Über Transparenz und (fehlendes?) Klassenbewusstsein
(verfasst zusammen mit @rndm_resistance)
Auf der Re:Publica hat gestern Bernhard Pörksen in seinem Talk mit dem Titel „Filter Clash. Die große Gereiztheit der vernetzten Welt“ unter anderem auf Untersuchungen hingewiesen, die sich mit Wut im Flugzeug beschäftigen. Warum rasten Menschen aus auf Flügen? Ein Faktor ist gegeben, wenn es 1. und 2. Klasse gibt und zB. Menschen der 2. Klasse, um zu ihrem Sitzplatz zu gelangen, durch die 1. Klasse laufen müssen. Die gegenseitige Sichtbarkeit erhöht bei beiden Gruppen die Wahrscheinlichkeit für Wutausbrüche. (Die einen sehen, wie man auch reisen kann. Die anderen sind genervt, weil „der Pöbel“ durch ihre Wohlfühlzone läuft.)
Was ist eigentlich Klasse?
Im alten Rom wurde mit dem Begriff die Zugehörigkeit zu einer Steuerklasse bezeichnet, die moderne Soziologie versteht darunter nach Pierre Bourdieu im Wesentlichen eine Gemeinsamkeit im Hinblick auf wirtschaftliche Verhältnisse (z.B. in Form von Lohnabhängigkeit), aber auch auf Habitus, d.h. eingelebte Gewohnheiten (die „Manieren“ im sozialen Raum), Sprechweisen („Soziolekt“) sowie das von klein auf anerzogene Selbstverständnis, das bei „Kindern aus gutem Hause“ von Anspruchsdenken, bei Kindern aus Arbeiter*innenhaushalten von der Betonung harter Arbeit geprägt ist.
Dazwischen gibt es in der heutigen Gesellschaft diverse Abstufungen wie beispielsweise die höheren Angestellten, deren Alltag als „white-collar workers“ die Erfahrungen der Ausübung von Macht mit denen des ausgebeutet-Werdens vereint. Diese jeweiligen Zugehörigkeiten zeichnen den Lebensweg vor und formen zugleich die Lebenswelt, in der ein Mensch die Welt und seine Rolle darin kennenlernt.
Wir leben -auch Dank des Internets- in Zeiten großer Transparenz. Man kann auf Instagram verfolgen, was die Reichen und Schönen machen. Gleichzeitig nimmt in vielen Ländern die Ungleichheit der Lebensverhältnisse (wieder) zu.
Warum führt nun diese Sichtbarkeit nicht zu größeren Unruhen? Wieso wird diese Spaltung der Gesellschaft als selbstverständlich und alternativlos wahrgenommen? Wieso werden immer wieder Parteien, die eine Wirtschafts- und Sozialpolitik zu Lasten der ohnehin schon Benachteiligten machen, von genau diesen Gruppen ins Amt gewählt?
Da ist zunächst das Heilsversprechen von Leistung im Kapitalismus. Der amerikanische Traum quasi. Jede*r kann ja, wenn er/sie sich nur genug anstrengt, auch selber reich werden. (Es wird dabei gerne ausgeblendet, dass es zumindest nicht sehr wahrscheinlich ist, durch Lohnarbeit reich zu werden. In den allermeisten Fällen geschieht dies durch Erbe.) Reicht diese kleine minimale versprochene Chance also aus, um eine ungleiche Gesellschaft zu befrieden? (Für den bisher kleinen Rest an Widerstand hat man eine zunehmend durchmilitarisierte Polizei, die das dann schon mit staatlich legitimierter Gewalt regelt.)
Wenn den einen am 1. Mai gesagt wird, sie sollten lieber arbeiten gehen, während von den anderen die Einkünfte aus der überteuerten Vermietung von Immobilien als legitime Arbeit betrachtet wird, so zeigt dies deutlich, dass zumindest diese Schicht durchaus Klassenbewusstsein hat. Warren Buffett, US-Milliardär, sagte einmal live bei CNN: „Es gibt tatsächlich Klassenkampf, und meine Klasse, die der Reichen, hat ihn gewonnen.“; Henry Ford, Pionier der hochgradig spezialisierten Industriearbeit (genau die, über die Marx schrieb, dass sie den Arbeiter abstumpfe und sein vielfältiges natürliches Potenzial verkommen lasse), wird ein Zitat zugeschrieben, nach dem es „noch vor morgen“ längst eine Revolution gäbe, wenn die Mehrzahl der Leute das System der Banken und des Geldes verstünde.
Die jedoch -und das ist das Bittere- die sich abgehängt fühlen, pöbeln zwar irgendwie gegen „die da oben“, finden aber nicht den Weg zu mehr Solidarität, sondern suchen zu häufig in der rechten Ecke ihr Heil. Durch Abgrenzung gegen die, die noch weniger haben. Gegen Hartz IV-Empfänger*innen, gegen Menschen ohne Wohnung, gegen Geflüchtete. Angeheizt von Parteien, die ihre Unterstützung von denjenigen erhalten, die die Aussicht fürchten, durch die Umverteilung einen Teil des Kuchens abgeben zu müssen. Derweil werden die, die für mehr Gerechtigkeit kämpfen und solidarisch handeln dafür vom Staat kriminalisiert und von ihren Mitbürger*innen als überempfindliche, faule Unruhestifter verunglimpft.
Warum wiegen sich noch immer die meisten Menschen in diesem Land wie auch andernorts in der vermeintlichen Sicherheit, auf der Gewinnerseite zu enden, anstatt die Logik zu hinterfragen, die ihnen ihren Platz zuweist – während sie täglich beim Abendessen ihr Leid an Überarbeitung, schlechten Löhnen und narzisstischen Vorgesetzten klagen?
… Fortsetzung folgt (Arbeitstitel: Über Ohnmacht, Selbstermächtigung und das Brechen von Regeln)