Archiv der Kategorie: Piratenfraktion

Die Kleiderordnung

Ich muss schon wieder Hesse zitieren. Vermutlich hätte ich mich mit ihm gut verstanden…

„Jeder von uns muß für sich selber finden, was erlaubt und was verboten ist – ihm verboten. Man kann niemals etwas Verbotenes tun und kann ein großer Schuft dabei sein.“ (Hermann Hesse. Lektüre für Minuten. Suhrkamp. S. 78, ursprünglich aus Demian)

Übertragen also: Man kann einen Anzug tragen und ein Schuft dabei sein. Man kann einen Anzug tragen und schlechte Politik machen. Der Anzug ist für mich das Synonym für respektlosen Umgang mit Teilen der Bevölkerung. Historisch gesehen sind es selten Männer im Blaumann oder mit bunten Haaren gewesen, die fatale Entscheidungen getroffen haben, oder? Ist es es wirklich so, dass man Respekt (oder das Fehlen dessen) an der Kleidung ausmachen kann? Respekt wem gegenüber?

Einschub: Es geht um diese Diskussion: (via Spon) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/piraten-sorgen-mit-schlabberlook-fuer-beschwerden-im-parlament-a-839401.html

Und hier hat sich Daniel Düngel dazu geäußert: http://blog.duengel.com/2012/06/17/53-stunden-ohne-piraten/

Schule: Abschlussfeier. Ich habe mich durchaus auch schon mal über Schüler geärgert, die bei diesem doch so feierlichen Anlass mit Jogginghose und bedrucktem Schlabbershirt aufgelaufen sind. Da bin ich wohl auch schon sehr Teil des „Systems“. Vielleicht muss ich auch da jedem die Freiheit lassen, den Anlass nach seinen Werten zu beurteilen und entsprechend die Kleidung zu wählen. Cool wäre da eigentlich, wenn dieses Brechen der Normen nicht von den Hauptschülern käme. Da erwartet man das irgendwie. Sondern von den Einser-Abiturienten (die das allerdings natürlich nie tun würden).

Mitglieder anderer Parteien sagen mir ja gelegentlich unter der Hand, dass man von uns erwarte, dass wir die Regeln brechen, die Normen hinterfragen. In manchen Fällen klingt es wie eine Bitte. Im Moment passiert das aber gerade nicht. Gerade wir gehen da in vorauseilenden Gehorsam über. Alle Normen noch besser erfüllen, bloß nicht anecken, bloß nicht auffallen, bloß nicht provozieren. Ich höre abwertende Bemerkungen über Frau Milz. Aus unseren Reihen. Kann man sich gar nicht ausdenken. Wie ernst ist uns das mit dem Anerkennen von Individualität? Da ist also eine Dame aus der CDU mutiger als wir. Einfach mal sacken lassen.

Das Übernehmen der Regeln der Etablierten geht mir zu schnell. Dieser Anpassungs- teilweise Anbiederungsprozess geht schneller als das bei den Grünen je der Fall war. (Dabei behalten viele aber die große Klappe bei gegen die anderen Parteien.)
„Wir“ finden die Schuldenbremse toll. (An der Stelle könnte/müsste/sollte man auch vielleicht mal hinterfragen, ob Wirtschaftspolitik in der Form überhaupt funktioniert?) Ich finde, wir sollten fast ausnahmslos alles hinterfragen. Fundiert, aber auch mal mutig.

Piraten waren doch eigentlich nicht die, die möglichst schnell die Regeln der Obrigkeit übernehmen oder habe ich da was falsch verstanden?

Wir als Mandatsträger gehören zu den „Privilegierten“. Mehr als bei großen Teilen der Bevölkerung sehe ich uns in der Pflicht. Siehe das Beispiel mit der Schulfeier. Die Privilegierten müss(t)en die Regeln brechen, um etwas wirklich zu verändern.

Weiterführend hat Herr Martenstein passend dazu über den „Terror der Tugend“ bei Zeitonline geschrieben:

http://www.zeit.de/2012/24/DOS-Tugend

SSV – Sektchen und Schnittchenveranstaltungen

Hochglanzoutfits. Smalltalk. Schöne Menschen. Falschheit? Zumindest aber: Show. Oberflächlichkeit. (Bin ich da jetzt zu negativ?) Ich glaube, ich tauge für sowas nicht. Es ist ja gar nicht so, dass ich im Kostümchen oder Kleidchen mit Strümpfchen mit Naht und bravem Make-Up und braver Frisur nicht auch recht ordentlich aussehen kann. Es fühlt sich aber irgendwie merkwürdig an (und ehrlich gestanden hoffe ich, dass das so bleibt). Ich bin dann in Versuchung, den Anfang von Hesses „Steppenwolf“ zu zitieren. Irgendwas mit „Zufriedenheitsgott“ und Mittelmaß und der Sehnsucht nach Schmerz, nach dem Echten.

Vermutlich muss man da durch als „Profipolitiker“ (schon wieder das Gefühl von Würgen). Es ist ja durchaus toll organisiert. Auch letzte Woche bei der Preisverleihung beim LWL. Großartige Projekte, die geehrt wurden (das fand ich wirklich beeindruckend). Großartige Lokation (Erbdrostenhof, Münster). Fantastische Musiker. Leckere Schnittchen. Teurer Sekt.

Heute also Ähnliches: „Amtseinführung der Leitenden Oberstaatsanwältin und Würdigung ihrer Amtsvorgängerin“. Und jetzt kommt es ganz dick: Als MdL sitzt man dann erste oder zweite Reihe. Da kann man nicht mal in Ruhe und unbeobachtet twittern.
„Sie sind doch sicher von den Piraten.“ Mist. Am Gerät erkannt.

Ich schwanke also. Repräsentative Pflichten gehören schon auch dazu und ich sehe durchaus, dass Veranstaltungen zu Ehren von Menschen und deren Arbeit wichtig sind. Aber ich bin da Schmuck. Nicht als Mensch, sondern als Funktion.

Veränderungen kann man an der Stelle quasi gar nicht verhindern. Menschen begegnen einem auf einmal komplett anders. Man trifft auch auf Menschen, mit denen man sonst im Leben nichts zu tun haben würde. Und alle gehen anders mit einem um. Beispiel Bahnfahrt. „DIE FAHRKARTEN BITTE.“ Tonfall. Unfreundlich. Und jetzt zückt man diese Fahrkarte, die einen als Abgeordnete/n ausweist. Der Tonfall ändert sich sofort. (Wenn er nicht gleich in devote Unterwürfigkeit umschlägt, wird er zumindest deutlich freundlicher.)

Zurück zu unser heutigen Veranstaltung bei der Staatsanwaltschaft. Die Reden (aber erinnert mich bitte daran bei ähnlicher Gelegenheit nicht unbedingt Goethe zu zitieren) waren angenehm. Reden beendet man hier aber wohl noch mit „Glück auf“. Zumindest taten das manche Redner.

Am Ende der heutigen Veranstaltung habe ich ein paar Mitglieder des (wirklich großartigen) Chors kennen gelernt (und eine Einladung bekommen, dort mitzumachen.)

Einen Sekt getrunken. Auf nüchternen Magen. Schnittchen erspart, weil nicht vegan.