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Halblegale Drogen und missbrauchsfähige Medikamente

Gastbeitrag

ein Essay von

Maike Wehmeier
Bergische Universität Wuppertal

Kurs: Vertiefungsseminar Physiologische Grundlagen der Biopsychologie

Studienfach: Bachelor Psychologie
Institut: Fachbereich G – Bildungs- und Sozialwissenschaften
Datum: 14. März 2013

Einleitung

Ob es uns gefällt oder nicht, Drogen und Rausch sind bis heute ein omnipräsentes Thema in nahezu sämtlichen Bereichen unserer Gesellschaft. Von kiffenden Jugendlichen über arbeits- und obdachlose Heroin-Konsumenten bis hin zu alkoholkranken Familienvätern (und -Müttern) und medikamentenabhängigen Schmerzpatienten, jede Bildungsschicht, jede Altersstufe und jede Subkultur hat ihr eigenes Rauschmittel der Wahl und die dazugehörigen Probleme. Die oben erwähnten Beispiele sind nur ein paar der gängigen Klischees – dazwischen und darüber hinaus gibt es kaum eine Form des praktizierten Drogenkonsums, die allein hier in Deutschland nicht vorkommt. Religiöse Gemeinschaften, die ihren Glauben auf spirituellen Erfahrungen unter Einfluss von Psychedelika begründen, Gewalttäter, die ihre Opfer mit Hilfe verschreibungspflichtiger Medikamente als sogenannte ‚KO-Tropfen‘ betäuben und homosexuelle Männer, die Schnüffelstoffe, sogenannte Poppers, für den besonderen Kick beim Sex einsetzen, sind nur ein paar weitere, etwas ausgefallenere Varianten.

Einer der entscheidendsten – und meiner Meinung nach willkürlichsten – Unterschiede ist die Rechtslage um die jeweiligen Stoffe. Man unterscheidet in legale Drogen (Alkohol, Nikotin, Koffein…), illegale Drogen und die Grauzone der missbrauchsfähigen Stoffe, hauptsächlich Medikamente. Hierbei wiederum reicht die Skala von besonders geschützten Mitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und nur mit einem speziellen Rezept und unter externer Überwachung verschreibungsfähig sind, über verschreibungspflichtige Medikamente bis hin zu frei verkäuflichen, nur teilweise apothekenpflichtigen Stoffen, die unkontrolliert und nahezu von jedermann erstanden werden können. Weiterhin fallen in die semi-legale Kategorie diverse Chemikalien, die zum Beispiel als Nagellackentferner, Klebstoff oder Felgenreiniger verkauft werden, außerdem in Labors synthetisierte Derivate psychoaktiver Stoffe, sogenannte Research Chemicals und einige handelsübliche Pflanzen und Pflanzenteile, die sich missbräuchlich als Rauschmittel verwenden lassen. Ebenso wie legalen Drogen sind diese Stoffe zwar nicht verboten, dürfen aber im Gegensatz zu diesen nicht gezielt für den Konsum als Rauschmittel verkauft werden, daher die Bezeichnung missbrauchsfähig.

Mit dem Verbot von weithin konsumierten Rauschmitteln gehen weitreichende Folgen einher – die Preise steigen, der Reiz des Verbotenen kommt gerade für Jugendliche dazu, Händler und Konsumenten werden kriminalisiert. Letzteres mag manche Konsumenten abschrecken – für andere jedoch verringert es schlicht die Skrupel, sich auf weitere Straftaten einzulassen. Beschaffungskriminalität ist eine Seite dieses Effekts, das Auftauchen immer gefährlicherer Stoffe als Streckmittel ein anderer.

Weiterhin führt ein Verbot illegaler Drogen zu einer gesteigerten Nachfrage nach legalen, preiswerteren und leichter zu beschaffenden Alternativen. Die Suche danach bleibt nicht lange erfolglos, denn die Möglichkeiten sind vielfältig – sowohl in historischer Pflanzenkunde als auch in der modernen Chemie lassen sich zahllose als Rauschmittel einsetzbare Substanzen finden, die vom Betäubungsmittelgesetz nicht (oder noch nicht) erfasst sind.
(Geschwind, 2007)

Ob Stimulanzien, Psychedelika oder Sedativa/Hypnotika – das gesamte Wirkspektrum bekannter Rauschmittel findet sich auch unter dem Deckmantel missbrauchsfähiger, jedoch nicht hauptsächlich als Rauschdroge gedachter Stoffe. In diesem Essay möchte ich ein paar der weniger bekannten Beispiele aus dem Bereich der missbrauchsfähigen, nicht per se als Droge klassifizierten Stoffe vorstellen, deren Wirkspektrum und Gefahrenpotential meiner Meinung nach weithin unterschätzt werden.

Vom Heilmittel zur Rauschdroge – missbrauchsfähige Medikamente

Nicht wenige der heute als illegale Drogen bekannten Stoffe haben ihren Ursprung in der Pharmazie. So tauchte zum Beispiel das von vielen als gefährlichste Droge überhaupt eingeschätzte Heroin erstmals als Hustensaft von Bayer auf. Als klar wurde, welches dramatische Suchtpotential Diamorphin aufweist – für ein Morphinderivat und damit einen dem Opium nahe verwandten Stoff eigentlich nicht sehr verwunderlich – wurde es zwar vom Markt zurückgezogen, in Konsumentenkreisen hatte es allerdings bereits seinen Platz erlangt und hält sich bis heute hartnäckig.

Sinnigerweise ist Methadon, der Stoff mit dem, neben dem neuartigen Subutex, heute meist die Substitution und Entwöhnung Heroinabhängiger durchgeführt wird, tatsächlich schädlicher als reines Diamorphin. Ein entsprechendes Pilotprojekt in Deutschland erzielte gute Erfolge mit der Ausgabe von pharmazeutisch reinem Heroin an Abhängige in der Substitution. Die Risiken beim Konsum von Straßenheroin liegen, abgesehen von der Kriminalisierung, der dadurch entstehenden Beschaffungskriminalität und dem hohen Toleranz- und Suchtpotential, hauptsächlich in den Gefahren des Umgangs mit nicht-sterilen Spritzen, den beigemischten Streckstoffen und nicht zuletzt, der Überdosierung bei unerwartet reinem Stoff. (Verthein, Haasen & Reimer, 2011)

Ein deutlich weniger bekannter, vermutlich stark unterschätzter Stoff ist das als Dextromethorphan-hydrobromid (9S,13S,14S)-3-Methoxy-17-methylmorphinan·HBr) in verschiedenen Hustenstillern vorliegende Dextromethorphan, kurz DXM. In Deutschland findet es sich als Monopräparat zum Beispiel in Hustenstiller Kapseln von Ratiopharm und Silomat und ist in dieser Form zwar apotheken-, nicht aber rezeptpflichtig.

Den gewünschten, antitussiven Effekt erzielt Dextrometorphan – wie auch Opioide – mittels agonistischer Wirkung am Sigma-1-Rezeptor, weshalb es zuerst fälschlicherweise als opioid-artiger Stoff klassifiziert wurde. Da es jedoch an keinem typischen Opioid-Rezeptor andockt, wurde diese Zuordnung inzwischen widerlegt. Weiterhin fungiert es als Serotonin- und Dopaminwiederaufnahmehemmer, wodurch die Rauschwirkung zustande kommt. Als NDMA-Antagonist wirkt DXM außerdem (oberhalb der therapeutischen Dosis) schwach analgetisch.

Der Reiz, den DXM als missbrauchsfähiges Medikament ausübt, liegt auf der Hand – es ist selbst für Jugendliche einfach und bequem in der nächsten Apotheke zu erhalten, zudem verhältnismäßig preiswert und unkompliziert oral zu konsumieren. Dieser Umstand führt mit dazu, dass die Rauschwirkung und -intensität von Dextromethorphan in der Regel unterschätzt wird. Die therapeutische Dosis von Dextromethorphan liegt bei etwa 30mg Dextromethorphan-hydrobromid (entsprechend 22mg Dextromethorphan) bis zu vier mal täglich. Zu Missbrauchszwecken wird diese Dosis jedoch um ein vielfaches überschritten. Der Konsum erfolgt oral, teilweise werden die Kapseln geöffnet, um das Pulver direkt zu konsumieren und so einen schnelleren Wirkeintritt hervorzurufen. Der Rausch hält, abhängig von Faktoren wie Toleranz, Mageninhalt und eventuell Beikonsum 6-9 Stunden an.

Je nach Dosis wirkt Dextromethorphan euphorisierend bis dämpfend und enthält dabei starke psychedelische und dissoziative Elemente. Man unterscheidet die anhand der Dosierung 4 bis 5 Wirk-Plateaus, die sich in der Intensität so wie den dominierenden Effekten des Rausches stark unterscheiden. Die Angaben der Dosierung sind nicht sehr präzise und hängen unter anderem auch von körperlicher Verfassung und Toleranz des Konsumenten ab. Dabei erstreckt sich die missbräuchlich konsumierte Menge von 1,5 bis hin zu 17mg pro kg Körpergewicht bei einmaliger Einnahme. Zum Erreichen des sogenannten Plateau Sigma werden über längeren Zeitraum mehrfach mittlere bis hohe Dosen eingenommen, so dass die Wirkung sich auf die Dauer potenziert.

Bei leichter Intoxikation mit Dextromethorphan steht, ähnlich wie bei einem schwachen Alkoholrausch, die stimulierende Wirkung im Vordergrund. Der Konsument wirkt euphorisch, die Aufmerksamkeit ist weitestgehend nach außen gerichtet. Es kann zu leichten halluzinogenen Effekten kommen, auch die Kommunikation ist betroffen (vergleichbar mit Lallen unter Alkoholeinfluss), die Motorik ist zumeist jedoch noch relativ zielgerichtet und unauffällig. Bei gesteigerter Dosierung verschiebt sich der Fokus von außen nach innen, die hypnotischen und dissoziativen Aspekte treten in den Vordergrund. Interaktion mit der Außenwelt wird schwierig bis unmöglich, stattdessen werden Reize aus der Umwelt in die nach innen gerichtete Wahrnehmung integriert. Die gefühlte Verbindung zum eigenen Körper reisst nach und nach ab, bis hin zu als außerkörperlichen Erfahrungen wahrgenommenen, stark dissoziativen Zuständen.

Diese Diversität in der Wirkung hängt mit der Vielzahl an Rezeptoren zusammen, mit denen DXM auf unterschiedlichste Art und Weise interagiert. Wie genau sich die einzelnen Rauschaspekte herleiten lassen, ist bisher noch nicht bekannt – Dextromethorphan hat, trotz seit den 80er Jahren ungebrochener Popularität als Rauschmittel, bisher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren. Dementsprechend dürftig sind auch die verfügbaren Informationen zu SaferUse, Abhängigkeitspotential und Langzeitfolgen des Konsums. (White, 1995)

Ein drittes, ebenfalls selten in Betracht gezogener missbrauchsfähiger Stoff ist der heute weniger populäre (Diethyl)Ether. Ähnlich wie Chloroform wurde Ether aufgrund seiner zentral-dämpfenden Wirkung ursprünglich als Narkotikum zum Beispiel bei Operationen eingesetzt. Der hohe Halbwertzeit, unangenehmen Nebenwirkungen sowie der Risiken im Umgang mit einer derart entzündlichen und (im Kontakt mit Sauerstoff und Sonnenlicht) teils explosiven Substanz wegen wurde Ether als Anästhetikum um 1900 nahezu vollständig durch geeignetere Stoffe ersetzt. Heute findet Diethylether in der Medizin hauptsächlich als Lösungsmittel in Tinkturen Verwendung.

Obwohl als Gefahrenstoff katalogisiert und nur zum Verkauf an Apotheken und Chemiker zugelassen, wird Ether auch heute noch gelegentlich als Rauschmittel missbraucht. Unter dem Vorwand beispielsweise eines schulischen Experimentes lässt sich in vielen Apotheken relativ leicht eine ausreichende Menge erwerben – weiterhin liegt Ether in verschiedenen Starthilfe-Mitteln aus dem Automobil-Bedarf vor, die ebenfalls frei verkäuflich sind.

Ein Etherrausch – herbeigeführt durch Inhalation oder Ingestion – ähnelt einem starken Alkoholrausch, bei höheren Dosen tritt ein narkoseähnlicher Zustand ein. Wie die meisten Schnüffelstoffe wirkt Ether sehr schnell, hat allerdings eine deutlich längere Halbwertzeit als zum Beispiel Poppers. Neben der mangelnden Aufklärung und den oben erwähnten Risiken im Umgang mit Ether (Explosionsgefahr etc.) birgt der leicht flüchtige und damit schwer zu dosierende Stoff die Gefahr einer schnellen Überdosierung. Außerdem kann es je nach Konsumweise zu Reizungen der Atemwege und der Rachen- sowie Magenschleimhäute kommen. (Geschwind, 2007)

Am Rande der Legalität – synthetische Drogen und Research Chemicals

Als KO-Tropfen oder Liquid Ecstasy begegnet es uns immer wieder in den Medien – GBL, Gamma-Butyrolacton. Diese farblose, allerdings keinesfalls geruchs- oder geschmacksneutrale Flüssigkeit, die in erster Linie als Lösungsmittel zum Beispiel in Reinigungsmitteln Verwendung findet, wird im Körper zu dem als Betäubungsmittel klassifizierten GHB (Gamma-hydroxybutansäure) metabolisiert. Im Gegensatz zum verschreibungspflichtigen GHB lässt sich GBL relativ einfach zum Beispiel im Internet erwerben, da es als Vorläuferstoff nur der freiwilligen Selbstkontrolle der Händler unterworfen ist. Diese wird in vielen Fällen akut vernachlässigt, eine Abgabe des Stoffes als Felgenreiniger mit dem Hinweis, dass dieser nicht zum Verzehr geeignet ist, hält geneigte Konsumenten wohl kaum vom Missbrauch der Chemikalie ab.

Auch GBL verleitet neben seiner hohen Verfügbarkeit und dem Status außerhalb der Kriminalisierung der Konsumenten durch den niedrigen Kostenfaktor (Flaschen a 50ml GBL von 99,7 prozentiger Reinheit werden im Internet für rund 25€ angeboten) und die bequeme, wenig abschreckende orale Konsumtechnik. Zu Missbrauchszwecken werden je nach Körpergewicht des Konsumenten 0,5-2ml der Droge mit einer beliebigen Flüssigkeit verdünnt getrunken. Der Wirkeintritt erfolgt zeitnah, innerhalb von 2-5 Minuten. Je nach Dosis hält die Wirkung 30 – 90 Minuten an, wodurch sich der Konsum unauffällig ins alltägliche Leben integrieren lässt – im Gegensatz zu Drogen mit längerer Wirkdauer hält ein GBL-Rausch den Konsumenten nicht zwingend über Stunden davon ab, seinen Verpflichtungen im Alltag nachzukommen. (Kam, 1998)

Das aus GBL metabolisierte und für die eigentliche Rauschwirkung verantwortliche GHB ist ein dem inhibitorischen Neurotransmitter GABA eng verwandter Stoff und liegt außerdem in geringerer Zahl als eigenständiger, exitatorischer Neurotransmitter im ZNS vor. Im Gegensatz zu GABA selbst hat es eine höhere Affinität an Monocarboxylat-Transporter (MCT), sogenannte Transportmoleküle, die es GHB ermöglichen, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. Zuerst bindet es hauptsächlich an den spezifischen GHB-Rezeptoren, welche die Glutamat-Ausschüttung erhöhen und damit die für geringe Dosen typische antriebssteigernde Wirkung auslösen. Bei höherer Konzentration von GHB steigt allerdings die Affinität zu GABAB-Rezeptoren. Aktiviert ermöglichen diese den Einstrom negativ geladener Chlorid-Ionen ins Zellinnere, der zur Hyperpolarization der Zelle führt, wodurch sich die dämpfende Wirkung erklären lässt. Zusätzlich wirkt GHB als Dopamin-Agonist.

Durch die Kombination dieser drei Mechanismen ergibt sich die für GBL typische Wirkkurve. Bei geringen Dosen zeigen sich hauptsächlich Euphorie, Zufriedenheit, Bewegungsdrang, Angstlinderung und ein allgemeines Rauschgefühl. Bei höheren Dosen kommt es zu Ataxie, gesteigertem Lustempfinden, Benommenheit und Schläfrigkeit bis hin zu narkotischen Zuständen. Neben einer schnellen und ausgeprägten Toleranzentwicklung führt die Wirkung an Dopamin-Rezeptoren zu einem erhöhten Suchtpotential und löst bei Abstinenz nach längerem Konsum Absetzsymptome aus, die mit denen einer Benzodiazepinabhängigkeit vergleichbar sind. (Geschwind, 2007)

Obwohl GBL im Körper sehr schnell und nahezu vollständig zu GHB verstoffwechselt wird, welches keine toxischen Eigenschaften aufweist, wirkt sich der orale Konsum eines wenig verdünnten Lösungsmittels natürlich negativ auf den Organismus aus. Es kann zu Reizungen an den Schleimhäuten im Mund-, Rachen- und Magenbereich kommen, außerdem greift GBL den Zahnschmelz an und wirkt bei Haut- und Augenkontakt ätzend.

Aufgrund seiner amnetischen und narkotisierenden Wirkung hat GBL den Ruf, als sogenannte KO-Tropfen eingesetzt zu werden. Sicher ist es schnell und unauffällig möglich, die geringe benötigte Menge von ca 2ml unbemerkt in ein unbeobachtetes Glas zu mischen – der beißende, chemische Geschmack der Substanz sollte meiner Meinung nach jedoch in den meisten Fällen auffallen, zumal der Stoff relativ zügig konsumiert werden muss, was eine zu starke Verdünnung unmöglich macht. Die typischen Symptome einer Vergiftung mit KO-Tropfen – Benommenheit, Störungen und Ausfälle in der Motorik, Black-Outs mit anschließender retrograder Amnesie – passen wiederum gut in das Wirkspektrum von GBL. Auch die enthemmende, luststeigernde Wirkung einer geringeren Dosis dürfte dem Zwecke der KO-Tropfen dienlich sein. So bleibt GBL, neben dem vielfach derart missbrauchten Benzodiazepin Flunitrazepam (Rohypnol), einer der am stärksten für den Gebrauch als KO-Tropfen verdächtigen Stoffe. (Smith, 1999)

Rausch aus der Natur – legale, pflanzliche Drogen

In den letzten Jahren erregte das Thema pflanzlicher, legaler Drogen, speziell am Beispiel von Kräutermischungen wie dem inzwischen verbotenen ‚Spice‘. Dabei handelt es sich nur scheinbar um ein pflanzliches Rauschmittel – laut Hersteller basiert die Wirkung zwar auf dem Zusammenspiel verschiedener pflanzlicher Bestandteile, tatsächlich wurden allerdings vermehrt synthetische Cannabioide nachgewiesen. Unabhängig der speziell zu Rauschzwecken angebotenen Produkte, legal oder illegal, gibt es jedoch noch viele andere frei verkäufliche oder in der Natur zu findende Pflanzen- und Pflanzenteile, die eine zum Teil stark berauschende Wirkung haben können. Darunter, neben den berüchtigten Nachtschattengewächsen (Stechapfel, Tollkirsche, Engelstrompete etc.), auch alte Bekannte wie Waldmeister oder Muskatnuss.

Im Gegensatz zu den meisten bisher beschriebenen Beispielen wird die nächste gemeinhin nicht unter-, sondern eher überschätzt, was in diesem Fall wohl hauptsächlich der Abschreckung dienen sollte. Außerdem ist er streng genommen nicht wirklich eine Pflanze – Amanita Muscaria, der Rote Fliegenpilz. Gerne wird er als giftig, ja tödlich beschrieben, tatsächlich gibt es aber keinen bekannten Todesfall in Folge von reinem Fliegenpilzkonsum. Die letale Dosis des für den Rausch verantwortlichen Wirkstoff Muscimol wurde in Experimenten an Ratten bei oral ca 45mg pro kg Körpergewicht ermittelt, was je nach Individuum einer Dosis von rund zehn ausgewachsenen Fruchtkörpern entspräche.

Um Amanita Muscaria ranken sich, neben seinem Ruf als gefährlicher Giftpilz, unzählige Legenden und Mythen. Zusammen mit Glücksschwein und Schornsteinfeger ist er uns als Glückssymbol bekannt – eigentlich eine seltsame Assoziation für einen vermeintlich hochgiftigen Pilz. So gibt es Interpretationen, die das alt-indische Soma, das griechische Ambrosia, Rumpelstilzchen und sogar Jesus als Sinnbilder für frühe Verehrung des Fliegenpilzes sehen. (Wasson, R. G. 1968)

Fakt ist, dass Amanita Muscaria eine in Vergessenheit geratene, nicht juristisch erfasste und in weiten Teilen Deutschlands natürlich vorkommende Rauschdroge ist. Fliegenpilze – dh, die Fruchtkörper, nicht die unterirdisch liegenden Myzelien – werden frisch oder getrocknet ingestiert. Historische Texte berichten von muscimolhaltigen Tees und sogar von Menschen, die den Urin von Fliegenpilzkonsumenten tranken, da ein großer Teil des Wirkstoffes den Körper auf diesem Wege unverändert wieder verlässt. Teilweise wird diese Konsumform sogar bevorzugt praktiziert, da die beim oralen Konsum mit aufgenommenen im Pilz enthaltenen Gifte, die nicht für die Rauschwirkung, dafür aber für unangenehme Nebenwirkungen verantwortlich sind, auf diesem Wege bereits verstoffwechselt sind.

Muscimol liegt im lebenden Fliegenpilz nicht direkt, sondern in Form des Vorläuferstoffes Ibotensäure, einer nicht proteinogenen Aminosäure vor. Im Verlauf der Trocknung oder Zubereitung des Pilzes zerfällt die Ibotensäure durch Decarboxylierung, also die Abspaltung von Kohlenstoffatomen, zu dem stärker psychoaktiven und weniger toxischen Wirkstoff Muscimol. Weiterhin wird sie im Körper fast vollständig zu Muscimol metabolisiert. Dieses wirkt als GABA-Agonist und entfaltet so seine inhibitorische Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Weiterhin erhöht es als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer den Serotoningehalt im synaptischen Spalt.

Wie die meisten psychoaktiven Pilze zeichnet sich auch der Fliegenpilz durch einen relativ langsamen Wirkeintritt aus, je nach Konsumform etwa eine halbe bis drei Stunden. Der Rausch selbst hält 10-15 Stunden an, wobei der Konsument meist vorher in tiefen, narkoseähnlichen Schlaf verfällt. Charakteristisch für einen Muscimolrausch sind besonders die ausgeprägten optischen Halluzinationen. Bei geschlossenen Augen werden bewegte, bunte Muster wahrgenommen, sogenannte Closed Eyes Visuals (CEVs), die optische Größenwahrnehmung ist stark gestört, zusammen mit der veränderten Körperwahrnehmung ergibt sich typischerweise das Gefühl, verkleinert zu sein beziehungsweise sich in einer stark vergrößerten Umwelt zu befinden. Die sensorische Wahrnehmung im Allgemeinen wird intensiviert, hohe Geräusch- und Lichtempfindlichkeit tritt auf. Nach und nach weicht die anfängliche halluzinogene Wirkung einer stärker deliranten; es kommt zu Denkstörungen, Orientierungslosigkeit, Derealisation und Depersonalisation, die Wahrnehmung von Zeit, Raum und Kausalität gerät aus dem Gleichgewicht. Mit der zentral-dämpfenden Wirkung geht der Konsument in einen traumartigen Bewusstseinszustand über, der meist nach einer Weile in tiefen, narkoseähnlichen Schlaf übergeht. (Stamets, 1996)

Der Ruf des Fliegenpilzes als Giftpilz hat bis heute ein stark abschreckende Wirkung auch auf sonst experimentierfreudige Drogenkonsumenten. Angesichts der Komplexität und Intensität des Rauschzustandes ist dies sicher auch angebracht, den Armanita Muscaria ist, unabhängig von der toxischen Wirkung seiner Bestandteile, keinesfalls eine zu verharmlosende rekreationelle Substanz. Gerade aufgrund seiner hohen Verbreitung in Deutschland ist es verwunderlich, dass Fälle von Muscimolintoxikation relativ im klinischen Umfeld relativ selten zu finden sind. Dass die Zubereitung von Armanita Muscaria und seinen Unterarten in Japan – und in Teilen Norddeutschlands! – eine lange Tradition hat, ist ein Fakt, der zu Gunsten des Respektes vor diesem hochpotenten Psychedelikum wohl besser keine zu große Bekanntschaft erlangen sollte.

Stellungnahme

Wie bereits angedeutet halte ich die Unterteilung potentiell psychoaktiver Stoffe in legal und illegal im besten Falle für willkürlich. Dies betrifft sowohl die beninge Haltung gegenüber Stoffen mit teils bekanntem Gefahren- und Abhängigkeitspotential, die einen reflektierten Umgang damit für einen Großteil der Konsumenten unnötig scheinen lässt und damit quasi unmöglich macht, als auch die überzogene Vorverurteilung anderer, zum Teil harmloserer Stoffe, die aufgrund teilweise längst überholter Argumentation irgendwann als illegal eingestuft wurden und seitdem jeden Konsumenten automatisch zum Kriminellen erklären.

Dieses Grundproblem zeigt sich schon in der meiner Meinung nach nicht anders zu erklärenden ablehnenden Haltung vieler gegenüber einer Substitution opioidabhängiger Patienten mit Diamorphin, also der illegalen Droge Heroin, anstelle des akzeptierten Medikamentes Methadon. Abgesehen von diesem Image-Problem überwiegen eindeutig die Vorzüge einer kontrollierten Diamorphin-Ausgabe, wie inzwischen mehrere Studien überzeugend dargelegt haben.

Die Selbstverständlichkeit, mit der in unserer Gesellschaft Alkohol konsumiert wird, obwohl man längst über die irreversiblen Effekte dessen weiß, ist ein Aspekt, den ich hier nicht weiter ausführen, jedoch der Vollständigkeit halber auch nicht unerwähnt lassen möchte.

Während der Besitz und Konsum von Cannabis – über dessen Einstufung als weiche Droge man aufgrund des hohen psychedelischen Potentials heutiger Züchtungen durchaus streiten kann – eine Straftat darstellt, finden sich Nachtschattengewächse wie Tollkirsche, Engelstrompete oder Stechapfel problemlos in gut sortierten Floristikgeschäften oder direkt im Vorgarten. Durch die kontrollierte Züchtung ist der Wirkstoffgehalt in Hanfpflanzen mittlerweile zwar deutlich stärker als noch vor 20 Jahren, jedoch existiert genug Wissen bezüglich der Wirkweise und der Risiken des Konsums, um einen relativ sicheren Umgang damit zu ermöglichen. Oben erwähnte Nachtschattengewächse hingegen sind zwar ebenfalls pflanzlich, aber deutlich weniger kultiviert. Dementsprechend kann der Wirkstoffgehalt von Pflanze zu Pflanze, ja von Blatt zu Blatt sehr stark schwanken, was das Risiko einer Überdosierung zwangsläufig erhöht. Abgesehen davon lassen sich gerade Nachtschattengewächse aufgrund des enormen halluzinogenen Potentials schwer einschätzen, ein sicherer Umgang mit dieser extrem anspruchsvollen Droge ist nur sehr eingeschränkt möglich – passenderweise existiert dazu, im Vergleich zum illegalen Cannabis, kaum Aufklärungsmaterial.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema gerade pflanzlicher Rauschmittel ist mir besonders die hohe Dichte an Verweisen auf historische Beispiele von Drogenkonsum aufgefallen. Rausch und Drogen sind offenbar immer Teil der menschlichen Kultur gewesen – teils rekreationell, teils spirituell, teils als Medikation. Es gibt Theorien, welche die Hexenverfolgung – speziell die von angeklagten ‚Hexen‘ beschrieben Erfahrungen des Schwebens, astraler Reisen und ausserkörperlicher Erfahrungen – mit dem Konsum pflanzlicher Rauschmittel in Verbindung bringen, eine Praxis, die gerade in den sicherlich sehr menschenunfreundlichen Zeiten des Mittelalters häufige Verwendung fand. Wohin man sieht, der Mensch scheint ein Bedürfnis nach Rauschzuständen zu haben und sei es nur aus Neugier, um die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu testen und zu überschreiten, die Realität als abstraktes Konzept zu verstehen oder, missbräuchlich, dieser zu entfliehen. So alt wie die Geschichte des Rausches ist auch die der Abhängigkeit, des Substanzenmissbrauch und der Gefährdung des Konsumenten und anderer durch den drogeninduziierten Kontrollverlust.

In meinen Augen gibt es nur einen sinnvollen Weg des Umgangs mit Rauschmitteln: den der Aufklärung. Nur wenn wir, statt die Augen vor bestehenden Problemen zu verschließen, wirklich hinsehen – die Gründe für Drogenkonsum hinterfragen, statt zu verurteilen, das Potential und die Gefahren unterschiedlichster Stoffe erforschen, statt zu verbieten, können wir lernen, gesund und möglicherweise sogar konstruktiv mit Drogen umzugehen. In aller erster Linie sollte der Fokus darauf liegen, Informationen zur Verfügung stellen, ja aufdrängen. Weder mit Verboten noch mit überzogenen Schauergeschichten werden wir Menschen langfristig damit abhalten können, mit Drogen, legal wie illegal, zu experimentieren. Der Versuch dies zu kontrollieren ist schlicht zum Scheitern verurteilt. Je eher wir dies einsehen und dazu übergehen, Konsumenten eine urteilsfreie Beratung und Begleitung im Umgang mit Rausch anzubieten, desto eher können wir die Risiken des Drogenkonsums eindämmen und das darum entstandene Elend (nicht zuletzt in Produktionsländern illegaler Drogen, die nahezu vollständig in der Hand ansässiger Drogenbarone sind) bekämpfen.

Die Gefahren, die sowohl Rausch- als auch Nebenwirkungen und speziell Abhängigkeit darstellen, sind keinesfalls zu unterschätzen oder zu verharmlosen. Eine vollkommen liberale Haltung gegenüber Drogen halte ich dementsprechend für fragwürdig – sie setzt einen mündigen, informierten Bürger voraus und momentan ist es selbst dem interessierten Konsumenten kaum möglich, wirklich neutrale, sachliche Informationen über Drogen und Konsum zu erhalten. Das ist meiner Meinung nach der Punkt, an dem die Psychologie sowohl als Wissenschaft als auch in der klinischen Praxis ansetzen kann und sollte, um den Raum, den Drogenkonsum in dieser Welt einnimmt, einen weniger gefährlichen zu machen.

Literaturverzeichnis

Geschwind, T. (2007). Rauschdrogen. Marktformen und Wirkungsweisen (7th ed.). Berlin:
Springer
Kam, P. C. A. & Yooung, F. F. Y. (1998). Gamma-hydroxybutyric acid: an ermerging recreational drug.
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Kolb, B. & Wishaw, I. Q. (2001). An Introduction to Brain and Behavior (2nd ed.). New York:
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Smith, K. (1999). Drugs used in acquaintance rape. Journal of American Pharmacology, 39, 519-
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Stamets, P. (1996). Psilocybe murshrooms of the world – an identification guide. Berklrey: Ten
Speed
Verthein, U., Haasen, C. & Reimer, J. (2011). Switching from Methadone to Diamorphin – 2-Year
Results of the German Heroin-Assisted Treatment Trial, Substance Use & Misuse, 46, 980-991
Wasson, R. G. (1968). Soma: Divine mushroom of immortality. New York: Harcourt Brace
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White, William E. (1995). The Dextromethorphan FAQ: Answers to Frequently Asked Questions about
Dextromethorphan, Version 4.0., retrieved from http://www.dextroverse.org/faq/dxmfaq40.txt, März 2013