Sitzung der Steuerungsgruppe „Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen in NRW“ am 31.1.2013
Beim letzten Mal haben wir über Gruppen gesprochen, die bisher in der Arbeit der Organisationen (mit Hilfsangeboten, mit Prävention etc.) noch zu wenig erreicht werden:
https://birgit-rydlewski.de/2012/11/15/sitzung-steuerungsgruppe-15-11/
(Spannend fand ich zum Beispiel die Gruppe der Frauen mit akademischem Hintergrund oder in höheren Positionen etc.)
Heute berichtete Frau Ministerin Steffens zunächst von Problemen, die aufgrund der finanziellen Situation des Landes und der daraus resultierenden Schuldenbremse in den nächsten Jahren kommen werden. Die Kürzungen werden im Haushalt 2013 in den „freiwilligen“ Leistungen vor allem bei den Kompetenzzentren Frau und Beruf geleistet werden müssen. (Da war zunächst ein höherer Ansatz geplant.)
Auf finanzielle Verbesserung kann also auch der gesamte Bereich nicht hoffen. (Die Versorgung in NRW sei aber im Vergleich zu anderen Bundesländern noch recht gut.)
Überprüfen könne man, ob sich die Bedarfe verschieben.
Frau Ministerin Steffens sprach in der Sitzung auch die jetzt aktuelle Debatte zu #sexismus und #aufschrei an. Dies könne eine Chance sein. Wir müssten aber weg von Einzelfällen, die man in allen Bereichen der Gesellschaft finden würde zu einer allgemeinen Diskussion über Sexismus und Machtstrukturen.
Durch die aktuelle Debatte könnten sich auch Bedarfe verändern, weil mehr Frauen/Mädchen eventuell bei Beratungsstellen und Organisationen Hilfe anfordern, weil sie sich nun trauen, über Erlebnisse zu sprechen.
Die Zahlen, was z.B. Ablehnungen in Frauenhäusern angeht, sind nicht ganz klar, weil Frauen sich anonym melden können. Dies macht die Bedarfsanalyse schwer. (Die autonomen Frauenhäuser haben aber eine Umfrage vorliegen, die Zufriedenheit abbildet mit der Versorgung. Dabei geht es auch um die Frage, wie oft Frauen abgewiesen wurden.)
Es müsste zudem analysiert werden, ob zu bestimmten Zeiten/Veranstaltungen (aktuell z.B. Karneval) die Anzahl der Taten im Bereich der sexualisierten Gewalt zunehmen. (Dies ist anzunehmen.)
Da Frau Steffens auch Ministerin für Gesundheit ist, ist ihr wichtig, dass auch der Bereich „Frauen und Gesundheit“ (und der Einfluss von Gewalt in unterschiedlichen Ausprägungen) thematisiert wird in der Steuerungsgruppe. Dies wird in der nächsten Sitzung beleuchtet. Alle Angebote (stationär, ambulant, Beratung etc.) sollen noch besser vernetzt werden.
In der Diskussion geht es um Detailfragen (also Kostenverteilung zum Beispiel für Frauenhäuser). Es gibt für Frauenhäuser eine Grundversorgung und einen Anteil nach Belegung/Aufwand. Diese Staffelung könnte Probleme für die kleinen Frauenhäuser bedeuten in der finanziellen Ausstattung. (Oft geht es um Mängelverwaltung. Dies führt zu einer Art Ohnmachtserfahrung.)
Deshalb fragen: Welchen Stellenwert haben welche Aufgaben? Austausch notwendig darüber. (Und wo wird dieser Austausch der unterschiedlichen Institutionen stattfinden?)
Weiterhin geht es um das Thema der anonymen Spurensicherung. (Da geht es durchaus auch um so „banale“ Fragen, wie und wo Beweise gelagert werden. Hierfür wäre eine zentrale Stelle sinnvoll.) Auch hier ist das Hauptproblem: Finanzierung. (In vielen Fällen geht es übrigens nicht um „anonym“, sondern um vertraulich.)
Hier ein paar Informationen zur „ASS“:
http://www.frauennrw.de/einrichtungen/Siegburg_Gleichstellungsstelle/Siegburg_ASS-Flyer_Land.pdf
Problematisch aus Sicht der Medizinerin sei übrigens, dass Ärzte oftmals Opfer von Gewalt gar nicht erkennen.
Problematisch beim Erschließen neuer Zielgruppen hat sich in den Beratungsstellen erwiesen, dass dadurch die Anzahl der zu betreuenden Frauen immer gestiegen ist. (Was auch wieder finanziert werden muss, denn die Zahl der dort arbeitenden Frauen werden eher nicht mehr.) Hilfreich wäre es, von der Projektfinanzierung wegzukommen. (Dies hat mit der Definition als „freiwillige“ Aufgabe zu tun. Leider fehlt offensichtlich eine gesetzliche/rechtliche Grundlage, ob Gewaltschutz eine Pflichtaufgabe des Staates/des Landes ist.)
Weiterhin werden diverse Zielgruppen nicht speziell versorgt (z.B. bei der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule, Transsexuelle etc.) Menschen in Beratungsstellen brauchen unter Umständen Fortbildungen und dies kostet wiederum Geld.
Im zweiten Teil gab es zwei Inputvorträge zur Weiterentwicklung von Angeboten.
1. Aus Sicht der autonomen Frauenhäuser in NRW
Weiterentwicklung aus Selbsthilfeprojekten, interkulturelle Öffnung (plus Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund), spezielle Angebote für Kinder (führt zum Beispiel zu der Frage, bis zu welchem Alter werden Jungen dort aufgenommen), gute Vernetzung (z.B. mit der Polizei, der Jugendhilfe), Kontakte mit Politik, Wohnangebot an veränderte Ansprüche angepasst (kleinere Wohneinheiten, Inklusion etc.), konzeptionelle Weiterentwicklung, Zielgruppen mit erhöhtem Betreuungsbedarf gerecht werden (zum Beispiel jüngere Frauen), Arbeit mit Tätern
Probleme: Noch nicht alle Frauenhäuser sind in der Lage, Frauen mit Behinderung aufzunehmen (z.B. mit Assistenz). Frauen mit Behinderungen sind in Frauenhäusern unterrepräsentiert (gemessen an statistischen Erhebung bez. Gewalterfahrungen von Frauen mit Behinderung in der Gesellschaft)
Frauenhäuser sind in NRW gut ausgelastet. Die (oben erwähnte, noch nicht veröffentlichte) Umfrage zeigt auch einen hohen Grad der Zufriedenheit mit den Angeboten/der Betreuung durch die Frauenhäuser. Dies bedeutet auch, dass eigentlich keine Möglichkeit besteht, weitere Zielgruppen anzusprechen.
Große Aufgabe von kommenden Tagungen wird das Thema Inklusion sein.
2. Als Beispiel für innovative Lösungen wurde im zweiten Kurzvortrag das Konzept der „integrierten Intervention im Ennepe-Ruhr-Kreis“ vorgestellt.
Von der Gründung des Frauenhauses, zur Einrichtung der Frauenberatungsstelle, Gründung des Netzwerkes „Gesine“ (Netzwerk Gesundheit EN), Kontakt mit weiblichen Inhaftierten, Gründung TONI (Tatorientierte nachhaltige Intervention, also Kontakt mit Tätern und entsprechende Angebote)
Gezielte Kooperation und Qualifizierung der Kooperationspartner.
Beispiel: Theaterprojekt zur Verbesserung der Erwerbstätigkeit.
Kooperation mit Ärzten/Krankenhäusern, Schulen/Schulsozialarbeit
Grenzen: Nicht alle Zielgruppen werden erreicht. Frauenhaus hochschwellig.
Mehr Differenzierung notwendig: Manche Frauen wollen Partnerschaften weiterführen, nicht alle Frauen brauchen den hohen Sicherheitsstandard
Frauen können auch Täterin sein
Steigender Bedarf männlicher Opfer. Hier gibt es zu wenig Angebote.
Sicherungskonzept muss differenziert werden
Neue Zugangswege für Beratung
Neue Ebene (tatorientiert)
Konkret: Räumliches Zusammenlegen von Beratung und Frauenhaus (damit keine „geheime“ Adresse mehr, kurze Wege zur Beratung), zusätzlich Wohnungen anmieten (z.B. für höheres Sicherheitsbedürfnis, aber eventuell auch für Frauen mit hohem Bildungsabschluss, die man sonst kaum mit Angeboten erreicht)
Ziel: Thema Gewalt aus der Anonymität holen, mitten in der Gesellschaft diskutieren z.B. beim Friseur, beim Arzt etc.
Neue Möglichkeit in dieser Hinsicht auch bei der Kooperation (z.B. in Neuss) mit Unternehmen.
Weiterarbeit im Plenum mit drei Fragestellungen:
Wie könnte eine Differenzierung im bisherigen Hilfs- und Schutzangebot unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten Rechnung tragen?
Wie könnte der heutige Input der Fraueninfrastruktur auch für andere nutzbar (in die Fläche gebracht) werden?
Wie könnten unter den heutigen Bedingungen durch eine größere Flexibilität des Angebots auch bisher vernachlässigte Zielgruppen besser erreicht werden?
Erfolgsfaktoren: hoher Grad an Vernetzung (weiteres gutes Beispiel ist die Arbeit im Raum Bielefeld (Mädchenhaus, Frauenhaus, Beratungsangebote unterschiedlicher Art), (aber auch viel Arbeit), Lücken in der Vernetzung identifizieren und füllen, ganz wichtig: emotionale Teilhabe der Beteiligten
Chance eventuell: verschiedene Träger zusammenführen (aber individuelle Ausrichtung, Spezialisierung, Bedürfnisse müssen beachtet werden)
Wie Erfolg messen? (Darf/sollte man Klientinnen befragen? Ja! (Dafür braucht man aber auch Ressourcen. Kooperation mit Universitäten möglich.))
(Der Input geht jetzt durchs Ministerium, um zu gucken, was davon wie verwendet und weiterentwickelt werden kann.)
Weiterarbeit in der nächsten Sitzung: Gesundheitsaspekt einbinden und auf das Thema Gewalt beziehen. Auch: Kooperation mit ÄrztInnen. Anonyme Spurensicherung (was nicht nur die Beweissicherung angeht, sondern auch Umgang mit Gewaltopfern etc.), psychische und physische Folgen von Gewalt