Archiv der Kategorie: Frauen/Gleichstellung

Sitzung Steuerungsgruppe 15.11.

Sitzung der Steuerungsgruppe „Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen in NRW“

An der Sitzung der Steuerungsgruppe im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter habe ich heute zum zweiten Mal teilgenommen. Beim letzten Mal ging es um einen Rückblick auf 10 Jahre Gewaltschutzgesetz.

Heute ging es um die Frage, wie man unterschiedliche Zielgruppen besser inkludieren kann bezüglich Schutz, Hilfe und bei Unterstützungsangeboten.
Hierbei wurden speziell folgende Zielgruppen analysiert:

Frauen in der Pflege
MediennutzerInnen
Transsexuelle Mädchen und Frauen
Frauen ohne Papiere
Frauen in Wohnungsnotlagen
Frauen in Haft
Frauen und Mädchen mit Behinderungen
(Insbesondere taubblinde, gehörlose und Frauen mit Lernbehinderung)
Lesbische Frauen/Mädchen
Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen

Es gab mehrere kurze Inputvorträge zu verschiedenen Zielgruppen.
Danach folgte eine Gruppenarbeit, in der wir für alle Zielgruppen Best Practise Beispiele gesammelt sowie Möglichkeiten und Grenzen der Weiterarbeit gesucht haben.

Der erste Inputvortrag beschäftigte sich mit lesbischen Frauen:
Die Vertreterin des Beratungsnetzwerks für LSBT* bei Diskriminierung und Gewalt erläuterte, dass 80 Prozent der lesbischen Frauen eine Form von Diskriminierung und Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Identität erlebt hätten. Jede 4. bis 5. Frau sei Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Das Dunkelfeld sei hoch (Polizei erhebt die Daten nicht).

Lesbische Frauen wenden sich überwiegend an ihre Community oder Vereinigungen, die deren individuellen Bedürfnisse verstehen.
Problem dabei auch: Tabuisierung der Thematik, dass Frauen Täterinnen sein können.
Weiterhin wird gelegentlich bagatellisiert, weil viele lesbische Frauen Diskriminierung als Teil des Lebens akzeptiert hätten.

Beim zweiten Kurzvortrag ging es um Mädchen/Frauen mit Behinderung. Sie seien oft Opfer von Mehrfachdiskriminierung. Ausgrenzung und Bevormundung ist ein Teil des Bereichs. Das Risiko, Opfer von sexualisierter oder struktureller Gewalt zu werden, sei besonders hoch in dieser Gruppe. Abhängigkeiten spielen ebenfalls eine Rolle.
Täter: Pflegepersonal, Verwandte, andere Behinderte, Personen aus dem beruflichen Umfeld
Problematisch: In Prozessen kann passieren, dass sie als weniger glaubwürdig eingeschätzt würden.
Es gebe fünf spezialisierte Beratungsstellen, Gelsenkirchen wird hierbei explizit genannt.
Nicht überall gebe es inklusive Flyer in einfacher Sprache, behindertengerechter Sprache etc.

Im dritten Kurzvortrag ging es um bildungsnahe Schichten.
Häusliche Gewalt gibt es quer durch alle Schichten, jedoch seien in der Gruppe ab 45 Jahren Frauen mit höchsten Bildungsressourcen signifikant höher betroffen (27 Prozent) im Vergleich zu 15-17 Prozent bei Frauen mit geringer Schul-und Berufsausbildung.
Dies gehe zurück, wenn Frauen weniger als der Mann verdienen oder in der Bildung/im Job tiefer stehen als der Mann.

Gerade in dieser Gruppe erhalten Frauen in der Gesellschaft unter Umständen wenig Verständnis. Es käme die Angst vor sozialem Abstieg und die Angst vor Skandalisierung hinzu sowie die Angst, nicht glaubwürdig zu sein gegen einen angesehenen Mann.

Für alle genannten Zielgruppen gibt es derzeit zu wenig spezielle Angebote.

Eine Vision für eine Infrastruktur der Zukunft und erste Schritte dahin sollen in der nächsten Sitzung im Januar identifiziert werden.
Dabei wird es um Standards gehen, um Kollaboration, Vernetzung etc. gehend und darum, wie man zeitgemäße Angebote schaffen kann (z.B. adressatengerechte Flyer, Öffentlichkeitsarbeit, Verstärkung anonymer Angebote etc.)

Besuch einer Justizvollzugsanstalt

Besuch in der JVA Willich 2

https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/justizimwww/justizvollzug/willich2/index.php

Gestern also war mein Termin in der oben genannten Justizvollzugsanstalt. Ich wollte mich schon länger mit den pädagogischen Konzepten in unseren JVAs beschäftigen. Man kann da aber in NRW nicht einfach hingehen, auch nicht als Abgeordnete. Das Justizministerium möchte das erst genehmigen. Also schreibt man zig Mails hin und her, bis das dann klappt.
(Ergänzend hier, dass die Kontakte mit der JVA selber total angenehm waren.)
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so wäre, dass man abgewiesen würde, wenn man mal unangekündigt vor so einer Institution stehen würde. Ich wollte das nicht gleich ausprobieren.

Als Referendarin hatte ich mal mit einem Lehrer zu tun, der für eine Zeit in einer JVA unterrichtet hat.

Seitdem habe ich zwar immer mal darüber nachgedacht, wie das wohl sein mag, mich aber nie konkret damit beschäftigt.

Am Einlass muss man das Handy/Smartphones etc. abgeben. Das iPad lassen sie mir, obwohl da auch eine SIM-Karte drin ist.

Inhaftierte dürfen lt. Gesetz derzeit zwei Mal im Monat Besuch empfangen. Im Frauenhaus ist dies über die gesetzliche Regelung hinaus auf vier Mal im Monat ausgedehnt worden, weil der Kontakt mit der Familie als förderlich und hilfreich angesehen wird.

Das recht neue Frauenhaus (aus dem Jahr 2009) wirkt hell und freundlich. Wirklich nicht so, wie ich mir so einen Knast vorgestellt habe. Wobei mein Fotografinnen-Herz an dem alten Haus auch Freude hätte. Eine Fotoreihe von dem langsam verfallenden Gebäude, bevor es abgerissen wird, wäre sicher ein Vergnügen. Ich weiß nicht, ob man dafür eine Genehmigung bekommen kann.

In der JVA Willich 2 sind derzeit ca. 190 Inhaftierte gesamt, davon ca. 22, die die Schule besuchen.
Alter ca. 25 bis 55
Es ist möglich, hier den Abschluss der Hauptschule oder den mittleren Schulabschluss zu erwerben.
Die meisten Teilnehmerinnen der Kurse schaffen den Schulabschluss (95 Prozent).

Die Prüfungsvorschläge sind zur Bezirksregierung einzureichen (wie durchaus auch an normalen Schulen üblich.
Das Niveau ist vergleichbar mit Kursen der Volkshochschule.

Außerdem wird Deutsch als Fremdsprache im Freizeitbereich angeboten, also abends. An dem Kurs können max 20 Frauen teilnehmen.

Das Abitur oder Fachabitur kann in Köln erworben werden (Inhaftierte können dann dorthin wechseln). Schülerinnen, die weiter zu einer anderen Schule gehen, kommen im allgemeinen gut klar. Sonst gibt es wenig Vergleich mit anderen Schulen, was auch Vorteile haben kann, zum Beispiel weniger Leistungsdruck.
Nachmittags können Schülerinnen die LehrerInnen kontaktieren. Es ist immer mindestens ein/e AnsprechpartnerIn im Flur. Die LehrerInnen haben ausdrücklich auch großes Interesse, den Frauen die Angst vor Schule nehmen. Viele haben von früher schlechte Erfahrungen mit Schule. Der Anteil an Frauen ohne Schul- oder Berufsabschluss ist sehr hoch. Die Lehrer haben normal 30 Tage Urlaub. Dadurch, dass die für andere Schulen geltenden Ferienzeiten wegfallen, bleibt mehr Freiraum fürs Lernen, was ebenfalls den Druck beim Lernen für die Frauen verringert.

Natürlich kann die Arbeit dort auch schwierig sein für die LehrerInnen: Hintergründe zum Beispiel:. Nicht alle TäterInnen sind auch Opfer, aber immer mal wird man natürlich mit belastenden Hintergründen konfrontiert. Als LehrerIn ist man auch recht nach dran an den Frauen und deren Geschichten.

Interessant ist auch der Hinweis einer Lehrerin, dass Frauen aus anderen Gründen straffällig werden als Männer. Darüber muss ich mich unbedingt noch weiter informieren. Frauen werden immer wieder auch aufgrund von Abhängigkeiten straffällig.
Ansonsten ist aber auch der Anteil an Straftaten aus dem Bereich des Betäubungsmittelgesetzes und damit verbundener Beschaffungskriminalität recht hoch: 70 Prozent.

Insgesamt ist sehr viel Begeisterung von allen LehrerInnen zu spüren. Alle scheinen sehr viel Freude an der Arbeit zu haben und berichten mit viel spürbarem Herzblut davon und auch von den Frauen, mit denen sie zu tun haben.

Für mich gewöhnungsbedürftig wäre die Tatsache, dass es in JVAs kein Internet gibt für die Inhaftierten.

Theoretisch gibt es wohl eine Plattform für das Lernen in JVAs, welche von der Universität Berlin entwickelt wurde. Fast alle Bundesländer setzen diese ein, nur NRW und Bayern nicht.

Wenn man Bildung will, gehört das Internet für mich ganz selbstverständlich dazu. Insofern müssen wir uns mit der Zukunft der Bildung im Strafvollzug beschäftigen.
Wenigstens den Einsatz der Plattform halte ich auch für NRW für erstrebenswert. Das wird dann wohl ein Antrag von mir für den Landtag.

Hier die Plattform:

http://www.ibi.tu-berlin.de/projekte/elis_plattf/elis_plattf.htm

Neben der Schule gibt es diverse Arbeitsmöglichkeiten in unterschiedlichen Werkstätten für die inhaftierten Frauen. Dabei: eine Näherei, Montagehallen, eine großartige Halle für Holzarbeiten (wo z.B sehr schöner Schmuck oder Dekoobjekte hergestellt werden, die man hoffentlich bald über den „Knastladen“ auch online erwerben kann) und den Garten- und Landschaftsbau, der auch das Außengelände betreut.

Ich schätze, dass viele LehrerInnen, PsychologInnen, SozialpädagoInnen etc. eine JVA gar nicht als attraktiven Arbeitsort vor Augen haben. Ich hatte aber aufgrund der Zeit und der Gespräche dort den Eindruck, dass die Arbeit in einer JVA auch sehr spannend und erfüllend sein kann. Zum Vergleich wäre es aber sicher sinnvoll, sich eine weitere JVA anzusehen.

Zum Schluss noch eine Literaturempfehlung zum Thema von einer der LehrerInnen vor Ort:
Knast. Joe Bausch
Das lese ich als nächstes.

Mein Besuch im Trebe Café

Auf der Suche nach Möglichkeiten, mein Geld aus der Tätigkeit als Landtagsabgeordnete sinnvoll unterzubringen, bin ich bei betterplaces.org recht zufällig auf diese Einrichtung gestoßen: http://www.betterplace.org/de/projects/73-trebecafe-fur-obdachlose-madchen

Hier deren Homepage: http://www.trebe-cafe.de/

Ich habe sehr spontan eine Mail an die Leiterin der Einrichtung, Frau Wenzel, geschrieben, weil ich mir gerne ein Bild vor Ort machen wollte. Letzten Mittwoch war ich nun dort. (Ich habe aber den Text Frau Wenzel vor Veröffentlichung gezeigt. Deshalb dauerte es etwas.)

Vorab: Ich bin sehr berührt. Ich musste immer mal während des Gesprächs gegen Tränen kämpfen, weil mir nahe kommt, worüber wir dort gesprochen haben.
Frau Wenzel hat sich sehr viel Zeit genommen für mich. Sie hat mir das Haus gezeigt, aber auch ein wenig erzählt von den Mädchen und jungen Frauen, die dorthin kommen. Obdachlose Mädchen, teilweise sehr jung, in vielen Fällen mit schrecklichen Erfahrungen. Opfer von Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt. Drogensüchtige. Junge Frauen, die am Rande unserer Gesellschaft leben (müssen). Die, bei denen sonst gerne weggesehen wird.

Die meisten davon brauchen Raum, Zeit, um sich zu fangen, um sich zu entwickeln. Mehrere haben obdachlos Abitur gemacht! Es ist also nicht so, dass sie nicht wollen, wie gerne behauptet wird. Die Drogen sind ein Problem, aber weit mehr die verdreckten Drogen und der Kampf um deren Beschaffung, einschließlich Prostitution.

An dieser Stelle muss es auch immer wieder um Legalisierung von Drogen gehen. Warum? Weil die Kriminalisierung alles noch schlimmer macht. Menschen, die Drogen brauchen, bekommen diese. Irgendwo. Mit all den Folgen, die eine Legalisierung mildern könnte.

Das Trebe-Café bietet den Mädchen den benötigten Raum für ein paar Stunden. Raum zum Baden, Duschen, Umziehen. Raum zum Essen, Reden, Aggressionen abbauen oder für Nähe. Raum, um zur Ruhe zu kommen. Um wieder zu wenigen Menschen ein wenig Vertrauen aufzubauen. Theoretisch wäre auch Raum vorhanden, um mal dort übernachten zu können. Hierfür fehlt aber leider auch Geld für Betreuung. Gerade nachts können all die Dämonen zurückkommen, die einen verfolgen. Dafür braucht es dann Ansprechpartner, die derzeit nicht bezahlt werden können.

Ich habe es als sehr gemütlich, sauber, freundlich empfunden im Trebe-Café. Man sieht gleich, dass viele Menschen da viel Herz hineinstecken mit Arbeit, Spenden, Hilfe.

Ich habe es immer gut gehabt im Leben. Einen vollen Kühlschrank. Eine Mutter, die viel gearbeitet hat, um mir ein schönes Leben zu ermöglichen. Weg von den Abgründen bin ich trotzdem nicht immer gewesen. Ein sehr sensibler Mensch aus meinem Freundeskreis hat sich mit Heroin umgebracht. Ich habe viel gesehen. Letztendlich habe ich immer die „richtigen“ Entscheidungen getroffen. Nichtsdestotrotz weiß ich, welche Emotionen einen in welche Desaster stürzen können. Auch aus eigener Erfahrung. Ich bin manchmal so dankbar für mein kleines, bescheidenes Leben, dass ich gerne etwas zurückgeben möchte. Und zwar gerade für die Menschen, für die es nicht so rund läuft.

Ich habe meine Arbeit als Lehrerin, auch als Beratungslehrerin, geliebt. Vor allem eben auch den Umgang mit den „schwierigen“ Menschen. Wie viel bekommt man zurück, wenn man sich Zeit nimmt für die Geschichten dahinter….

Ich möchte meine Arbeit im Landtag sinnvoll nutzen. Ich möchte an Stellen helfen, wo es wirklich Not gibt. Vielleicht interessiert mich deshalb die Diskussion über die Steuer-CD gerade nicht so, weil ich mich eher bei den Menschen sehe. Bei denen, die es schlechter haben als ich. Das mag ein Tropfen auf den heißen Stein sein und es gibt endlos viele Projekte, für die man sich engagieren kann, aber irgendwo kann ich vielleicht anfangen, etwas zu bewirken. Und sei es „nur“, zuzuhören. Ich möchte den Kontakt nicht verlieren zum „echten“ Leben. Zu den Menschen auf der Straße mit richtig existentiellen Problemen.

Ich weiß, die Bundespartei braucht auch dringend Geld. Trotzdem habe ich derzeit mein freies Geld lieber in solche Projekte gesteckt. Darüber muss ich nochmal nachdenken und werde es an anderer Stelle gerne diskutieren.

Zurück zum Trebe-Café: So eine Einrichtung bekommt Geld von der Stadt. Trotzdem fehlt es an allen Ecken. Es gibt einige Kräfte, die bezahlt werden. Ein großer Teil der benötigten Mittel wird aus Spenden generiert. Das können auch Kleinigkeiten sein: Kleidung für die Mädchen zum Beispiel. Derzeit fehlt leider auch das Geld für eine Kunsttherapeutin. Hier wäre auch eine ehrenamtliche Tätigkeit denkbar. Vielleicht kennt jemand von euch jemanden…. Manchmal hilft da dieses Internet doch weiter;-)

Weiterhin ist eine solche Einrichtung mit unendlich viel Verwaltungsmist beschäftigt. Ich möchte an der Stelle zumindest mal mit der Arge kommunizieren. Es wäre einfacher für die Mitarbeiter der Einrichtung, wenn sie eine feste Ansprechpartnerin hätten, die ihnen die Zeit des Wartens vor Ort ersparen könnte mit festen Sprechstunden direkt in der Einrichtung. Gerade die Zeiten der Angestellten der Einrichtung kosten ja richtig viel und so könnte deren knappe Zeit besser für andere wichtige Tätigkeiten für die Mädchen genutzt werden.

Wie soll es weitergehen:
Ich werde eventuell mal mit der Streetworkerin nachts mitgehen dürfen. Dort mitzubekommen, was nachts in der Stadt passiert, würde ich als bereichernd empfinden. Sicherlich kann das auch belasten, aber ich will nicht wegsehen. Das tun schon zu viele….

Frauenpolitik

Ich bin da so hineingeraten. Ist ja nicht unbedingt ein Thema, was bei den Piraten -zumindest in NRW- wirklich bearbeitet wird. Ich fühle mich da ziemlich alleine. Es wird also deshalb eher ein persönlicher Artikel. Es besteht zudem die Gefahr, dass ich diverse Themen vermische. Ich bitte, das zu entschuldigen. Es ist mehr mein Brainstorming zum Thema. Stream-of-consciousness. Kommentare zum weiteren Nachdenken ausdrücklich erwünscht. Und Hilfe. Und Unterstützung. Und Geduld. Und Flausch. Was immer ihr so anbieten könnt.

Ich ertappe mich durchaus dabei, wie ich mich darüber ärgere, dass das Thema Frauenpolitik mehrfach auf der Seite der Fraktion schlicht vergessen wird, sei es bei Ausschreibungen oder bei den Sprechern. Es gibt mir immer wieder das Gefühl, das sei ja nicht so wichtig.

Ich fühle mich zudem wirklich unsicher. Ich habe Berge von feministischer Literatur hier liegen und gerade mal angefangen, zu lesen. Wie viel Hintergrundwissen muss ich denn jetzt haben, um überhaupt eine fundierte Aussage machen zu können, bei der ich nicht gleich zerrissen werde?

Ich fürchte, ich habe viele Begriffe gar nicht so drauf, wie ich müsste.

Ich diskutiere an diversen Stellen und mir wird vermittelt, dass ich da etwas falsch mache. Zum Beispiel bei der Diskussion mit @riotmango über das Privileg von Heteros, in der Öffentlichkeit knutschen zu können, ohne dass man blöd angelabert/diskriminiert wird.

Ich gebe zu, in den meisten Jahren meines Lebens habe ich alle Privilegien, die ich habe, wirklich wenig hinterfragt. Erst einmal habe ich ja auch den gesellschaftlichen Normen entsprochen. Ich habe zu Beginn heterosexuelle mononormative Beziehungen geführt. Sogar über viele Jahre. (Bis ich ausgebrochen bin aus dem Muster, was ich selber als sehr schmerzhaft empfunden habe und mein damaliger Freund vermutlich noch mehr.) Vieles davon, weil ich es nicht besser wusste. Weil ich zwar ein Gefühl davon hatte, dass ich da nicht reinpasse, aber es hat Jahre gebraucht, bis ich zum Beispiel das Selbstbewusstsein hatte, offen polyamor zu leben. (Und rede mal über sowas in einer durchschnittlichen Schule im Münsterland.) Es gibt auch durchaus Gründe, warum homosexuelle Lehrer sowas nur sehr selten öffentlich machen oder warum manche Bekenntnisse zu sexuellen Präferenzen (nehmen wir mal was aus dem Bereich BDSM), weil sie eben nicht wirklich gesellschaftlich anerkannt sind, zu Diskriminierung oder gar Konsequenzen im Beruf führen können.

Ich fürchte, bei vielen Männern ist das noch gravierender, dass sie schlicht nicht nachdenken (wollen?) über die Vorteile, die ihnen ausschließlich aufgrund der Tatsache, dass sie als weißer, heterosexueller Mann geboren wurden, zukommen. Darüber zu schreiben, maße ich mir aber an dieser Stelle nicht an. Schließlich schreiben darüber viele Feministinnen wirklich so viel besser. Ich würde mir aber wünschen, dass mehr Männer wirklich mal ernsthaft darüber nachdenken und solche Gedanken nicht gleich als sinnfrei wegwischen. Ja. Das tut vielleicht weh.

Wann ist man eigentlich Feministin?

Ich mochte Feminismus früher nicht wirklich als Begriff. Ich habe mich nie mit Alice Schwarzer identifizieren können und die Emma ist mir suspekt gewesen. Ich habe mich darin nicht wiedergefunden. Ich möchte meine Art von Sexualität leben dürfen, ohne dass Feministinnen mir sagen, was man darf und was nicht. Ich habe Pornos geguckt und dabei Erregung empfunden. Sogar welche mit gefesselten Frauen. (Dass es bessere Pornos geben könnte, müssen wir aber hier nicht diskutieren.)

In einer Partei wie jetzt bei den Piraten sehe ich aber zunehmend die Notwendigkeit einer modernen Form von Feminismus. Während Männer meistens sachbezogen diskutieren (auch mal härter), hatte ich als Frau auch immer wieder den Eindruck, dass ich nicht mit Argumenten angegriffen wurde, sondern als Frau. Twittert mal von einer frauenpolitischen Veranstaltung. Da dauert es keine 10 Min. bis irgendein Idiot mit einer Bemerkung kommt, dass mich ja nur mal jemand richtig flachlegen müsse, um mir das auszutreiben.

Als Frau wird man nett aufgenommen bei den Piraten. Bis man eine Meinung vertritt, die von der Parteimeinung abweicht. Sei es damals im legendären Crew-KV-Streit. Oder heute, wenn man sich wegen Rassismus, Sexismus oder anderen strittigen Themen positioniert. Ich bin dadurch sicher etwas abgehärtet. Am Anfang haben mich Aussagen wie „Ich habe Dich nicht gewählt, damit Du den Mund aufmachst.“ wirklich getroffen.

Nein. Ich bin nicht immer stark. Auch ich kann nicht jeden Angriff in diesem Internet oder face-to-face einfach wegstecken. (Wobei sich das im Meatspace wirklich weniger Menschen trauen als in diesem Internetz.)

Schlimmer als diese Aussagen ist aber bei all diesen Themen die schweigende Mehrheit, die das mitbekommt, aber den Mund hält. Dann geht es eben nicht mehr um Einzelfälle, sondern um eine Mehrheit, die sich zurückhält, wenn es um Diskriminierung, Rassismus, Sexismus etc. geht. Das macht mir wirklich Sorgen in dieser Partei. Das Problem ist: Das geht nicht weg, wenn wir es ignorieren. Ich kann es nicht mehr hören und sehen, dass Menschen, die rassistische/sexistische/diskriminierende Aussagen machen, als Trolle verharmlost werden. Den Mund zu halten, hilft hier eben nicht. (Im Moment habe ich zudem (das rein subjektive) Gefühl, es werden eher wieder mehr. Nein. Es sind keine Einzelfälle. Auch die Behauptung, das wäre so, macht nichts besser.)

Vermutlich fühle ich mich irgendwie als Feministin. Weil ich es leid bin. Weil ich zumindest anfange, zu hinterfragen, was in unser Gesellschaft (und ja, auch in unserer Partei) alles falsch läuft. Und ich werde eure Hilfe brauchen, um wirklich etwas zu verändern.

Ich sehe es zudem als mein Privileg, dass ich mich mittlerweile zu meinen sexuellen Präferenzen bekennen kann und dass ich z.B. polyamor leben kann. In diesem Privileg steckt für mich auch eine Verpflichtung. Für die Anerkennung von unterschiedlichsten Lebensformen zu kämpfen, weil eben auch in Deutschland nicht alle Menschen aufgrund von Abhängigkeiten, die Möglichkeit haben, ihre Modelle offen zu leben und kommunizieren zu können, ohne diskriminiert zu werden. (Was mich weiterhin auch zu meinem zweiten Bereich bringt: Zur Bildungspolitik)

Und da haben wir das nächste Problem: Nehmen wir mal an, wir mit ähnlichen Zielen und Ideen wollen diese Themen in die Gesellschaft tragen und nicht nur in unserer Filterbubble diskutieren. Wie funktioniert das? Vermutlich nur mit viel Frustrationstoleranz. Mit viel Geduld. Mit unendlichen Diskussionen. Aber vor allem, indem wir einander den Rücken stärken. Hoffe ich….

Insofern verstehe ich den Ansatz von @Yetzt und @Sanczny (http://sanczny.wordpress.com/2012/07/24/kussen-verboten-kiss-kiss-bang-bang-oder-critical-hetness/) allerdings mit folgenden Anmerkungen:
Ich kann nachvollziehen, dass @Riotmango und auch die Verfasser des genannten Textes Solidarität erbitten für die Menschen, die eben nicht offen knutschen können, ohne Bemerkungen und Angriffen ausgesetzt zu sein. Wie ich oben schon schrieb, ist es sinnvoll, diese Privilegien von Heterosexuellen zumindest bewusst zu machen. Allerdings nehme ich an, dass das langfristige Ziel nicht nur Solidarität ist und eine Veränderung der Normen in der Gesellschaft wird m.E. nicht dadurch erreicht, dass wir solidarisch nicht mehr in der Öffentlichkeit küssen (weil die Menge der Menschen nicht relevant genug ist, die dabei mitmacht und damit die Erkenntnis in der Gesamtbevölkerung ausbleibt.) Ein Nichthandeln wird eben nicht wahrgenommen.

Statt ein wenig arrogant darüberzubügeln, werden wir mit den Menschen ins Gespräch kommen müssen, die diskriminieren und vielleicht deren Ängste, deren Bedürfnisse, deren fehlende Aufklärung aufgreifen müssen. Das kann sein, indem man offen Stellung bezieht. Das sollte sein, dass man bei Diskriminierung nicht schweigt, sondern einschreitet. Und ebenso sollte das Aktionen beinhalten, die langfristig etwas verändern, zum Beispiel Aufklärungskampagnen und Diskussionen in Schulen und Jugendzentren.

Letztendlich geht es allen Menschen darum, anerkannt und respektiert zu werden.