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Diskussionen um Sexarbeit

(Und der Backlash dazu in „linken“ Gruppen).

Eine persönliche Stellungnahme.

Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust mehr, auf SWERF und TERF Texte zu reagieren und Diskussionen zu Sexarbeit/Prostitution wieder aufzuwärmen, von denen ich eigentlich dachte, man hätte dies in den 90ern und später rund um die Prostitutionsgesetze ausgiebigst ausgehandelt. Wenn aber zunehmend junge, „linke“ Gruppen in ihren Forderungen wieder reaktionärer werden, sich eher auf CDU Niveau begeben in ihren populistischen, teils autoritären Argumentationen und damit weit hinter wirklich guten Texten und Analysen (https://www.aids-nrw.de/upload/pdf/empfehlungen/prostschg/20141008_runder_tisch_prostitution_abschlussbericht.pdf) aus dem bürgerlichen Niveau (übrigens unter Einbezug von Sexarbeitenden) zurückbleiben, wird es vielleicht doch Zeit für ein paar deutlichere Worte.

(Dies ist eine erste, kurze Fassung, die ich bei Gelegenheit erweitern könnte. Kommentiert/ergänzt gerne.)

Grundsätzlich stellt sich mir auch die Frage, ob es sinnvoll ist, einem schlechten Text durch Erwähnung zu mehr Reichweite zu verhelfen, aber da interne Diskussionen und meine Kritik jedes verfickte Mal in nach meinem Empfinden völlig abwertender Art abgebügelt wurden (zum Beispiel nach der Rede und dem Auftreten von fem:in Ruhr und den ihnen verbundenen Strukturen auf der 8. März Vorabend-Demo in Dortmund), ist es vielleicht einfach nötig, dass ich mal öffentlich klar Stellung beziehe.

Weil ich das wichtig finde. Eben genau, um Gewalt wirklich zu begegnen und auch, um Ally zu sein für meine Freund*innen in Sexarbeit. Und weil ich mich mit einer gegenläufigen feministischen, politischen Position zunehmend nicht mehr sicher fühle in Zusammenhängen und bei Demonstrationen, die derartig reaktionäre Beiträge nicht nur dulden, sondern feiern.

Ja. Ich bin wütend. Und nur dann schreibe ich überhaupt noch Texte.

Dieser Text hat nicht den Anspruch, alle Aspekte und Probleme von Sexarbeit erfassen zu können. Sexarbeit ist vielfältig, umfasst Escort, Pornos, Table Dance, Tantra-Massage, Sexualbegleitung und Straßenstrich. Und so vielfältig wie die Arbeitsfelder sind die Menschen, die entsprechend derart arbeiten.

Damit sind wir im Grunde schon beim ersten Kritikpunkt am neuesten Text von fem:in Ruhr zu Prostitution.

Der Text kommt ausschließlich cis-geschlechtlich daher. Es ist ausschließlich von weiblicher Prostitution die Rede. Das mag die Mehrheit sein der Menschen in Sexarbeit, beschränkt sich aber keinesfalls darauf. Ein Ausblenden der Vielfalt in Sexarbeit wirkt mir da systemisch. Es macht es einfacher, Frauen darauf zu beschränken, Opfer zu sein, die vor durchweg gewalttätigen Freiern gerettet werden müssten.

Ja. Es gibt in der Branche gewalttätige Übergriffe. Allerdings ist es -wie in dem Text gefordert- überhaupt nicht hilfreich, auf Kriminalisierung zu setzen, um Gewalt zu verhindern.

Aber der Reihe nach. Sehen wir uns den Text doch mal systematisch und von vorne an:

Die Veröffentlichung von fem:in Ruhr beginnt bereits mit der höchst populistischen Überschrift „Wenn Frauenkörper zur Ware werden“.

Die Diskussion, ob Sexarbeit eine Dienstleistung ist oder ob grundsätzlich und immer (wie bei fem:in) davon gesprochen werden kann, dass „Frauen ihren Körper verkaufen“, ist auch schon x Male geführt worden über die letzten Jahrzehnte. In der Sache würde es nach meiner Auffassung helfen, sich Antje Schrupp oder „Feminism Unlimited“ anzuschließen und begrifflich Sexarbeit und Prostitution auseinanderzudividieren.

Um Gewalt begegnen zu können, braucht es mE eine differenzierte Betrachtung, auch in der „linken“ Diskussion und mit Begriffen. Das ist aufwändiger, führt nicht zu reißerischen Bannern, hilft aber am Ende betroffenen Menschen weit mehr als das Befeuern von Stigmata und Stillschweigen oder gar die Forderung nach Kriminalisierung und damit ein Verdrängen ins Heimliche. „Prostituierte*r“, „Hure“ etc. ist als Selbstbezeichnung zu akzeptieren, als Fremdbezeichnung aber problematisch, weil damit unmittelbar Ablehnung, Kriminalität, Stigmatisierung, Missbrauch etc. mitschwingen.

Die Gefahr dabei, alles in dem Bereich über einen Kamm zu scheren, ist vor allem ein systematisches Unsichtbarmachen von Gewalt, zum Beispiel bezüglich trans Menschen in Sexarbeit. Von den in 2023 ermordeten 321 trans Menschen waren 48 Prozent in Sexarbeit tätig. (https://transrespect.org/en/trans-murder-monitoring-2023/)

Das Ausblenden führt zudem zu weiterer Stigmatisierung (der trans Menschen, aber auch Menschen in Sexarbeit im aktuellen Rechtsruck ohnehin schon ausgesetzt sind).

Aber zunächst mal weiter im Text von fem:in: Nahezu alle Behauptungen des Textes bleiben ohne Beleg oder Quelle. Beispiel: „Aber um welche Frauen geht es dabei? Wer sollte die wichtigere Seite sein, bei einer Gegenüberstellung von wenigen Freiwilligen und einer großen Anzahl Zwangsprostituierter?“

Neben der fehlenden Seriösität solcher Aussagen kommt hier ein weiterer Aspekt zum Tragen: Offen auftretenden Sexarbeitenden, die dies freiwillig und selbstbestimmt tun, wird das Recht abgesprochen, zu reden/ernst genommen zu werden. Sie werden als „zu privilegiert“ abgestempelt. Nur Frauen, die Gewalt erfahren haben und Prostitution daraus folgend ablehnen, werden als legitime Stimme angesehen. Diese Argumentation weist deutliche Doppelstandards auf. (https://prostitutionspolitik.net/2024/09/15/warum-der-vorwurf-des-privilegs-gegen-sexarbeitende-eine-anti-demokratische-strategie-ist/)

Und Nein. Sexarbeit muss nicht „empowernd“ sein. Manchmal ist es halt auch nur Scheiß Lohnarbeit. (https://medium.com/@theomeow/warum-sexarbeitende-ihren-job-nicht-lieben-müssen-34c895e4e74b)

Im Kapitalismus bleibt Lohnarbeit immer irgendwie unfreiwillig. Und niemand hat das Recht, darüber zu urteilen, wie man diese gestaltet sowie Menschen in ohnehin prekären Verhältnissen die Lebensgrundlagen zu entziehen.

Im Text von fem:in folgt dann ein größerer Abschnitt über Freier. Zweifellos ist in einer patriarchalen Gesellschaft männliche und sexualisierte Gewalt eingewoben, beschränkt sich aber bei weitem nicht auf Gewalt gegen Sexarbeitende. Jede Beziehung, jeder sexuelle Kontakt müsste daraufhin geprüft werden. Aber ist die Aussage, dass man sexuelle Dienstleistungen nicht kaufen dürfe, eine daraus unmittelbar folgende oder ist dies nicht eher ein sehr moralin-triefendes Ding? Ist Sex etwas so „Heiliges“/Besonderes, dass es auch konsensuell nicht mit Gegenleistung oder Bezahlung verbunden sein darf? Polemisch: Müsse man Sex anbieten, ohne dafür bezahlt zu werden? Im Nebensatz findet sich noch ein wenig mehr Moralvorstellungsgedöns in Form von Kinkshaming zu „Fetischnischen“, was ich jetzt aber in diesem Text nicht weiter problematisieren werde. Die moralische Überhöhung von Sex sieht man mE auch in Aussagen wie „Dadurch verliert die Sexualität ihren sozialen und zwischenmenschlichen Kontext“. Natürlich ist es legitim, Sexualität diese Bedeutung zuzumessen. Allgemeingültig ist diese aber keineswegs. Manchmal ist Sex einfach nur Sex. Lust, Befriedigung, Frustabbau. (Konsens natürlich vorausgesetzt.)

Die Quelle zur im Text von fem:in angesprochenen Umfrage unter Freiern bleibt ungenannt. Möglicherweise ist hier die von der Alice-Schwarzer-Stiftung bei Allensbach in Auftrag gegebene Umfrage gemeint. Es könnte auch die als unwissenschaftlich entlarvte „Farley-Studie“ sein (https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2024/07/16/zitate-gefaelscht-auf-diese-unwissenschaftliche-studie-beziehen-sich-viele-befuerworterinnen-eines-sexkaufverbots/

https://www.berufsverband-sexarbeit.de/wp-content/uploads/2024/03/ALTERNATIVE-FAKTEN_Freierstudie_Farley.pdf ).

Auch Kund*innen von Sexarbeitenden sind übrigens vielfältig. Ein überwiegender Anteil von Männern blendet Frauen, queere und behinderte Menschen einfach mal aus.

Und wie Zsara (trans & neurodivergent, syndikalistische Anarchistin sieht keine andere Möglichkeit als Sexarbeit, um eigenständig ihren Lebensunterhalt zu verdienen) mir dazu passend schrieb:

„Wer Lohnabhängigen ihre einzige Lebensgrundlage entziehen will ist, für mich 100x mehr ein*e Klassenverräter*in als jede*r Freier*in.“

In die emotional aufheizenden Formulierungen mischt sich nun im Text etwas Paternalistisches. Frauen werden als Opfer, migrantisch, jung gesehen und vor allem als hilflos, als jemand, den man „retten“ müsse.

Nun könnte ich mich noch mit Marx‘ Verdinglichung beschäftigen, da das aber den Rahmen sprengen würde, endet diese Analyse zunächst mal mit einem Blick auf die Auswirkungen der von fem:in geforderten Kriminalisierung. Fem:in setzt hier auf einen gesellschaftlichen Wandel, der durch Ausweitung von Scham und dadurch zunehmende gesellschaftliche Ablehnung des Kaufs von Sex passieren soll.

Kriminalisierung/Auswirkungen und Kritik:

Gerade Scham und mehr Repression führen aber eben nicht zu einem Rückgang von Gewalt, sondern vor allem dazu, dass Betroffene erst recht nicht mehr über diese Erfahrungen sprechen könn(t)en und Sex gegen Bezahlung vermehrt im Verborgenen ablaufen würde.

Aussagen, dass Menschenhandel durch das Prostitutionsgesetz befördert worden seien, haben bisher keine in Daten abgebildete faktische Basis. Mehr zu Menschenhandel:

https://www.ban-ying.de/fileadmin/banying/publikationen/Artikel_MH_und_ProstSchG_Mai_2017.pdf

Stellungnahmen zu den Auswirkungen von Kriminalisierung gibt es zu Hauf. Hier ein paar Beispiele:

Kriminalisierung ist unter anderem paternalistisch:

https://medium.com/pulpmag/nordic-model-the-ongoing-criminalization-of-sex-workers-in-northern-europe-c1df02ba94ae

Missy-Magazin: Gibt es feministische Solidarität?

Ausführliche Analyse in Englisch zu „human rights of sexworkers“:

https://www.coe.int/hu/web/commissioner/-/protecting-the-human-rights-of-sex-workers

Stellungnahme des BesD e.V. (Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen) gegen Kriminalisierung.

Studie zu den Auswirkungen eines Sexkaufverbotes.

Stellungnahme von Doña Carmen e.V. (Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten):

https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/02-Unaufgeforderte-Stellungnahme-Dona-Carmen-e.V..pdf

Amnesty International

Das könnte ich nun noch eine Weile fortführen, belasse es aber erst einmal dabei.

Was wirklich helfen würde:

Nach meiner Auffassung neben einer wie von mir oben geforderten differenzierten Betrachtung: Über Bedarfe mit Betroffenen zu reden und dementsprechend solidarisch zu handeln. Auch hier gilt: „Nicht über uns ohne uns.“

Studie der Aidshilfe zu gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeitenden:

https://www.aidshilfe.de/meldung/sexarbeit-deutschland-druck-nimmt-hilfsangebote-wichtiger-denn-je

„‚Sexarbeitsfeindlichkeit, Rassismus und Transmisogynie führen zu Gewalt gegen Sexarbeiter*innen, ganz besonders gegen trans weibliche Sexarbeiter*innen. Wir möchten mit Respekt behandelt werden. Wir sind normale Menschen, keine Monster. Ausgrenzung und Isolierung haben eine negative Auswirkung auf die Gesundheit von Sexarbeiter*innen. Durch Projekte von und für Sexarbeiter*innen und akzeptierende Arbeit kann die Gesundheit in unserer Community gefördert werden.‘“

Und natürlich:

Ausweitung von Arbeitsrechten:

Aktuelle Entwicklungen zB. in Belgien:

https://www.firstpost.com/explainers/belgium-sex-workers-labour-rights-maternity-pay-pension-rights-law-13840881.html

Bild des schwarzen Jutebeutels des Berufsverbandes für Sexarbeit mit in weiß gedruckten bestrumpften Beinen, zwischen denen sich eine wütende Schlange wickelt. Rechts in geschwungener Schrift: “Sexwork is work“ und „FIGHT STIGMA“.