuartigen Subutex, heute meist die Substitution und Entwöhnung Heroinabhängiger durchgeführt wird, tatsächlich schädlicher als reines Diamorphin. Ein entsprechendes Pilotprojekt in Deutschland erzielte gute Erfolge mit der Ausgabe von pharmazeutisch reinem Heroin an Abhängige in der Substitution. Die Risiken beim Konsum von Straßenheroin liegen, abgesehen von der Kriminalisierung, der dadurch entstehenden Beschaffungskriminalität und dem hohen Toleranz- und Suchtpotential, hauptsächlich in den Gefahren des Umgangs mit nicht-sterilen Spritzen, den beigemischten Streckstoffen und nicht zuletzt, der Überdosierung bei unerwartet reinem Stoff. (Verthein, Haasen & Reimer, 2011)

Ein deutlich weniger bekannter, vermutlich stark unterschätzter Stoff ist das als Dextromethorphan-hydrobromid (9S,13S,14S)-3-Methoxy-17-methylmorphinan·HBr) in verschiedenen Hustenstillern vorliegende Dextromethorphan, kurz DXM. In Deutschland findet es sich als Monopräparat zum Beispiel in Hustenstiller Kapseln von Ratiopharm und Silomat und ist in dieser Form zwar apotheken-, nicht aber rezeptpflichtig.

Den gewünschten, antitussiven Effekt erzielt Dextrometorphan – wie auch Opioide – mittels agonistischer Wirkung am Sigma-1-Rezeptor, weshalb es zuerst fälschlicherweise als opioid-artiger Stoff klassifiziert wurde. Da es jedoch an keinem typischen Opioid-Rezeptor andockt, wurde diese Zuordnung inzwischen widerlegt. Weiterhin fungiert es als Serotonin- und Dopaminwiederaufnahmehemmer, wodurch die Rauschwirkung zustande kommt. Als NDMA-Antagonist wirkt DXM außerdem (oberhalb der therapeutischen Dosis) schwach analgetisch.

Der Reiz, den DXM als missbrauchsfähiges Medikament ausübt, liegt auf der Hand – es ist selbst für Jugendliche einfach und bequem in der nächsten Apotheke zu erhalten, zudem verhältnismäßig preiswert und unkompliziert oral zu konsumieren. Dieser Umstand führt mit dazu, dass die Rauschwirkung und -intensität von Dextromethorphan in der Regel unterschätzt wird. Die therapeutische Dosis von Dextromethorphan liegt bei etwa 30mg Dextromethorphan-hydrobromid (entsprechend 22mg Dextromethorphan) bis zu vier mal täglich. Zu Missbrauchszwecken wird diese Dosis jedoch um ein vielfaches überschritten. Der Konsum erfolgt oral, teilweise werden die Kapseln geöffnet, um das Pulver direkt zu konsumieren und so einen schnelleren Wirkeintritt hervorzurufen. Der Rausch hält, abhängig von Faktoren wie Toleranz, Mageninhalt und eventuell Beikonsum 6-9 Stunden an.

Je nach Dosis wirkt Dextromethorphan euphorisierend bis dämpfend und enthält dabei starke psychedelische und dissoziative Elemente. Man unterscheidet die anhand der Dosierung 4 bis 5 Wirk-Plateaus, die sich in der Intensität so wie den dominierenden Effekten des Rausches stark unterscheiden. Die Angaben der Dosierung sind nicht sehr präzise und hängen unter anderem auch von körperlicher Verfassung und Toleranz des Konsumenten ab. Dabei erstreckt sich die missbräuchlich konsumierte Menge von 1,5 bis hin zu 17mg pro kg Körpergewicht bei einmaliger Einnahme. Zum Erreichen des sogenannten Plateau Sigma werden über längeren Zeitraum mehrfach mittlere bis hohe Dosen eingenommen, so dass die Wirkung sich auf die Dauer potenziert.

Bei leichter Intoxikation mit Dextromethorphan steht, ähnlich wie bei einem schwachen Alkoholrausch, die stimulierende Wirkung im Vordergrund. Der Konsument wirkt euphorisch, die Aufmerksamkeit ist weitestgehend nach außen gerichtet. Es kann zu leichten halluzinogenen Effekten kommen, auch die Kommunikation ist betroffen (vergleichbar mit Lallen unter Alkoholeinfluss), die Motorik ist zumeist jedoch noch relativ zielgerichtet und unauffällig. Bei gesteigerter Dosierung verschiebt sich der Fokus von außen nach innen, die hypnotischen und dissoziativen Aspekte treten in den Vordergrund. Interaktion mit der Außenwelt wird schwierig bis unmöglich, stattdessen werden Reize aus der Umwelt in die nach innen gerichtete Wahrnehmung integriert. Die gefühlte Verbindung zum eigenen Körper reisst nach und nach ab, bis hin zu als außerkörperlichen Erfahrungen wahrgenommenen, stark dissoziativen Zuständen.

Diese Diversität in der Wirkung hängt mit der Vielzahl an Rezeptoren zusammen, mit denen DXM auf unterschiedlichste Art und Weise interagiert. Wie genau sich die einzelnen Rauschaspekte herleiten lassen, ist bisher noch nicht bekannt – Dextromethorphan hat, trotz seit den 80er Jahren ungebrochener Popularität als Rauschmittel, bisher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren. Dementsprechend dürftig sind auch die verfügbaren Informationen zu SaferUse, Abhängigkeitspotential und Langzeitfolgen des Konsums. (White, 1995)

Ein drittes, ebenfalls selten in Betracht gezogener missbrauchsfähiger Stoff ist der heute weniger populäre (Diethyl)Ether. Ähnlich wie Chloroform wurde Ether aufgrund seiner zentral-dämpfenden Wirkung ursprünglich als Narkotikum zum Beispiel bei Operationen eingesetzt. Der hohe Halbwertzeit, unangenehmen Nebenwirkungen sowie der Risiken im Umgang mit einer derart entzündlichen und (im Kontakt mit Sauerstoff und Sonnenlicht) teils explosiven Substanz wegen wurde Ether als Anästhetikum um 1900 nahezu vollständig durch geeignetere Stoffe ersetzt. Heute findet Diethylether in der Medizin hauptsächlich als Lösungsmittel in Tinkturen Verwendung.

Obwohl als Gefahrenstoff katalogisiert und nur zum Verkauf an Apotheken und Chemiker zugelassen, wird Ether auch heute noch gelegentlich als Rauschmittel missbraucht. Unter dem Vorwand beispielsweise eines schulischen Experimentes lässt sich in vielen Apotheken relativ leicht eine ausreichende Menge erwerben – weiterhin liegt Ether in verschiedenen Starthilfe-Mitteln aus dem Automobil-Bedarf vor, die ebenfalls frei verkäuflich sind.

Ein Etherrausch – herbeigeführt durch Inhalation oder Ingestion – ähnelt einem starken Alkoholrausch, bei höheren Dosen tritt ein narkoseähnlicher Zustand ein. Wie die meisten Schnüffelstoffe wirkt Ether sehr schnell, hat allerdings eine deutlich längere Halbwertzeit als zum Beispiel Poppers. Neben der mangelnden Aufklärung und den oben erwähnten Risiken im Umgang mit Ether (Explosionsgefahr etc.) birgt der leicht flüchtige und damit schwer zu dosierende Stoff die Gefahr einer schnellen Überdosierung. Außerdem kann es je nach Konsumweise zu Reizungen der Atemwege und der Rachen- sowie Magenschleimhäute kommen. (Geschwind, 2007)

Am Rande der Legalität – synthetische Drogen und Research Chemicals

Als KO-Tropfen oder Liquid Ecstasy begegnet es uns immer wieder in den Medien – GBL, Gamma-Butyrolacton. Diese farblose, allerdings keinesfalls geruchs- oder geschmacksneutrale Flüssigkeit, die in erster Linie als Lösungsmittel zum Beispiel in Reinigungsmitteln Verwendung findet, wird im Körper zu dem als Betäubungsmittel klassifizierten GHB (Gamma-hydroxybutansäure) metabolisiert. Im Gegensatz zum verschreibungspflichtigen GHB lässt sich GBL relativ einfach zum Beispiel im Internet erwerben, da es als Vorläuferstoff nur der freiwilligen Selbstkontrolle der Händler unterworfen ist. Diese wird in vielen Fällen akut vernachlässigt, eine Abgabe des Stoffes als Felgenreiniger mit dem Hinweis, dass dieser nicht zum Verzehr geeignet ist, hält geneigte Konsumenten wohl kaum vom Missbrauch der Chemikalie ab.

Auch GBL verleitet neben seiner hohen Verfügbarkeit und dem Status außerhalb der Kriminalisierung der Konsumenten durch den niedrigen Kostenfaktor (Flaschen a 50ml GBL von 99,7 prozentiger Reinheit werden im Internet für rund 25€ angeboten) und die bequeme, wenig abschreckende orale Konsumtechnik. Zu Missbrauchszwecken werden je nach Körpergewicht des Konsumenten 0,5-2ml der Droge mit einer beliebigen Flüssigkeit verdünnt getrunken. Der Wirkeintritt erfolgt zeitnah, innerhalb von 2-5 Minuten. Je nach Dosis hält die Wirkung 30 – 90 Minuten an, wodurch sich der Konsum unauffällig ins alltägliche Leben integrieren lässt – im Gegensatz zu Drogen mit längerer Wirkdauer hält ein GBL-Rausch den Konsumenten nicht zwingend über Stunden davon ab, seinen Verpflichtungen im Alltag nachzukommen. (Kam, 1998)

Das aus GBL metabolisierte und für die eigentliche Rauschwirkung verantwortliche GHB ist ein dem inhibitorischen Neurotransmitter GABA eng verwandter Stoff und liegt außerdem in geringerer Zahl als eigenständiger, exitatorischer Neurotransmitter im ZNS vor. Im Gegensatz zu GABA selbst hat es eine höhere Affinität an Monocarboxylat-Transporter (MCT), sogenannte Transportmoleküle, die es GHB ermöglichen, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. Zuerst bindet es hauptsächlich an den spezifischen GHB-Rezeptoren, welche die Glutamat-Ausschüttung erhöhen und damit die für geringe Dosen typische antriebssteigernde Wirkung auslösen. Bei höherer Konzentration von GHB steigt allerdings die Affinität zu GABAB-Rezeptoren. Aktiviert ermöglichen diese den Einstrom negativ geladener Chlorid-Ionen ins Zellinnere, der zur Hyperpolarization der Zelle führt, wodurch sich die dämpfende Wirkung erklären lässt. Zusätzlich wirkt GHB als Dopamin-Agonist.

Durch die Kombination dieser drei Mechanismen ergibt sich die für GBL typische Wirkkurve. Bei geringen Dosen zeigen sich hauptsächlich Euphorie, Zufriedenheit, Bewegungsdrang, Angstlinderung und ein allgemeines Rauschgefühl. Bei höheren Dosen kommt es zu Ataxie, gesteigertem Lustempfinden, Benommenheit und Schläfrigkeit bis hin zu narkotischen Zuständen. Neben einer schnellen und ausgeprägten Toleranzentwicklung führt die Wirkung an Dopamin-Rezeptoren zu einem erhöhten Suchtpotential und löst bei Abstinenz nach längerem Konsum Absetzsymptome aus, die mit denen einer Benzodiazepinabhängigkeit vergleichbar sind. (Geschwind, 2007)

Obwohl GBL im Körper sehr schnell und nahezu vollständig zu GHB verstoffwechselt wird, welches keine toxischen Eigenschaften aufweist, wirkt sich der orale Konsum eines wenig verdünnten Lösungsmittels natürlich negativ auf den Organismus aus. Es kann zu Reizungen an den Schleimhäuten im Mund-, Rachen- und Magenbereich kommen, außerdem greift GBL den Zahnschmelz an und wirkt bei Haut- und Augenkontakt ätzend.

Aufgrund seiner amnetischen und narkotisierenden Wirkung hat GBL den Ruf, als sogenannte KO-Tropfen eingesetzt zu werden. Sicher ist es schnell und unauffällig möglich, die geringe benötigte Menge von ca 2ml unbemerkt in ein unbeobachtetes Glas zu mischen – der beißende, chemische Geschmack der Substanz sollte meiner Meinung nach jedoch in den meisten Fällen auffallen, zumal der Stoff relativ zügig konsumiert werden muss, was eine zu starke Verdünnung unmöglich macht. Die typischen Symptome einer Vergiftung mit KO-Tropfen – Benommenheit, Störungen und Ausfälle in der Motorik, Black-Outs mit anschließender retrograder Amnesie – passen wiederum gut in das Wirkspektrum von GBL. Auch die enthemmende, luststeigernde Wirkung einer geringeren Dosis dürfte dem Zwecke der KO-Tropfen dienlich sein. So bleibt GBL, neben dem vielfach derart missbrauchten Benzodiazepin Flunitrazepam (Rohypnol), einer der am stärksten für den Gebrauch als KO-Tropfen verdächtigen Stoffe. (Smith, 1999)

Rausch aus der Natur – legale, pflanzliche Drogen

In den letzten Jahren erregte das Thema pflanzlicher, legaler Drogen, speziell am Beispiel von Kräutermischungen wie dem inzwischen verbotenen ‚Spice‘. Dabei handelt es sich nur scheinbar um ein pflanzliches Rauschmittel – laut Hersteller basiert die Wirkung zwar auf dem Zusammenspiel verschiedener pflanzlicher Bestandteile, tatsächlich wurden allerdings vermehrt synthetische Cannabioide nachgewiesen. Unabhängig der speziell zu Rauschzwecken angebotenen Produkte, legal oder illegal, gibt es jedoch noch viele andere frei verkäufliche oder in der Natur zu findende Pflanzen- und Pflanzenteile, die eine zum Teil stark berauschende Wirkung haben können. Darunter, neben den berüchtigten Nachtschattengewächsen (Stechapfel, Tollkirsche, Engelstrompete etc.), auch alte Bekannte wie Waldmeister oder Muskatnuss.

Im Gegensatz zu den meisten bisher beschriebenen Beispielen wird die nächste gemeinhin nicht unter-, sondern eher überschätzt, was in diesem Fall wohl hauptsächlich der Abschreckung dienen sollte. Außerdem ist er streng genommen nicht wirklich eine Pflanze – Amanita Muscaria, der Rote Fliegenpilz. Gerne wird er als giftig, ja tödlich beschrieben, tatsächlich gibt es aber keinen bekannten Todesfall in Folge von reinem Fliegenpilzkonsum. Die letale Dosis des für den Rausch verantwortlichen Wirkstoff Muscimol wurde in Experimenten an Ratten bei oral ca 45mg pro kg Körpergewicht ermittelt, was je nach Individuum einer Dosis von rund zehn ausgewachsenen Fruchtkörpern entspräche.

Um Amanita Muscaria ranken sich, neben seinem Ruf als gefährlicher Giftpilz, unzählige Legenden und Mythen. Zusammen mit Glücksschwein und Schornsteinfeger ist er uns als Glückssymbol bekannt – eigentlich eine seltsame Assoziation für einen vermeintlich hochgiftigen Pilz. So gibt es Interpretationen, die das alt-indische Soma, das griechische Ambrosia, Rumpelstilzchen und sogar Jesus als Sinnbilder für frühe Verehrung des Fliegenpilzes sehen. (Wasson, R. G. 1968)

Fakt ist, dass Amanita Muscaria eine in Vergessenheit geratene, nicht juristisch erfasste und in weiten Teilen Deutschlands natürlich vorkommende Rauschdroge ist. Fliegenpilze – dh, die Fruchtkörper, nicht die unterirdisch liegenden Myzelien – werden frisch oder getrocknet ingestiert. Historische Texte berichten von muscimolhaltigen Tees und sogar von Menschen, die den Urin von Fliegenpilzkonsumenten tranken, da ein großer Teil des Wirkstoffes den Körper auf diesem Wege unverändert wieder verlässt. Teilweise wird diese Konsumform sogar bevorzugt praktiziert, da die beim oralen Konsum mit aufgenommenen im Pilz enthaltenen Gifte, die nicht für die Rauschwirkung, dafür aber für unangenehme Nebenwirkungen verantwortlich sind, auf diesem Wege bereits verstoffwechselt sind.

Muscimol liegt im lebenden Fliegenpilz nicht direkt, sondern in Form des Vorläuferstoffes Ibotensäure, einer nicht proteinogenen Aminosäure vor. Im Verlauf der Trocknung oder Zubereitung des Pilzes zerfällt die Ibotensäure durch Decarboxylierung, also die Abspaltung von Kohlenstoffatomen, zu dem stärker psychoaktiven und weniger toxischen Wirkstoff Muscimol. Weiterhin wird sie im Körper fast vollständig zu Muscimol metabolisiert. Dieses wirkt als GABA-Agonist und entfaltet so seine inhibitorische Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Weiterhin erhöht es als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer den Serotoningehalt im synaptischen Spalt.

Wie die meisten psychoaktiven Pilze zeichnet sich auch der Fliegenpilz durch einen relativ langsamen Wirkeintritt aus, je nach Konsumform etwa eine halbe bis drei Stunden. Der Rausch selbst hält 10-15 Stunden an, wobei der Konsument meist vorher in tiefen, narkoseähnlichen Schlaf verfällt. Charakteristisch für einen Muscimolrausch sind besonders die ausgeprägten optischen Halluzinationen. Bei geschlossenen Augen werden bewegte, bunte Muster wahrgenommen, sogenannte Closed Eyes Visuals (CEVs), die optische Größenwahrnehmung ist stark gestört, zusammen mit der veränderten Körperwahrnehmung ergibt sich typischerweise das Gefühl, verkleinert zu sein beziehungsweise sich in einer stark vergrößerten Umwelt zu befinden. Die sensorische Wahrnehmung im Allgemeinen wird intensiviert, hohe Geräusch- und Lichtempfindlichkeit tritt auf. Nach und nach weicht die anfängliche halluzinogene Wirkung einer stärker deliranten; es kommt zu Denkstörungen, Orientierungslosigkeit, Derealisation und Depersonalisation, die Wahrnehmung von Zeit, Raum und Kausalität gerät aus dem Gleichgewicht. Mit der zentral-dämpfenden Wirkung geht der Konsument in einen traumartigen Bewusstseinszustand über, der meist nach einer Weile in tiefen, narkoseähnlichen Schlaf übergeht. (Stamets, 1996)

Der Ruf des Fliegenpilzes als Giftpilz hat bis heute ein stark abschreckende Wirkung auch auf sonst experimentierfreudige Drogenkonsumenten. Angesichts der Komplexität und Intensität des Rauschzustandes ist dies sicher auch angebracht, den Armanita Muscaria ist, unabhängig von der toxischen Wirkung seiner Bestandteile, keinesfalls eine zu verharmlosende rekreationelle Substanz. Gerade aufgrund seiner hohen Verbreitung in Deutschland ist es verwunderlich, dass Fälle von Muscimolintoxikation relativ im klinischen Umfeld relativ selten zu finden sind. Dass die Zubereitung von Armanita Muscaria und seinen Unterarten in Japan – und in Teilen Norddeutschlands! – eine lange Tradition hat, ist ein Fakt, der zu Gunsten des Respektes vor diesem hochpotenten Psychedelikum wohl besser keine zu große Bekanntschaft erlangen sollte.

Stellungnahme

Wie bereits angedeutet halte ich die Unterteilung potentiell psychoaktiver Stoffe in legal und illegal im besten Falle für willkürlich. Dies betrifft sowohl die beninge Haltung gegenüber Stoffen mit teils bekanntem Gefahren- und Abhängigkeitspotential, die einen reflektierten Umgang damit für einen Großteil der Konsumenten unnötig scheinen lässt und damit quasi unmöglich macht, als auch die überzogene Vorverurteilung anderer, zum Teil harmloserer Stoffe, die aufgrund teilweise längst überholter Argumentation irgendwann als illegal eingestuft wurden und seitdem jeden Konsumenten automatisch zum Kriminellen erklären.

Dieses Grundproblem zeigt sich schon in der meiner Meinung nach nicht anders zu erklärenden ablehnenden Haltung vieler gegenüber einer Substitution opioidabhängiger Patienten mit Diamorphin, also der illegalen Droge Heroin, anstelle des akzeptierten Medikamentes Methadon. Abgesehen von diesem Image-Problem überwiegen eindeutig die Vorzüge einer kontrollierten Diamorphin-Ausgabe, wie inzwischen mehrere Studien überzeugend dargelegt haben.

Die Selbstverständlichkeit, mit der in unserer Gesellschaft Alkohol konsumiert wird, obwohl man längst über die irreversiblen Effekte dessen weiß, ist ein Aspekt, den ich hier nicht weiter ausführen, jedoch der Vollständigkeit halber auch nicht unerwähnt lassen möchte.

Während der Besitz und Konsum von Cannabis – über dessen Einstufung als weiche Droge man aufgrund des hohen psychedelischen Potentials heutiger Züchtungen durchaus streiten kann – eine Straftat darstellt, finden sich Nachtschattengewächse wie Tollkirsche, Engelstrompete oder Stechapfel problemlos in gut sortierten Floristikgeschäften oder direkt im Vorgarten. Durch die kontrollierte Züchtung ist der Wirkstoffgehalt in Hanfpflanzen mittlerweile zwar deutlich stärker als noch vor 20 Jahren, jedoch existiert genug Wissen bezüglich der Wirkweise und der Risiken des Konsums, um einen relativ sicheren Umgang damit zu ermöglichen. Oben erwähnte Nachtschattengewächse hingegen sind zwar ebenfalls pflanzlich, aber deutlich weniger kultiviert. Dementsprechend kann der Wirkstoffgehalt von Pflanze zu Pflanze, ja von Blatt zu Blatt sehr stark schwanken, was das Risiko einer Überdosierung zwangsläufig erhöht. Abgesehen davon lassen sich gerade Nachtschattengewächse aufgrund des enormen halluzinogenen Potentials schwer einschätzen, ein sicherer Umgang mit dieser extrem anspruchsvollen Droge ist nur sehr eingeschränkt möglich – passenderweise existiert dazu, im Vergleich zum illegalen Cannabis, kaum Aufklärungsmaterial.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema gerade pflanzlicher Rauschmittel ist mir besonders die hohe Dichte an Verweisen auf historische Beispiele von Drogenkonsum aufgefallen. Rausch und Drogen sind offenbar immer Teil der menschlichen Kultur gewesen – teils rekreationell, teils spirituell, teils als Medikation. Es gibt Theorien, welche die Hexenverfolgung – speziell die von angeklagten ‚Hexen‘ beschrieben Erfahrungen des Schwebens, astraler Reisen und ausserkörperlicher Erfahrungen – mit dem Konsum pflanzlicher Rauschmittel in Verbindung bringen, eine Praxis, die gerade in den sicherlich sehr menschenunfreundlichen Zeiten des Mittelalters häufige Verwendung fand. Wohin man sieht, der Mensch scheint ein Bedürfnis nach Rauschzuständen zu haben und sei es nur aus Neugier, um die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu testen und zu überschreiten, die Realität als abstraktes Konzept zu verstehen oder, missbräuchlich, dieser zu entfliehen. So alt wie die Geschichte des Rausches ist auch die der Abhängigkeit, des Substanzenmissbrauch und der Gefährdung des Konsumenten und anderer durch den drogeninduziierten Kontrollverlust.

In meinen Augen gibt es nur einen sinnvollen Weg des Umgangs mit Rauschmitteln: den der Aufklärung. Nur wenn wir, statt die Augen vor bestehenden Problemen zu verschließen, wirklich hinsehen – die Gründe für Drogenkonsum hinterfragen, statt zu verurteilen, das Potential und die Gefahren unterschiedlichster Stoffe erforschen, statt zu verbieten, können wir lernen, gesund und möglicherweise sogar konstruktiv mit Drogen umzugehen. In aller erster Linie sollte der Fokus darauf liegen, Informationen zur Verfügung stellen, ja aufdrängen. Weder mit Verboten noch mit überzogenen Schauergeschichten werden wir Menschen langfristig damit abhalten können, mit Drogen, legal wie illegal, zu experimentieren. Der Versuch dies zu kontrollieren ist schlicht zum Scheitern verurteilt. Je eher wir dies einsehen und dazu übergehen, Konsumenten eine urteilsfreie Beratung und Begleitung im Umgang mit Rausch anzubieten, desto eher können wir die Risiken des Drogenkonsums eindämmen und das darum entstandene Elend (nicht zuletzt in Produktionsländern illegaler Drogen, die nahezu vollständig in der Hand ansässiger Drogenbarone sind) bekämpfen.

Die Gefahren, die sowohl Rausch- als auch Nebenwirkungen und speziell Abhängigkeit darstellen, sind keinesfalls zu unterschätzen oder zu verharmlosen. Eine vollkommen liberale Haltung gegenüber Drogen halte ich dementsprechend für fragwürdig – sie setzt einen mündigen, informierten Bürger voraus und momentan ist es selbst dem interessierten Konsumenten kaum möglich, wirklich neutrale, sachliche Informationen über Drogen und Konsum zu erhalten. Das ist meiner Meinung nach der Punkt, an dem die Psychologie sowohl als Wissenschaft als auch in der klinischen Praxis ansetzen kann und sollte, um den Raum, den Drogenkonsum in dieser Welt einnimmt, einen weniger gefährlichen zu machen.

Literaturverzeichnis

Geschwind, T. (2007). Rauschdrogen. Marktformen und Wirkungsweisen (7th ed.). Berlin:
Springer
Kam, P. C. A. & Yooung, F. F. Y. (1998). Gamma-hydroxybutyric acid: an ermerging recreational drug.
Anaesthesia, 53, 1195-1998
Kolb, B. & Wishaw, I. Q. (2001). An Introduction to Brain and Behavior (2nd ed.). New York:
Worth Publishers
Smith, K. (1999). Drugs used in acquaintance rape. Journal of American Pharmacology, 39, 519-
525
Stamets, P. (1996). Psilocybe murshrooms of the world – an identification guide. Berklrey: Ten
Speed
Verthein, U., Haasen, C. & Reimer, J. (2011). Switching from Methadone to Diamorphin – 2-Year
Results of the German Heroin-Assisted Treatment Trial, Substance Use & Misuse, 46, 980-991
Wasson, R. G. (1968). Soma: Divine mushroom of immortality. New York: Harcourt Brace
Jovanovich, Inc.
White, William E. (1995). The Dextromethorphan FAQ: Answers to Frequently Asked Questions about
Dextromethorphan, Version 4.0., retrieved from http://www.dextroverse.org/faq/dxmfaq40.txt, März 2013