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Besorgte Bürger*innen oder Lynchmob?

Heute standen in Duisburg wieder mehrere Kundgebungen/Demos an. Als erstes eine Veranstaltung von Bürger*innen: http://www.radioduisburg.de/duisburg/lokalnachrichten/lokalnachrichten/archive/2013/09/24/article/in-den-peschen-in-rheinhausen-stehen-die-naechsten-demonstrationen-an.html
(In deren Flyer machen sie mit dem Haus „In den Peschen“ auf. Leider finde ich den Flyer gerade nicht im Netz.)

Vor meiner Ankunft am Hochemmericher Markplatz in Duisburg wurde dort mehreren Gegendemonstrant*innen ein Platzverweis erteilt. Wir waren also dann vor Ort nur sehr wenige Gegendemonstrant*innen.

Der Versammlungsleiter erzählte dann in seiner Einstiegsrede gleichzeitig was von Toleranz und belässt aber trotz ausdrücklichem Hinweis darauf Menschen mit Thor Steinar Sachen (teilweiser NW Duisburg (?), teilweise sogar mit Ordnerbinde) in der Kundgebung. Die könnten ruhig mitdemonstrieren, das sei ja Meinungsfreiheit, ergänzt ein anderer Mann.

Nachtrag: Auf ihrer Facebookseite behaupten die Bürger*innen, die Bilder der Nazis in ihrer Mitte seien Fotomontagen:
https://www.facebook.com/groups/260550860733260/
(Offensichtlich schrecken sie vor Lügen keinesfalls zurück. Die Bilder wurden von verschiedensten Personen gemacht. Auch der anwesenden Presse und der Polizei müssen diese Menschen aufgefallen sein. Siehe auch die Fotoserie von „Der Westen„.)

Es wird in den ersten Reden vor allem Angst geschürt und auf die Kriminalität hingewiesen (zum Teil mit absurden Behauptungen. Es sollen zum Beispiel 300 Schafe gestohlen und auf „der Rheinbrücke verrichtet“ worden sein.)

Zwischendurch eskaliert es fast. Eine sehr mutige Frau, die wohl zufällig vorbeikam, redet spontan. Sie weist auf die antisolidarische Stimmung hin und bittet um Verständnis für Armutsflüchtlinge. Da zeigt sich, wie es mit der Meinungsfreiheit der Bürger*innen wirklich aussieht. Die Frau soll aufhören, zu reden. Sie wird ausgebuht. Wir stellen uns solidarisch zu der Frau. Der Rednerin wird das Mikro abgenommen. In der Mitte der Kundgebung, also zwischen den Bürger*innen, danken wir der Frau für ihre Rede. Bürger*innen kommen daraufhin sehr nah und bedrängen uns. Nach meiner Frage, warum sie offen Nazis in ihrer Mitte dulden, werde ich massiv beschimpft und mir wird gesagt, ich solle „nach Rumänien gehen.“ Dieselbe Frau, die das sagt, wettert vorher, dass es ja Geld nur für deutsche Kinder geben solle. Wir werden körperlich von Bürger*innen angegriffen, körperlich bedrängt und mehrfach geschubst. (Ein Ordner hat sich nach der Veranstaltung aber immerhin bei mir dafür entschuldigt. Ob aus Einsicht oder aus Angst vor einer Anzeige, weiß ich nicht.) Wir begeben uns daraufhin außerhalb des Pulks.

Es wird weiterhin vom „Problemhaus“ gesprochen, deutsches Liedgut gespielt und ein Rapper rappt irgendwas mit Stolz auf Deutschland.

Es fällt die Aussage „Dann ist Deutschland verloren“.

Die Stimmung ist unangenehm, aufgeheizt und es fehlen nur die Fackeln und Mistgabeln…

Es gibt auch offene Hetze:
„Scheiß Bulgaren. Die werfen Waschmaschinen aus dem Fenster und kacken aus dem Fenster.“

Jemand von uns fragt die Polizei, ob das für eine Anzeige reiche. Die Anzeige wird erstattet. Danach verbale Angriffe auf uns. Derjenige, der Anzeige erstattet hat, wird als „Pisser“ beschimpft und dass er nicht „die Eier“ habe, sich direkt mit ihnen auseinander zu setzen. Weiterhin werden wir als „Gutmenschen“ beschimpft. Immer alles sehr körperlich nah und sehr unangenehm bedrohlich. Es wird von mehreren Bürger*innen behauptet, niemand außer uns hätte das gehört….

Wir sind dann weiter zur Demo gegen Pro NRW „In den Peschen“. (Auf dem Weg dorthin hört ein Bekannter mehreren Menschen zu, die auch von der Bürger*innenkundgebung dorthin laufen. Eine Frau soll telefoniert und dabei gesagt haben, dass es doch auch gut wäre, wenn jemand das Haus anzünde. Dann wäre auch Ruhe.)

In den Peschen werden wir noch einmal von der oben genannten Bürgerin, die wir angezeigt haben, angesprochen. Sie möchte zusammen mit einer Begleitung wissen, warum wir sie angezeigt hätten. Wir benennen ihre Aussage. Sie habe „Scheiß Bulgaren“ gesagt. Daraufhin sagt ihre Begleitung „Recht hat sie“. Weiterhin bedroht sie uns. Ihr Freund sei „Bulle“ (Zitat) und wir wüssten ja gar nicht, mit wem wir uns da jetzt angelegt hätten. Ein Mann mit „Patriot“-Shirt sagt dann, sie „sollen ‚die Antifa‘ in Ruhe lassen“. (Derselbe soll etwas später gedroht haben, jemandem von uns (Antifa) die Beine zu brechen.)

Auf der Veranstaltung stehen also die vormals besorgten Bürger*innen auf der Seite gegen Pro NRW. Das ist ja doch dann sehr inkonsequent. Sie rufen zum Teil: „Wir sind keine Nazis, wir sind besorgte Eltern.“ im Schulterschluss mit Nazis.

Als Pro NRW kommt, stehen wir Gegendemonstrant*innen für eine Weile zwischen Pro NRW (geschützt von Polizei und mit zwei Reihen Absperrgitter) und hinter uns stehen die „besorgten Bürger*innen“ zusammen mit Nazis (zum Teil wohl auch Division Duisburg und NW Duisburg). Unangenehm. Die Polizei geht erst nach mehrfacher Aufforderung und Bitte dazwischen.

Nach Neumühl zur Kundgebung von Pro NRW bin ich nicht mehr gefahren. Aber ein Kollege hat mir berichtet, dass die Anwohner*innen dort (ich erlebte einige von ihnen schon derletzt) mit Hassparolen „Kein Asyl in Neumühl“ direkt zur Seite von Pro NRW gegangen seien. Das ist dann zumindest konsequent.

Die heute offen rassistischen Äußerungen der „besorgten Bürger*innen“ und deren Lynchmobstimmung sowie deren offene Aggression bis hin zu körperlichen Übergriffen machen für mich auch deutlich, dass die Geschichten von der Bürger*innenversammlung, die angeblich von „Linksautonomen“ überfallen wurden, auch deutlich anders gewesen seien könnte…

Diese Menschen machen mir Angst. Diese Stimmung macht mir Angst. Sie behaupten, keine Nazis zu sein und finden es unfair, wenn man sie als solche bezeichnet. Aber ich meine, man muss da den Alltagsrassimus auch klar benennen. Die in einer Reihe, Schulter an Schulter, mit Nazis stehen und das nicht ändern, sind eben auch Nazis. Punkt.

Aus der Reihe: Gespräche from Hell

Heute: Polizei und Staatsanwaltschaft Duisburg

Am 24.8. habe ich auf dieser Seite einen Augenzeugenbericht veröffentlicht, der mir im Vertrauen und in meiner Eigenschaft als Mitglied des Landtages NRW zugestellt wurde.

Vor ca. 10 Tagen meldete sich ein Polizist der Kripo Duisburg auf meinem Handy, weil er gerne den Namen des Zeugen haben möchte. So weit, so gut.

Heute bin ich dann (in Begleitung meines Mit-MdL Torsten Sommer) zur Polizei Duisburg gefahren. Meine naive Idee war ja, wir reden dann einfach mal locker. (Zumal ich bezüglich des Verhaltens der Polizei dort auch mal ein paar (unangenehme) Fragen hätte. Zum Beispiel bezüglich der Gerüchte, die Polizei würde nicht zum Haus „In den Peschen“ fahren, wenn Menschen mit gebrochenem Deutsch anrufen. Oder bezüglich der Gerüchte, es hätte beim Eindringen in das Haus rassistische Äußerungen gegen Bewohner*innen gegeben.)

Es kam dann aber gar nicht so richtig zu einem Gespräch.

Erwartet wurden wir von dem Polizeibeamten aus dem Telefonat (Herrn S.) und dem mir nicht angekündigten und bis dahin unbekannten Staatsanwalt (Herrn M.).

Wir stellten uns kurz vor, da fragte Herr M., wer denn mein Begleiter sei. Ich stellte ihn als Kollegen aus dem Landtag vor. Herr M. stellte fest, dass eine Begleitung nur als Rechtsvertretung vorgesehen sei, sonst nicht und forderte meinen Kollegen auf, den Raum zu verlassen. (Auf eine Bemerkung von Torsten Sommer kam die Entgegnung vom Herrn Staatsanwalt an Torsten: „Mit ihnen rede ich gar nicht.“) Wir stellten dann klar, dass wir dann auch umgehend wieder gehen.

Der Staatsanwalt erläuterte weiterhin, dass er mir dann eine Vorladung zukommen lassen würde und ich dann verpflichtet sei, zu kommen und auszusagen.

Dem Polizisten nehme ich ab, dass er wirklich keine Eskalation gewollt hat. Er wollte „den Drive“ aus dem Gespräch nehmen und seine Ermittlungsgrundlage durch einen zusätzlichen Zeugen stärken. Den „Drive“ hat aber vor allem der Herr Staatsanwalt in das Gespräch gebracht. Das kann die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens tun. Nur die Mittel dazu sind unverhältnismäßig.

Hier wollen also Menschen Machtspiele spielen. Vor allem der Herr Staatsanwalt. Kraft seines Amtes. Man stellt sich zu zweit gegen einen. Und der Hinweis auf einen Rechtsbeistand ist eher niedlich. Erstens war ein Gespräch mit dem einzelnen Beamten angeregt. Eins zu eins. Zweitens kostet ein Rechtsbeistand immer Geld. Über das verfügt leider nicht jeder Mensch. Schon gar nicht für ein einfaches Gespräch bei der Polizei.

Ich muss gestehen. Ich bin entsetzt. So richtig. Ich stelle mir jetzt einen Menschen ohne Landtagsmandat vor, der in diese Situation gerät und nicht in der Lage ist, entsprechend zu kontern. Unfassbarer Tonfall. Drohgebärden. Mal ganz unabhängig von rechtlicher Beurteilung des Falls: Dieser Umgang ist systemimmanent. Wird ständig so gemacht.
Und. Geht. Gar Nicht!

Rechtlich schließt sich die Frage an, inwiefern ich nun zu einer Aussage gezwungen werden kann. Hier käme eventuell dies in Frage:

§ 53 I Nr. 4 StPO: „Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landtages über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst.“

Also. Bring it on….

In den Peschen, Duisburg

Über die Häuser „In den Peschen 3-5“ in Duisburg ist tatsächlich schon viel geschrieben worden. Ich greife das Thema trotzdem auf, weil ich nicht sicher bin, wie weit sich meine geneigten Leser*innen damit schon beschäftigt haben.

Die von einem Mann aus dem Rotlichtbereich vermieteten Wohnungen würden normalerweise Platz bieten für ca. 300 Menschen. Es gibt Schätzungen, dass derzeit aber über 1000 Menschen dort unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen.

Proteste von Anwohner*innen hat es schon sehr lange gegeben, die erschreckend schnell zu unreflektierter rassistischer Hetze wird. (Wer gute Nerven hat, möge die derzeit noch offene Facebookgruppe aufsuchen. Dort findet sich neben dem üblichen „Meinungsfreiheits“-Gerede und „Das wird man doch noch sagen dürfen“ auch die Bezeichnung „Gutmenschen“ für diejenigen, die derzeit dort zum Schutz der Bewohner*innen Nachtwachen organisieren. Die rassistische „Mitte der Gesellschaft“ schreibt dort durchaus unverhohlen unter richtigem, komplettem Namen.) Gegen die offenen Aufrufe zum Angriff wird zwar ermittelt, jedoch zeigt sich dort, dass es „ganz normale“ Menschen sind, die dies ganz offen unterstützen. Alltagsrassismus eben.

Ja. Es gibt Kriminalität in den Häusern vor Ort. Das führt aber gerade auch unter vielen Bewohner*innen zu Streit. Viele Familien wollen eben nicht in die Kriminalität abrutschen. Sie wollen, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Sie wollen eine faire Chance. Dort bekommen sie keine. Es werden also dringend Wohnungen gesucht. (Die rechtliche Situation, was Arbeit angeht und Kindergeld etc. ist zudem nicht wirklich unterstützend. Im Grunde sind diese Menschen hier nur so gerade geduldet. Willkommen ist echt etwas anderes.)

Ich verlinke nur einen Artikel: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-organisieren-nach-hetze-gegen-auslaender-nachtwache-id8338177.html

Die Presse trägt leider seit Monaten zur ohnehin aufgeheizten Stimmung bei, denn Titel wie „Roma-Haus“ fördern den Alltagsrassimus in der Gesellschaft. Der obige Artikel fasst aber die aktuelle Situation zumindest einigermaßen treffend zusammen.

Ich war gestern auch für einige Stunden bei der Nachtwache. Ich bin sehr beeindruckt zum Beispiel von Annegret Keller-Steegmann. Die Lehrerin organisiert viel vor Ort. Kulturprogramm für die Kinder (zum Teil gegen die bürokratischen Hürden der Stadt). Sie kennt viele Bewohner*innen. Als wir dort ankommen, erzählt sie uns von den Zuständen im Haus und führt uns durch das Gelände. Im Hof stehen drei Müllcontainer. Das ist natürlich viel zu wenig für die vielen Bewohner*innen. Deshalb ist der Müll darum herum verteilt. Die vielen Ratten verteilen den Müll weiter. Und werden mehr. Überall laufen sie herum. Ein wahrlich hoffnungsloser Ort.

Aber da ist auch noch die andere Seite: Die vielen freundlichen Menschen. Die Bewohner*innen, die uns in ihren Wohnungen zur Toilette gehen lassen. Die kaum selbst etwas haben, uns aber Kaffee und Kaltgetränke bringen. Ich spreche kaum Französisch oder Spanisch, aber trotzdem verständigen wir uns irgendwie. Und von deren Gastfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit unter diesen widrigen Bedingungen bin ich so gerührt für einen Moment, dass ich hätte heulen können.

Weiterhin macht Hoffnung, dass die gesamte Nacht über 30-40 Menschen vor Ort Wache halten.

Die Nacht verläuft weitgehend ruhig. Die Polizei ist allerdings leider kaum präsent. Ein Mal sehe ich eine Streife um den Block fahren, ein weiteres Mal kommt ein Polizeiwagen, weil er einen anderen Wagen verfolgt und anhält (vermutlich wegen Fahrt unter Alkohol).
Wesentlich öfter fahren Autos mit Nazis vorbei. Manche mehrfach. Manche mit rechten Aufklebern darauf. Oft viel zu schnell. Mit aufheulenden Motoren und Drohgebärden. Es zeigt, dass die Nachtwachen nötig sind, solange die Polizei dort nicht vor Ort bleibt in der Nacht. Für die kommende Nacht wurde dies angekündigt. Ich hoffe, dass dies wahr gemacht wird, denn viele Menschen haben bereits mehrere Nächte in Folge dort verbracht, um die Bewohner*innen vor Übergriffen zu schützen.

Wenn ihr also helfen wollt: lest den Twitteraccount @indenpeschen und die Texte auf der Seite: http://indenpeschen.blogsport.de/
Hilfreich für die Teilnahme an den Nachtwachen oder weitere Vernetzung ist eine kurze Mail. Die Bewohner*innen und auch die Helfer*innen vor Ort sind zu Recht sehr misstrauisch derzeit, weil sie schlicht Angst um ihr Leben haben.