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Solidarisch durch die Krise! Aber wie?

Krisen und Bedrohungen aller Art werden mehr. Pandemie. Nächste Welle Corona. Krieg in der Ukraine. Klimawandel. Damit einhergehende Preissteigerungen, die viele Menschen existenziell bedrohen. Abwehrkämpfe gegen Entwicklungen ins Autoritäre.

Was machen „wir“ als wie auch immer aussehende linke Bewegung damit? Demos organisieren, um Forderungen an den Staat zu stellen? Mehr Selbstorganisierung in Gruppen, Stadtteilläden, mit Küfas etc. gegen die Vereinzelung, die (gesellschaftliche) Kälte und das Ohnmachtsgefühl? Beides? Oder vielleicht ganz was Anderes?

Ich weiß für mich gerade auch nicht so richtig, was sinnvoll wäre. Also habe ich erst einmal parallel bei Twitter und Mastodon einige Fragen gestellt, um zumindest in meiner überschaubaren Bubble herauszufinden, wie da eigentlich die Stimmung ist. Das erfüllt natürlich keine wissenschaftlichen Kriterien zur Datenerhebung, ist nicht repräsentativ, viel zu kleine Stichprobe. Dies. Das. (Jede Unfug-Umfrage läuft natürlich besser mit viel mehr Beteiligung. Seufz.) Und verschafft mir trotzdem einen klitzekleinen Überblick, wie es anderen Menschen mit ähnlicher politischer Ausrichtung aktuell so geht diesbezüglich.

Kurzer Exkurs Social Media: Meine Twitteraccounts haben aktuell 1684 Follower*innen (offener Account), 2432 (geschlossener Account). Bei Mastodon sind es 555 . Das ist insofern interessant, weil die Anzahl von Teilnehmenden bei den Umfragen bei Mastodon trotz viel niedrigerer Anzahl an Follower*innen vergleichbar ist. Die Reaktionen in Form von Kommentaren, Diskussionsbeiträgen sind in der Anzahl etwa gleich.

Die Qualität der Diskussionsbeiträge ist natürlich zunächst mal von einzelnen Menschen abhängig. Grundsätzlich empfinde ich aber oftmals die Kommentare bei Mastodon als ausführlicher/persönlicher/tiefergehender in der Analyse. In diesem konkreten Fall waren die Kommentare bei beiden Plattformen durchweg qualitativ hochwertig, differenziert, ausführlich etc. Einen Unterschied kann ich an der Stelle insofern nicht feststellen.

Ich kann keine belastbare Analyse der politischen Einordnung meiner Follower*innen liefern. Aus dem Gefühl heraus ist Mastodon deutlicher politisch linksradikal. Bei Twitter sind (auf beiden Accounts) durchaus auch noch liberale und Accounts der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ zu vermuten. (Auch, wenn ich großzügig blocke.) Zudem hat Twitter vermutet mehr Karteileichen (inaktive Accounts) als Mastodon. (Bei Mastodon kann man inaktive Accounts via Dashboard schnell identifizieren. Gibt es sowas auch für Twitter?)

Umfrageergebnisse: (Wenn nichts dabei steht, waren die Fragestellungen bei Twitter und Mastodon identisch.)

Frage 1:

(Boosts/Mastodon: 10 Retweets/Twitter: 5 Likes/Mastodon: 5 Likes/Twitter: 4)

Angesichts kommender Krisen (Corona-Welle, Preissteigerungen, Klimawandel etc.): Was wäre eure bevorzugte Variante?

  • M 70 % T 45 %     Mehr Selbstorganisation (in Stadtteilen)
  • M 17 % T 33 %     Große, linke Demos
  • M   7 % T   4 %     Was Anderes (Kommentar)
  • M   6 % T 18 %     Ergebnis zeigen
  • M 97     T 136         Anzahl Teilnehmende

Kommentare:

  • Geld wird immer weniger wert und die Preise steigen stetig. Wir müssen Wege finden den Umweg Geld zu umgehen. Dies nutzt in der Inflation und mehr teilen schont auch noch die Umwelt. Also werft nichts weg und fördert die Umsonstökonomie.
  • Eine irgendwann ja vielleicht doch noch mal funktionierende (grüne) Politik/Regierung.
  • Bessere politische Vorgaben durch Land und Bund, letztlich sind das Krisen, die nicht individuell oder durch Bewegungen gelöst werden können, sondern nur durch kluge politische Rahmensetzung.

Frage 2: (Bei Auswahlmöglichkeit 1 musste ich für Twitter aufgrund der restriktiveren Zeichenbegrenzung „Stadtteilläden“ leider weglassen, was zu einem etwas anderen Ergebnis führt. Ein Umsonstladen hat sich deshalb via Twitter statt für Möglichkeit 1 für Möglichkeit 3 mit entsprechend erläuterndem Kommentar entschieden.)

(Boosts/Mastodon: 5 Retweets/Twitter: 1 Likes/Mastodon: 4 Likes/Twitter: 2)

Wie seid ihr aktuell organisiert?

  • M 33 % T 20 %     Selbstorganisation, (Stadtteilläden,) Antifa etc.
  • M   8 % T 11 %     In Parteien
  • M   6 % T   6 %     Anders (Kommentar)
  • M 53 % T 63 %     Nicht organisiert
  • M 79     T 85           Anzahl Teilnehmende

Frage 3: (Erläuterung: ph = physical health, mh = mental health)

(Boosts/Mastodon: 3 Retweets/Twitter: 2 Likes/Mastodon: 3 Likes/Twitter: 2)

An Menschen, die derzeit nicht irgendwo organisiert sind:

Was hindert euch?

  • M 23 % T 32 %     Zu wenig Zeit
  • M 43 % T 42 %     Mastodon: Ich kenne keine Menschen, Orgas, Gruppen. Twitter: Ich weiß nicht, wo.
  • M 32 % T 24 %     Erkrankung (ph, mh)
  • M   2 % T   2 %     Ich sehe keine Notwendigkeit.
  • M 53     T   71         Anzahl Teilnehmende

Kommentare:

  • Angst vor Gruppen und Dynamiken
  • Keine Kraft und keine passenden Strukturen, in denen ich das Gefühl hätte, sinnvoll aktiv zu sein.

Frage 4:

(Boosts/Mastodon: 3 Retweets/Twitter: 2 Likes/Mastodon: 3 Likes/Twitter: 2)

An Menschen, die aktuell nicht organisiert sind:

  • M 65 % T 66 %       Ich würde gerne mehr machen.
  • M 15 % T 12 %       Ich möchte nicht mehr m(achen).
  • M 20 % T 22 %       Ergebnis zeigen.
  • M 61     T 83             Anzahl Teilnehmende

Analyse der Umfrageergebnisse: Aus den in der Einleitung erwähnten vermuteten unterschiedlichen politischen Umfeldern bei Mastodon und Twitter ergeben sich entsprechend zumindest an einzelnen Stellen deutliche Unterschiede in den Ergebnissen. Diese zeigen sich vor allem beim Bedürfnis nach mehr Selbstorganisierung (Frage 1) sowie bei der Art der aktuellen Organisierung (Frage 2).

Potential für Gruppen und zukünftige Aktionen ergibt sich aus dem bei beiden Plattformen recht großen Anteil an Menschen, die Interesse an progressiver, linker Politik haben, die derzeit aber (noch) nicht irgendwo politisch engagiert sind. (Obwohl die absoluten Zahlen sehr klein sind, ist zumindest zu hoffen, dass es außerhalb von Social Media diesbezüglich ähnlich aussieht.) Man darf aber nicht übersehen, dass dies bei „bürgerlicher Mitte“ über liberal hin zu Querdenken und Neonazis ebenfalls zu befürchten ist.

Frage 5:

(Boosts/Mastodon: 2 Retweets/Twitter: 1 Likes/Mastodon: 4 Likes/Twitter: 8)

Ich ergänze noch um eine offene Frage:

Was würde euch helfen, irgendwo einzusteigen in eine Gruppe/Orga? Was braucht ihr dafür?

Kommentare: (in einzelne Punkte aufgesplittet bei längeren Antworten. Teilweise Rechtschreibung (Groß-/Kleinschreibung) angepasst.)

  • Online-Affinität
  • weitgehende inhaltliche Übereinstimmung
  • Umgangsweise ohne Messer im Rücken und Kleinkrieg wie sonst überall.
  • Aktionsformen neu erfinden, statt ritualisiert immer dasselbe abzuspulen.
  • Dinge hinterfragen wird als Inspiration und Chance zur Weiterentwicklung, nicht als Angriff gewertet.
  • Anerkennung der Realität, dass wir als Zivilisation auf dem absteigenden Ast operieren.
  • aber tbh: mehr oder weniger aufgegeben.
  • formell organisiert, habe aber nicht die Kapazitäten, mich auch tatsächlich einzubringen. Eine Partei, mehrere Vereine. Mehr als Beiträge zahlen kommt im allgemeinen nicht rum. Und ob ich das noch dauerhaft bei allen kann, steht aufgrund der explodierenden Preise auf der Kippe.
  • gute Gesundheit
  • Eine geeignete Gruppe oder Orga brauch ich.
  • heterogen
  • kein idiotischer Anspruch an eigene, angebliche Unfehlbarkeit (aka mind. undogmatisch)
  • solidarischer Umgang mit (eigenen) Widersprüchen
  • Ansetzen an Lebensrealitäten
  • (Selbst)Reflektionsfähigkeit
  • Und ein bisschen Spaß wäre auch nicht falsch.
  • In der Wirkung nach außen gerichtet. Selbstbespaßung und „predigen zu den Bekehrten“ gibt mir wenig.
  • Niedrigschwelligkeit bzgl Kindern. Wenn Treffen um 19 Uhr abends stattfinden, bin ich raus. Verrauchte Kneipen als Treffpunkte raus. usw.
  • anarchistisch, antikapitalistisch, antifaschistisch, antirassistisch, undogmatisch, praktisch, lokal.
  • Begriffe ausdifferenzieren: „Antifaschistisch“ heißt zZ für die einen Waffenlieferungen an die Ukraine, für andere gegen die Sanktionen ggü. Russland und für Dritte für einen naiv-depperten Pazifismus einzutreten. Ich glaube, man muss vielfach viel grundlegender debattieren.
  • Hier konkret: Den offensichtlich Betroffenen von überlegener Gewalt beistehen. Und sich dabei vielleicht nicht auf die eigenen Scheuklappen beziehen, sondern auf potenziell Verbündete vor Ort.
  • Gleichgesinnte und Leute wie ich, die in und an dieser Arbeitswelt leiden.
  • Linke wollen (mit Revo) die Welt retten, aber bekommen es nichtmal geschissen, während ner Pandemie laut und sichtbar dafür einzustehen, dass täglich Menschenleben durch simples, konsequentes Masketragen geschützt werden könnten.
  • Umgang mit Konflikten, „bad actors“ (Erläuterung: In der weiteren Diskussion via Twitter kein Konsens diesbezüglich. Rauswerfen vs. Täter*innenarbeit, Fehlerkultur (bis zu welchem Punkt?))
  • Weg von Szenecodes, akademischer Sprache. Menschen zugestehen, da zu lernen.
  • Niedrigschwelliger Einstieg
  • Akzeptieren von Krankheiten mit entsprechenden Einschränkungen
  • gut erreichbar mit ÖPNV

Fazit? (Für Gruppen?)

Trotz nicht ausreichender Zahlen kann man wohl davon ausgehen, dass im linken Spektrum etliche Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen bisher nicht in Gruppen aktiv sind. Diese Gründe sind einerseits sehr persönliche (Gesundheit etc.), aber auch in bisherigen Erfahrungen mit Aktivismus begründet, wenn man sich die doch sehr vielfältigen Kommentare ansieht. Auch Gruppen haben an der Stelle Ansatzpunkte, ihre Zugänglichkeit, ihre Kommunikation, ihre Ausrichtung und den Abbau von Barrieren zu überdenken.

Und nun? (Für Menschen, die sich organisieren wollen)

Wenn ihr in eurer Region was machen wollt, aber nicht so richtig wisst, wo anfangen: Es gibt in vielen Regionen ganz gute Seiten mit Terminen. In Berlin zum Beispiel ist das der Stressfaktor. In Dresden heißt die Seite Terminal. In Hamburg Bewegungsmelder. In München https://www.kalinka-m.org. In Leipzig https://www.planlos-leipzig.org/. Im Ruhrgebiet gibt es Hermine und für Dortmund/Bochum zusätzlich noch Latscher.in.

Linke Räume/Veranstaltungen/Gruppen und Barrierefreiheitk

Ich muss gestehen: Als ich jünger und leistungsfähiger war, habe ich mir gar keine Gedanken gemacht zu so Themen wie Barrierefreiheit. Als Lehrerin war das dann schon immer mal Thema, aber in linken, politischen Gruppen kaum. Als nun aber selbst Betroffene fällt mir immer mehr auf, dass linke Räume und Veranstaltungen sehr wenig auf die Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet sind. Auch bei Demonstrationen sieht man, wenn es nicht explizit um Themen geht, die mit Behindertenrechten zu tun haben, eher wenig Menschen mit sichtbaren Behinderungen (zum Beispiel auch jetzt zum Frauenkampftag). Grundsätzlich sind linke Demos eher männlich geprägt und Menschen über 30 auch schon seltener.

Kann man das ändern? Will man das ändern? (Ich unterstelle einfach mal, dass Menschen nicht absichtlich ausschließend sind, sondern vermute, dass in den ganzen Kämpfen gegen Patriarchat, Kapitalismus und Rechtsruck etc. kaum noch Kapazitäten sind, Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen mitzudenken, zu berücksichtigen und deren Kämpfe auch solidarisch zu unterstützen. Was ich schade finde.)

Alle paar Monate suche ich dann nach Beispielen, wo sowas schon gut funktioniert. Insofern möchte ich mit diesem Text, den ich sukzessive ergänzen werde, Positivbeispiele sammeln und Hinweise von Menschen mit Behinderungen aufnehmen, was ihnen fehlt in linken Zusammenhängen bzw. wie man mehr Teilhabe verwirklichen könnte.

(Dieser Text erfüllt auch noch nicht alle Bedingungen zur Barrierefreiheit. Ich arbeite daran, dies zu verbessern.)

Beispiele:

Leichte Sprache auf der Webseite: Das AZ Conni in Dresden

https://www.azconni.de/leichte-sprache/

Vielen Dank an Jan in den Kommentaren für die folgende Ergänzung:

„Das AZ Conni hat seit der Sanierung einen Aufzug und die Kneipe, Rolliklo und alle Veranstaltungsräume sind mit dem Rollstuhl barrierearm erreichbar. Außerdem hat der Tresen eine Absenkung für Rollifahrer_innen. Auf der Homepage steht dazu u.a. etwas hier: https://www.azconni.de/statement-zum-toilettenumbau/
Zusätzlich gibt es am Tor eine Infobake für Menschen mit Sehbehinderungen“

Habt ihr weitere Beispiele für gelungene Versuche von Barrierefreiheit in linken Räumen? Gerne als Kommentar.

Welche linken Räume haben Hinweise zur Barrierefreiheit auf ihrer Seite?

    Beim AZ Mülheim zum Beispiel habe ich keine Suchfunktion gefunden. Es gibt aber einen Hinweis zur Barrierefreiheit, welchen man durch Scrollen auf der Hauptseite links findet. (Nicht direkt verlinkbar, daher als Screenshot.)

    Beim AJZ Bielefeld findet sich links unter Infos ein Satz zur Barrierefreiheit

Bei den meisten linken Räumen finde ich leider keine Hinweise zur Barrierefreiheit auf der Webseite.

Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass die Räume nicht barrierearm gestaltet sind.

Für Menschen, die einen Rollstuhl benutzen, gibt es bei vielen Räumen Hinweise in der Wheelmap. Es ist schwieriger herauszufinden, wie gut die Bedingungen/Gegebenheiten für Menschen mit Sehbehinderungen (Beleuchtung, mögliche Stolperfallen, Treppen, Schriftgröße, Kontraste etc.), Hörbehinderungen (Gebärdensprache, schriftliche Informationen) oder gar für Menschen mit psychischen oder anderen weniger sichtbaren Behinderungen sind (zum Beispiel dahingehend, wie vielen optischen, akustischen und anderen Reizen diese dort ausgesetzt sind).

  • Das Black Pigeon in Dortmund hat auf der Webseite keinen Hinweis auf Barrierefreiheit. An der Eingangstür ist eine kleine Schwelle. Die Toilette ist mit Rollstuhl befahrbar.
  • Das Trotz allem in Witten hat auf der Webseite einen Hinweis, dass der Eingang nicht barrierefrei ist. Sehr gut ist dabei der Link zur Wheelmap. Außerdem sind viele Begriffe mit Links zur Wikipedia versehen, um die Verständlichkeit zu verbessern.

Veranstaltungen:

  • Mad Pride

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Mad_Pride

Was muss man mitdenken für Barrierefreiheit bei Treffpunkten:

Baulich:

Anzahl Türen

Höhe Schwellen

Breite der Türen

Klos nur mit Stufen erreichbar?

Falls ja – welche Höhe, welche Anzahl?

Bei Stufen: Handlauf vorhanden?

Im Aufgang/Eingang: Wie viele Stufen?

Wie hoch sind diese?

Aufzug vorhanden?

Falls ja – welche Breite?

Bei Aufzug auch IMMER bewusst prüfen: Stufenlos erreichbar?

Bei „Nebeneingängen“/“Tricks“: Welche Steigung muss bewältigt werden?

Gibt es Stufen?

Wie wirkt die Räumlichkeit auf sensible Menschen? (Ist ein reizarmer Zugang möglich? Rückzugsmöglichkeiten?)

Veröffentlichungen:

Design etc.:

Falls Texte ausgegeben werden:

Gibt es sie auch in Großdruck? Kontrastreich? In leichter Sprache? In unterschiedlichen Sprachen?

Bei Transparent-Erstellung: Werden geplante Bilder beschrieben? Die Gestaltung für Nicht-/Schlechtsehende beschrieben und besprochen?

Material/Broschüren: gibt es sie auch in Großdruck/kontrastreich, oder aufgesprochen auf CD/im Netz?

Inhaltlich:

Sollen „Behinderte“ nur Teil der „eigenen/üblichen“ Aktionen und Demos sein oder auch als Individuen vorkommen? Welche Kämpfe sog. „Behinderter“ werden von der Struktur selbst wahrgenommen oder unterstützend mitgekämpft?

Wie kann ein Hineintragen der Kämpfe „Behinderter“ in linke Strukturen gelingen? Referierende einladen, Bücher lesen und besprechen, auf Veranstaltungen sog. „Behinderter“ gehen?

Auseinandersetzung mit eigener Bias: Sog. „Behinderte“ nur als Kümmer- und Pflege“fälle“ wahrnehmen, als Belastung, als Aufhalten, als „Minderleistende“?

(Danke an @catinchief für den Input)

Sage Nein!

Über das (notwendige) Erlernen von Widerstand

„Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, ‚Nein‘ zu sagen.“

(Fritz Bauer)

Am Pfingstwochenende waren in Berlin für eine kurze Zeit mehrere Objekte, die zum Teil bereits seit Jahren leerstehen, besetzt worden.

Ein guter Zeitpunkt, um nun zum zweiten Teil des Textes („Warum brennt hier eigentlich nicht alles…?“) zu kommen.

Die bereits im ersten Teil angerissenen Fragen zu Transparenz, Ungleichheit, dem Gefühl von abgehängt sein und der oftmals daraus resultierenden Ohnmacht, sein Leben selbstbestimmt leben zu können, bringen für jedes Individuum die Problematik hervor, wie man nun mit diesen Gefühlen umgehen könnte. Es ist sinnvoll und erstrebenswert, Ohnmacht zu durchbrechen und den Versuch im Kleinen und im Großen und mit anderen zusammen zu wagen, Momente und Räume zu schaffen, die das Gefühl von Selbstwirksamkeit mindestens in kurzen Phasen ermöglichen.

Der Staat hat im Allgemeinen wenig Interesse, solche Augenblicke zuzulassen, denn es ist nicht im Sinne eines Staates, dass Menschen in größerer Anzahl gegebene Strukturen und Unterdrückungsmechanismen hinterfragen oder gar abseits gesellschaftlich geschaffener und geduldeter Protestfolklore eigene Wege des Widerstandes suchen. Es liegt daher auch in der Natur des Staates und seiner gerne autoritären Anhängerschaft, solche Versuche nicht nur rigide und mit allen Mitteln von Gewalt und Repression zu unterbinden, sondern auch Überwachung zu etablieren, die (unter dem Deckmantel von Sicherheit) jedwede Organisierung im Vorfeld ausspionieren vermag.

Umso mehr ist es eine Frage der Überwindung eigener Schranken im Kopf, diese eventuell anerzogene Hörigkeit gegenüber gesellschaftlichen Gegebenheiten zu reflektieren und eigene Vorstellungen von Legitimität zu diskutieren und zu entwickeln.

Sehnsucht nach Autorität

Wir erleben in den sozialen Medien live mit, wie um Deutungshoheit gerungen wird. Machen wir uns nichts vor: Zunächst mal wird bei Vorfällen aller Art (Aktuelle Beispiele Erlwangen, Hitzacker) gerne einfach nur der Polizeibericht kopiert. Nahezu unkommentiert und unhinterfragt. Weiterhin wird dann zumeist aus konservativer und noch rechterer Ecke gerne noch mehr gefordert. Nicht nur Rechtsstaat, sondern am besten gleich erschießen.

Woher kommt das eigentlich alles? Der Glaube, Polizei sei neutral und kein politischer Akteur?

Woher kommt im weiteren Verlauf dann die Gnadenlosigkeit? Dieser Wunsch nach Härte und Autorität? Über-Ich? Identifikation mit dem Aggressor? So ein „Die werden schon was gemacht haben“? Ist es irgendwie die vage Hoffnung, am Ende nicht zu denen zu gehören, die es erwischt?

Oder woher kommt die doch erschreckend weit verbreitete Auffassung, Gesetze seien per se richtig?

Ein großer Teil progressiver Veränderungen von Gesellschaft ist keinesfalls ohne Auseinandersetzungen erstritten worden. Heute macht man lieber bunten CSD statt sich an den Hintergrund des keinesfalls gewaltlosen Stonewall-Aufstandes zu erinnern. Aber auch der 1. Mai geht nicht auf friedliche Auseindersetzungen zurück (Stichwort: Haymarket Riot). (Übrigens alles auch im Zusammenhang mit Polizeigewalt zu betrachten.) Ähnlich verhält es sich mit dem Frauenwahlrecht. Es ist daher eine durchaus gefährliche Verdrehung von Geschichte, überall in der politischen Debatte den Narrativ der Gewaltlosigkeit aufrecht erhalten zu wollen.

Widerstand üben?!

Gerade mit unserer Historie und angesichts der aktuellen Entwicklungen zu einem ausgeweiteten Polizeirecht, was man als autoritär und als Teil des Rechtsrucks begreifen sollte, ist es mehr als notwendig, Widerstand zu üben. Unsere Erziehung, unsere Sozialisation hat uns in den meisten Fällen irgendwie beigebracht, Autoritäten zu gehorchen. Und auch die aktuelle Gesetzgebung hat sehr offensichtlich das vorrangige Ziel, Menschen vor allem zum Gehorsam zu erziehen. Sei es durch Paragrafen wie 113/114 StGB oder durch Ausbau von möglichst lückenlose Überwachung aller bis in die privatesten Bereiche. (Kurzer Exkurs: Fällt euch irgendein Gesetz ein aus den letzten 70 Jahren, was den Schutz von Menschen vor dem Staat verbessert hat? Was sagt das aus, dass man da wirklich lange ohne Ergebnis grübelt? Und warum machen das doch erschreckend viele Bürger*innen ohne zu Zucken oder gar mit Begeisterung mit? Da kommt das Schüren von Angst vor Terror doch gerade recht.)

Aber zurück zum Lernen von Widerstand:

Jetzt will ich hier natürlich nicht zu Straftaten aufrufen. Aber es ist immer sinnvoll, Regeln zu hinterfragen und seinen eigenen Kompass nicht daran auszurichten, was Gesetz ist, sondern daran, was welche Werte abbildet.

Guckt euch um, wenn ihr Gruppen/Versammlungen/Aktionen beurteilt: (frei nach Judith Butler: Welche Utopie hat eine Gruppe/Versammlung? In was für einer Gesellschaft sieht diese Gruppe sich im Idealfall in 15/20 Jahren?)

Und weitergehend muss ich die Frage auch einzeln für mich stellen: In welcher Gesellschaft möchte ich leben? Wie möchte ich, dass Menschen miteinander umgehen? Was kann ich beitragen für mehr Gerechtigkeit/gegen Ungleichheit/gegen Armut/für eine lebenswerte Umwelt etc.? Was bedeutet Solidarität für mich? Und jetzt vor allem praktisch: Wie und in welchem Umfang kann ich wo Solidarität praktisch leben? Das kann von Foodsharing bis zum Verhindern von Abschiebungen gehen. Das kann das Anmelden einer Versammlung zum Schutz anderer sein (zum Beispiel bei einer Besetzung). Oder jemandem beizustehen gegen rassistische/sexistische Sprüche in der Bahn. Wie kann ich lernen, meinen Aktionsradius zu vergrößern? Welche Regeln breche ich wo mit welchem Ziel? (Rein praktisch ist schon das Anbringen eines Stickers an eine Laterne regelwidrig. Das muss aber auch bedeuten, sich mit Folgen von Repression auseinanderzusetzen.) Von welchen Menschen/Gruppen kann ich lernen? Wozu brauche ich überhaupt irgendwelche „Autoritäten“ (Parteien, Polizei etc.)? (Wo gebe ich dadurch eigene Verantwortung auf?) Wie können wir Konflikte lösen, ohne den Staatsapparat einzubeziehen oder irgendwelche „Autoritäten“? (Diese Fragen können nur Anregung sein und sind niemals abschließend. Stellt eure eigenen Fragen (oder ergänzt gerne in den Kommentaren.))

Zum Schluss:

„Leute, die durch Geld und Kanonen vor der Wirklichkeit geschützt sind, hassen die Gewalt zu Recht und wollen nicht einsehen, dass sie Bestandteil der modernen Gesellschaft ist und dass ihre eigenen zarten Gefühle und edlen Ansichten nur das Ergebnis sind von Ungerechtigkeit, gestützt durch Macht. Sie wollen gar nicht wissen, woher ihre Einkünfte stammen. Zugrunde liegt der unbequeme Umstand, der so schwer wahrzusagen ist, dass die Rettung des Einzelnen nicht möglich ist, dass wir gewöhnlich nicht zwischen Gut und Böse zu wählen haben, sondern zwischen zwei Übeln. Man kann die Welt von den Nazis beherrschen lassen, das ist ein Übel; oder man kann sie durch Krieg überwältigen, und das ist auch ein Übel. Eine andere Wahl steht uns nicht offen, und was immer wir entscheiden, wir werden nicht mit sauberen Händen davonkommen.

Der Unterschied, auf den es wirklich ankommt, ist nicht der zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern zwischen der Neigung zur Machtausübung und der Abneigung dagegen.(Orwell)

„Lass das doch lieber mal mit der Demo…“

Inklusion in linken Strukturen

Oder: Tauge ich eigentlich noch für Aktivismus?

Ich habe manchmal diese Probleme mit der Augenerkrankung. Das trat bei mir bisher nur in Schüben auf und ging bisher zumindest irgendwann wieder weg. Aber manchmal grübele ich dann, wie eigentlich der Umgang mit Behinderungen/Einschränkungen in der linken Szene so ist. Oder in Antifa-Strukturen? Wie klappt das auf Demos? Sind da nur Menschen erwünscht, die voll „funktionsfähig“ sind? (Das können ja auch andere körperliche oder psychische Einschränkungen sein (oder etwas, was man selber als einschränkend empfindet)). Wie gehen Bezugsgruppen damit um? Gibt es Beispiele, dass das gut funktioniert? Oder wird man dann eher als lästiges Anhängsel betrachtet?

Es geht aber nicht nur um Demos. Wie viele Räume sind barrierefrei? Wie achtsam ist generell der Umgang miteinander? Trauen sich neue Menschen in solche Strukturen? Ich merke selber, dass ich bei einem aktuellen Schub unsicher werde und dann Veranstaltungen mitunter meide, wenn ich nicht weiß, wie der Umgang miteinander sein wird. Oder ob ich die Räume gut genug kenne, um mich dort zurechtzufinden.

Wie sind eure Erfahrungen? Was hilft? Was funktioniert gut? Was könnte man verbessern? Oder ist das alles eigentlich gar kein Thema?