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Informationsreise Schulausschuss 17.4.

Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung macht in diesem Kalenderjahr drei Informationsreisen in NRW. Heute also die erste dieser Fahrten, bei der jeweils mehrere Schulen besucht werden. Schwerpunkt wird natürlich aufgrund der anstehenden politischen und gesellschaftlichen Aufgabe der Besuch von praktischen Beispielen zur Umsetzung von Inklusion sein.

Erste Schule: LVR-Förderschule Anna-Freud-Schule (AFS) Köln

http://www.anna-freud-schule.de/

(Spannend, weil es kaum Schulen gibt im Förderbereich, die auch Sek. II anbieten, also die Möglichkeit, Abitur zu erwerben.)

Nach der Begrüßung bekommen wir zunächst einige Informationen vom Schulleitungsteam.

Kerndaten: 300 Schülerinnen und Schüler. Vielfältige Möglichkeiten zur Therapie z.B. Logopädie, Ergotherapie, Schulpsychologie, Pflegepersonal etc.
Viele LehrerInnen mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung.

Oberstufe 2/3 körperbehinderte Schüler und Schülerinnen. Großer Anteil Asperger. Aber auch Kinder und Jugendliche mit Angststörungen etc. 1/3 nicht-behinderte Schüler*innen aus der im Gebäude angesiedelten Realschule. Erwerb zusätzlicher Sozialkompetenz in der Folge erkennbar.

Ganztagsschule.

(Betongebäude. Man könnte Schulen schon hübscher bauen….)

Idee: Schüler und Schülerinnen selbstständig machen, auch mit schwersten Behinderungen, für ein Leben nach der Schule
Befähigen zur „Teilgabe“: ihre persönlichen Kompetenzen aktiv in die Gesellschaft einbringen.

Grundlage: Diagnose von Stärken/Schwächen und gezielte Förderung

60-70 Prozent der Schüler*innen werden abgelehnt (aus Kapazitätsgründen). Die wichtigsten/“schlimmsten“ Fälle werden angenommen. Mittlerer Schulabschluss muss prognostiziert sein und die Schüler*innen, die angenommen werden, hätten diese Chance an einer Regelschule nicht.

Großer Anteil Vernetzung mit außerschulischen Partnern, auch zur Berufsvorbereitung

Inklusion ist das eigentlich nicht in dieser Schule, denn Schüler und Schülerinnen werden ausgewählt. Die Schule ist nicht offen für alle. Prozessorientierter Inklusionsbegriff.
Ansicht, dass Elternwille gestärkt werden soll. In dieser Schule haben die behinderten Schüler*Innen die Mehrheit. Ansicht, dass ein Anteil der behinderten Schüler*innen in der Rolle des „Besonderen“, der Minderheit in allgemeinbildenden, inklusiven Schulen nicht zurecht käme.

Ein vorgestellter Arbeitsschwerpunkt: Nachteilsausgleich. Grundsatz der Chancengleichheit soll Rechnung getragen werden. Individuelle Benachteiligung soll berücksichtigt werden. Zu Beginn berät Klassenkonferenz und beschließt für alle Schüler*innen individuellen Nachteilsausgleich.
Das kann sein: die Darstellung von Aufgaben (Sehbehinderung zum Beispiel mit größerer Darstellung oder andere Papierfarbe), zu verwendende Hilfsmittel (Schreib-/ Lesehilfsmittel, Hilfe durch unterstützendes Personal etc.), Zeitzugaben, Strukturierungshilfen.

Zentralabitur. Zielgleicher Unterricht, deshalb Teilnahme an zentralen Prüfungen.

Es folgten zwei Kleingruppenphasen. Einmal kurzer Rundgang zur Logopädie und zu einer Unterrichtsgruppe (leider wirklich sehr knapp) und ein sehr angenehmes Gespräch mit Schüler*innen aus unterschiedlichen Klassen/Jahrgangsstufen mit und ohne Behinderung.
Die Schüler*innen vertraten dabei unterschiedliche Meinungen bezüglich Inklusion. Während einige Schülerinnen der Oberstufe ohne Behinderung, die von der benachbarten Realschule gewechselt waren, eher die Auffassung vertraten, dass es wie hier praktiziert (also überwiegender Teil behinderte Schüler*innen) besser sei als die Variante mit vielen „normalen“ und wenigen behinderten Schüler*Innen, vertrat die jüngere Schülerin aus der neunten Klasse die Meinung, dass sie einen gemeinsamen Unterricht mit der Realschule bevorzugen würde, weil sie dort sehr viele Freund*innen habe.

Es wird an der Schule der Begriff der „realistischen“ Inklusion verwendet. Es sollte ein plurales Angebot geben. Förderschulen sollten nicht alle geschlossen werden. Im Sinne des UN-Begriffes ist das möglicherweise problematisch.

Da ein Teil der Schüler*innen von weiter weg kommt, ist ein Internat in der Nähe.

Persönliche Zwischenbemerkung: Besonders im Gespräch mit Schüler*innen merke ich, wie mir Schule fehlt….

Zweite Schule: Integrierte Gesamtschule Bonn-Beuel (IGS)

http://www.gebonn.de/

Baulich ganz anders. Große, helle Räume mit vielen Fenstern. Mensa mit Sitzbereich draußen (fein in der Sonne), großzügiges, freundliches Treppenhaus.

Kurze Phase mit Unterrichtsbereich. Freiarbeit in einer 6. Klasse mit einem Lehrer und einer Lehrerin im Team plus zwei Begleiter für jeweils eine Schülerin und einen Schüler.

Danach Powerpointpräsentation durch die Schulleitung. Ein wenig zur Gründung der Schule, zur Arbeit an der Schule sowie den aus deren Sicht wichtigen Bedingungen für inklusiven Unterricht.

Kerndaten: 7 Prozent Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, 21 Prozent Schüler*innen mit Migrationshintergrund, zu Beginn drei Leistungsgruppen.

Demokratische Schule, lange Tradition paritätischer Gremien (Schüler*innen, Eltern, Lehrer*Innen), Feedbackkultur.

Gemeinsamen Unterricht seit 1985, Schüler*innen allerdings ausgesucht durch die Schule. Damals aber auch schon Unterricht im Team.
Seit 2010/2011 echtes Losverfahren (bis zur Kapazitätsgrenze, auch für verschiedene Förderschwerpunkte begrenzt).

26 Schüler*innen in einer Klasse zusammen (davon 6 Förderschüler*Innen mit möglichst verschiedenen Förderschwerpunkten), Doppelbesetzung (vor allem bei neuen Klassen, jüngeren Schüler*innen). Derzeit wird aber die Finanzierung der Doppelbesetzung schwerer, deshalb ist eine Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts unsicher.
(Es gibt lt. Aussage des didaktischen Leiters keine zusätzlichen Kapazitäten zum Beispiel für Schulleiter*innen zur Planung etc.)

Schulen wurden unter anderen Voraussetzungen gebaut. Es fehlen also Räume für Gruppenarbeit, sanitäre Anlagen etc.

Es fehle in der Lehrer*innenausbildung an Kompetenz bei Fachleiter*innen, so dass eventuell Referendar*innen bei Prüfungen m GU Nachteile haben könnten. (Außerdem fehle jungen Lehrer*innen an Zusatzausbildung.

Es brauche:

Zuverlässige Rechtsgrundlagen, professionelle Organisation, ausreichend Lehrerarbeitszeit

Danach noch Gesprächsrunden mit Schulleitung, Schüler*innen und Eltern zum Klären von Fragen und zum Austausch. Hierbei wird deutlich, dass die Befürchtung besteht, dass im Schulrechtsänderungsgesetz die unterschiedlichen Bedingungen von Schulen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Es zeigen sich Widersprüche zu den Aussagen in der ersten Schule. (Hier werden gerade nicht Schüler*innen mit demselben Förderschwerpunkt in einer Klasse beschult. Zudem sind die behinderten Schüler*innen in der Minderheit. Sowohl Schulleitung, als auch Schüler*innen sprechen sich klar für ein gemeinsames Lernen aus, zum Beispiel, weil hier die Sondersituation einer Förderschule wegfällt und Grenzen im Umgang schneller gelernt werden. Der Unterricht wird teilweise zieldifferent, teilweise zielgleich durchgeführt. Die Schüler*innen werden aber weitgehend im Klassenverband mitbeschult. Auch die von den Schüler*innen der Anne-Freud-Schule befürchtete Mobbingsituation in der Pubertät wird als nicht überdurchschnittlich problematisch eingestuft. )

Hilfreich wäre ein Pool von Schulbegleiter*innen. (Da muss vor allem geregelt werden, welche Zuständigkeiten sich daraus ergeben (Jugendamt etc.)

Bisher laufe der große Teil der inklusiven Schulangebote an Gesamtschulen.

Fazit:

Wir haben heute in zwei völlig unterschiedlichen Schulen sehr engagierte Schüler- und Lehrer*innen erlebt. Derzeit ist gelingende Inklusion aber sehr abhängig vom Engagement einzelner Schulleiter*innen, Lehrer*innenteams, Elterninitiativen etc.

Ich für mich möchte die Utopie eines wirklich inklusiven Schulsystems, in dem alle zusammen lernen können, noch nicht aufgeben, weil es Menschenrecht ist, aber auch, weil ich es für alle Beteiligten als bereichernd ansehe. Das Problem, was ich dabei sehe, ist in erster Linie die Finanzierung (zum Beispiel für Ausbildung, Fortbildungen, Teamteaching etc.)

Auf der anderen Seite sehe ich gerade im Schulsystem viele Bedenkenträger*innen, die einer großen (in meinen Augen dringend notwendigen) Reform hin zum echten individuellen Lernen im Weg stehen.

Insgesamt ein wirklich schöner, inspirierender Tag <3

Die „fließende Schullaufbahn“ und das Sitzenbleiben

Aus aktuellem Anlass mal wieder ein paar Worte über das, was diePiraten in NRW als „Fließende Schullaufbahn“ bezeichnen.

http://www.piratenpartei-nrw.de/politik/bildungspolitik/schule/

Derzeit wird endlich die Diskussion geführt, das Sitzenbleiben in der Schule abzuschaffen. Diese Diskussion ist lange überfällig. Sitzenbleiben gehört abgeschafft!

Sitzenbleiben kostet unnötig Geld, führt zu unnötiger Frustration und ist pädagogisch nicht sinnvoll. Die Grundlage ist doch, dass SchülerInnen in mehreren Fächern das Kursziel nicht erreicht haben. Es gibt also ein Interesse, dass die SchülerInnen diese Kurse wiederholen. Es spricht aber nichts dafür, dass zusätzlich auch die vielen Kurse wiederholt werden, in denen die SchülerInnen ausreichende Kompetenzen nachweisen konnten.
Es reicht also, wenn nicht das gesamte Spektrum an Kursen wiederholt wird, sondern nur die Kurse, in denen Defizite vorhanden sind.

Das von den Piraten NRW angedachte flexiblere System hat aber noch weitere Vorteile:

Wir wünschen uns ein Schulsystem, das echtes individuelles Lernen ermöglicht. (Damit wäre auch die Diskussion von G8 oder G9 vom Tisch.)

Ein flexibleres Schulsystem hat weitere Vorteile. Beispiel aus dem Berufskolleg:
Eine Schülerin kommt nach dem Hauptschulabschluss zum Berufskolleg in die Handelsschule, um dort den mittleren Schulabschluss zu erwerben. Im ersten Jahr ist sie leider nicht so motiviert und muss deshalb das Schuljahr wiederholen wegen mangelhafter Leistungen in Deutsch und Sport. In Volkswirtschaftslehre hingegen war sie gut. Nun hört sie also den Kurs Volkswirtschaftslehre ein weiteres Mal. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Handelsschule hat die Schülerin viel Spaß am Lernen und besucht daraufhin die Höhere Handelsschule mit dem Ziel der Fachhochschulreife. Wiederum muss sie den Kurs Volkswirtschaftslehre wiederum belegen. Im schlimmsten Fall nochmal, wenn sie nach erfolgreichem Abschluss in die Banklehre geht.
Schlussfolgerung: Es wäre sinnvoll, Kurse als erfolgreich teilgenommen zu zertifizieren und für die weitere Schullaufbahn und Ausbildung anzuerkennen. Dies könnte durchaus auch für außerhalb der Schule erworbene Kompetenzen ermöglicht werden.

Besuch einer Justizvollzugsanstalt

Besuch in der JVA Willich 2

https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/justizimwww/justizvollzug/willich2/index.php

Gestern also war mein Termin in der oben genannten Justizvollzugsanstalt. Ich wollte mich schon länger mit den pädagogischen Konzepten in unseren JVAs beschäftigen. Man kann da aber in NRW nicht einfach hingehen, auch nicht als Abgeordnete. Das Justizministerium möchte das erst genehmigen. Also schreibt man zig Mails hin und her, bis das dann klappt.
(Ergänzend hier, dass die Kontakte mit der JVA selber total angenehm waren.)
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so wäre, dass man abgewiesen würde, wenn man mal unangekündigt vor so einer Institution stehen würde. Ich wollte das nicht gleich ausprobieren.

Als Referendarin hatte ich mal mit einem Lehrer zu tun, der für eine Zeit in einer JVA unterrichtet hat.

Seitdem habe ich zwar immer mal darüber nachgedacht, wie das wohl sein mag, mich aber nie konkret damit beschäftigt.

Am Einlass muss man das Handy/Smartphones etc. abgeben. Das iPad lassen sie mir, obwohl da auch eine SIM-Karte drin ist.

Inhaftierte dürfen lt. Gesetz derzeit zwei Mal im Monat Besuch empfangen. Im Frauenhaus ist dies über die gesetzliche Regelung hinaus auf vier Mal im Monat ausgedehnt worden, weil der Kontakt mit der Familie als förderlich und hilfreich angesehen wird.

Das recht neue Frauenhaus (aus dem Jahr 2009) wirkt hell und freundlich. Wirklich nicht so, wie ich mir so einen Knast vorgestellt habe. Wobei mein Fotografinnen-Herz an dem alten Haus auch Freude hätte. Eine Fotoreihe von dem langsam verfallenden Gebäude, bevor es abgerissen wird, wäre sicher ein Vergnügen. Ich weiß nicht, ob man dafür eine Genehmigung bekommen kann.

In der JVA Willich 2 sind derzeit ca. 190 Inhaftierte gesamt, davon ca. 22, die die Schule besuchen.
Alter ca. 25 bis 55
Es ist möglich, hier den Abschluss der Hauptschule oder den mittleren Schulabschluss zu erwerben.
Die meisten Teilnehmerinnen der Kurse schaffen den Schulabschluss (95 Prozent).

Die Prüfungsvorschläge sind zur Bezirksregierung einzureichen (wie durchaus auch an normalen Schulen üblich.
Das Niveau ist vergleichbar mit Kursen der Volkshochschule.

Außerdem wird Deutsch als Fremdsprache im Freizeitbereich angeboten, also abends. An dem Kurs können max 20 Frauen teilnehmen.

Das Abitur oder Fachabitur kann in Köln erworben werden (Inhaftierte können dann dorthin wechseln). Schülerinnen, die weiter zu einer anderen Schule gehen, kommen im allgemeinen gut klar. Sonst gibt es wenig Vergleich mit anderen Schulen, was auch Vorteile haben kann, zum Beispiel weniger Leistungsdruck.
Nachmittags können Schülerinnen die LehrerInnen kontaktieren. Es ist immer mindestens ein/e AnsprechpartnerIn im Flur. Die LehrerInnen haben ausdrücklich auch großes Interesse, den Frauen die Angst vor Schule nehmen. Viele haben von früher schlechte Erfahrungen mit Schule. Der Anteil an Frauen ohne Schul- oder Berufsabschluss ist sehr hoch. Die Lehrer haben normal 30 Tage Urlaub. Dadurch, dass die für andere Schulen geltenden Ferienzeiten wegfallen, bleibt mehr Freiraum fürs Lernen, was ebenfalls den Druck beim Lernen für die Frauen verringert.

Natürlich kann die Arbeit dort auch schwierig sein für die LehrerInnen: Hintergründe zum Beispiel:. Nicht alle TäterInnen sind auch Opfer, aber immer mal wird man natürlich mit belastenden Hintergründen konfrontiert. Als LehrerIn ist man auch recht nach dran an den Frauen und deren Geschichten.

Interessant ist auch der Hinweis einer Lehrerin, dass Frauen aus anderen Gründen straffällig werden als Männer. Darüber muss ich mich unbedingt noch weiter informieren. Frauen werden immer wieder auch aufgrund von Abhängigkeiten straffällig.
Ansonsten ist aber auch der Anteil an Straftaten aus dem Bereich des Betäubungsmittelgesetzes und damit verbundener Beschaffungskriminalität recht hoch: 70 Prozent.

Insgesamt ist sehr viel Begeisterung von allen LehrerInnen zu spüren. Alle scheinen sehr viel Freude an der Arbeit zu haben und berichten mit viel spürbarem Herzblut davon und auch von den Frauen, mit denen sie zu tun haben.

Für mich gewöhnungsbedürftig wäre die Tatsache, dass es in JVAs kein Internet gibt für die Inhaftierten.

Theoretisch gibt es wohl eine Plattform für das Lernen in JVAs, welche von der Universität Berlin entwickelt wurde. Fast alle Bundesländer setzen diese ein, nur NRW und Bayern nicht.

Wenn man Bildung will, gehört das Internet für mich ganz selbstverständlich dazu. Insofern müssen wir uns mit der Zukunft der Bildung im Strafvollzug beschäftigen.
Wenigstens den Einsatz der Plattform halte ich auch für NRW für erstrebenswert. Das wird dann wohl ein Antrag von mir für den Landtag.

Hier die Plattform:

http://www.ibi.tu-berlin.de/projekte/elis_plattf/elis_plattf.htm

Neben der Schule gibt es diverse Arbeitsmöglichkeiten in unterschiedlichen Werkstätten für die inhaftierten Frauen. Dabei: eine Näherei, Montagehallen, eine großartige Halle für Holzarbeiten (wo z.B sehr schöner Schmuck oder Dekoobjekte hergestellt werden, die man hoffentlich bald über den „Knastladen“ auch online erwerben kann) und den Garten- und Landschaftsbau, der auch das Außengelände betreut.

Ich schätze, dass viele LehrerInnen, PsychologInnen, SozialpädagoInnen etc. eine JVA gar nicht als attraktiven Arbeitsort vor Augen haben. Ich hatte aber aufgrund der Zeit und der Gespräche dort den Eindruck, dass die Arbeit in einer JVA auch sehr spannend und erfüllend sein kann. Zum Vergleich wäre es aber sicher sinnvoll, sich eine weitere JVA anzusehen.

Zum Schluss noch eine Literaturempfehlung zum Thema von einer der LehrerInnen vor Ort:
Knast. Joe Bausch
Das lese ich als nächstes.

Besuch des Erich-Gutenberg-Berufskollegs

„Sie müssen ungehorsamer sein…“ (Zitat des Schulleiters während der Veranstaltung.)

Bereits im Februar diesen Jahres hatte ich bei einer Veranstaltung zum Thema Inklusion in Dortmund einige Lehrer und die Schulleitung (Herrn Wolfgang Berkemeier und Frau Afra Gongoll) des Erich-Gutenberg-Berufskollegs/Bünde (http://www.egb-buende.de/egb/) kennen gelernt, weil diese dort ihr Schulkonzept vorgestellt hatten. Es entstand schnell Einigkeit darüber, dass wir mit ein paar Kollegen unserer Schule nach den Sommerferien die Gelegenheit nutzen wollen, die Schule vor Ort zu besuchen, um uns die Möglichkeiten des Konzeptes erläutern zu lassen und dieses auch in der praktischen Umsetzung zu sehen. Beeindruckt hatte mich bei der Veranstaltung im Februar schon, dass alle LehrerInnen mit so viel Begeisterung von dem neuen Konzept redeten und mit eben dieser Begeisterung von den Entwicklungen, die dadurch bei den Schülern möglich waren sowie den entstandenen Entlastungen bei der täglichen Arbeit.

Dazwischen kam dann im Mai die Landtagswahl, aber da mich innovative Konzepte natürlich immer noch interessieren in meiner politischen Arbeit, habe ich mich der Besuchsgruppe meiner Schule für den 31.10. angeschlossen.

Wenn man in so eine Schule hineinkommt, hat man ja gleich einen ersten Eindruck der Atmosphäre. Die SchülerInnen wirken entspannt und offen. Direkt im Foyer befinden sich unterschiedliche Sitzgelegenheiten (neben den herkömmlichen Stühlen und Tischen auch was Bequemeres). Dort stehen auch zwei PCs mit Zugriff auf den Vertretungsplan sowie die Stundenpläne via Untis. (In meiner Schule gibt es diesen Komplettplan nur im Lehrerzimmer auf dem Rechner.) Und man findet dort das Bistro mit einem recht breiten und bezahlbaren Angebot an Essen und Getränken.

Angenehm ist auch, dass sich im Foyer nicht nur SchülerInnen befinden, sondern auch LehrerInnen an Stehtischen im Gespräch in der Pause. Es wirkt dadurch nicht so getrennt wie in anderen Schulen. Weiterhin findet man in diesem Gemeinschaftsbereich die Ergebnisse eines Kurses „Kommunikationsmedien“ zum Thema „Menschenbilder“: „Mir ist die Zeit verloren gegangen. Nur ein Gesicht auf einem Bild erinnert mich an meine Existenz.“ Eine wirklich gelungene Fotoausstellung eines Kurses der Höheren Handelsschule.

Als nächstes sind in Schulen die Toiletten spannend, finde ich. Ich habe es schon damals, als ich mich am Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg beworben habe, so gemacht, dass ich die Schülertoiletten als erstes aufgesucht habe. An den Schülertoiletten kann man sehen, wie gut eine Schule funktioniert. Diese hier am EGB wirken sauber und angenehm. Genug Papier vorhanden. Plus natürlich die obligatorischen Spender für Desinfektionsmittel. Insgesamt findet sich in der Schule überhaupt wenig herumliegender Müll.

Die dann eigentliche Veranstaltung beginnt mit einer Einführung des Schulleiters und der stellvertretenden Schulleiterin.

Herr Berkemeier ist mir sofort sympathisch. Er betont, dass Lernen ein ganz individueller Prozess sei. Er kritisiert das übliche Schulsystem, dass SchülerInnen immer noch nach alten Vorstellungen vorgefertigte Häppchen lernen müssten und dass vor allem Defizite abgeprüft würden. Das EGB hat bereits seit vielen Jahren (seit 1998) ein neues Konzept getestet und weiterentwickelt (damals politisch unter Frau Behler und mit Beteiligung von Herrn Mohn (Bertelsmann) Das Projekt damals hieß: Schule & Co mit Begleitung durch Experten). Die Schulen des Bezirkes Herford hätten dann aufgrund von Experimenttierklauseln neue Möglichkeiten erhalten und diese Schule habe die Möglichkeiten ergriffen. Es wird schnell deutlich: Für wirklich individuelles Lernen muss man eine ganze Schule umkrempeln.

Daten der Schule: 73 Lehrerinnen und Lehrer (60 Prozent weiblich)
Durchschnittsalter: 46 Jahre

1600 Schülerinnen und Schüler mit großem Anteil Berusschule

Entwicklung der Schule
Einstiegsprojekt: Schule & Co.
Unterrichstentwicklung erst, wenn nicht nur einzelne LehrerInnen, sondern der gesamte Bildungsgang, besser: die gesamte Schule umgestellt wird auf ein neues Konzept
Weiterbildung der LehrerInnen über zwei Jahre!

Wichtig auch: Stakeholderanalyse bei Einführung eines neuen Konzeptes: In Berufskollegs unter anderem neben dem Schulträger auch die IHK, die Verbände, die Arbeitgeber etc.

Inklusion führt dazu, dass verschiedene Schulen gemeinsame Klassen einrichten. Es braucht aber einen Wandel im Denken!

Aufgrund verschiedener politischer Veränderungen wurden aber Projekte leider auch wieder aufgegeben. 2002 gab es dann die Möglichkeit der „Selbstständigen Schule“. Das EGB hat dann am Beispiel von Klippert gearbeitet, aber dies sei kein qualitativer Ansatz. Die Entwicklung sei zum Stillstand gekommen, als die gesamte Schule sozusagen alle 100 Methoden von Klippert konnte. Evaluation zeigte, dass die Methodenvielfalt zwar gut war, aber das noch nicht reichte. Dr. Herold habe dann als Referent den Umbruch zum selbst organisierten Lernen gebracht, auch auf der Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse.

Lehrer haben vorgefertigte Häppchen, die nur zu sehr wenigen Schülern passen. Viele Schüler sind unterfordert, viele überfordert. Es erfolgt in Schulen viel zu wenig wirklich individuelles Lernen!

Möglichkeit: Lernfeldorientierung -> didaktische Lehrplan -> Teamentwicklung -> Kommunikationstraining, Methodentraining
Dies zwingt LehrerInnen dazu, über Unterricht zu sprechen, über Inhalte, über Zeitabläufe.
Schwierig für LehrerInnen: Sich zu outen: Wie sieht mein Unterricht aus? Da sind bei LehrerInnen sehr viele Ängste, die abgebaut werden müssen.

Unterricht als Kernziel, aber man bekommt es nur hin, wenn man gleichzeitig Personalentwicklung und Organisationsentwicklung bearbeitet.
Die LehrerInnen tragen sich in dieser Schule selbst ein für den Stundenplan fürs nächste Jahr. „Die Chemie in einem Team muss stimmen.“ Wichtig: Gemeinsame Teamstunde im Plan, unbezahlt, aber im Stundenplan geblockt, Raum ist vorhanden, Mittel sind vorhanden.
Weiter: Kollegiale Hospitation bei gemeinsamer Planung einer Lernsituation.
(Schulleiter fragt nur, ob Team das gemacht hat.)
Plus Zielgespräche mit Schulleiter (jeder Kollege hat eine halbe Stunde pro Schuljahr Zeit, zu verdeutlichen, was ihm/ihr wichtig ist (auch Ressourcen, Fortbildungen, finanzielle Mittel) für das laufende Schuljahr) Hierbei geht es auch um Wertschätzung.
Dazu gehört auch Coaching/Mentoring (was eigentlich selbstverständlich sein sollte in Schulen, aber faktisch kaum vorkommt.) Dies wird auch bei neuen Kollegen und Referendaren so gemacht. Am Anfang vor allem Teamteaching.

Die Schulhierarchie wird hier nicht als typisches Tableau dargestellt, sondern als System eines Wabenorganigramms (dahinter die Idee, möglichst mit flacher Hierarchie zu arbeiten und stattdessen Kommunikationssysteme abzubilden)

Zu Schulentwicklung gehört auch ein hoher Grad an interner Evalutation (einmal pro Jahr. Vier/fünf Kriterien (z.B. Kritikfähigkeit). SchülerInnen bepunkten den Lehrer/die Lehrerin. Die Ergebnisse werden von SchülerInnen ausgezählt und das Ergebnis muss diskutiert werden mit den SchülerInnen.)
Dann gibt es noch die externe Evaluation (dabei hat die Schule auch diverse Preise abgeräumt). Weiterentwicklung mit externen Experten, zum Beispiel der Uni Heidelberg, der Uni Bielefeld (Gesundheitsmanagement am BK) -> dabei auffällig: Gemessener Cortisolgehalt der LehrerInnen am höchsten in der Pause!

Qualität einer Schule könne man nicht am fachwissenschaftlichen Aspekt festmachen, sondern daran, dass SchülerInnen vielfältige, zukünftige Situationen bewältigen können. (Lernen lernen)

Neues Projekt der Weiterentwicklung mit der Uni Paderborn bezüglich Inklusion, Veränderung der Lehrerrolle (zwischen den SchülerInnen, nicht mehr vorne) etc. geplant.

„Wenn der Geist einer Schule so ausgerichtet ist, braucht man auch nicht zu tricksen.“ (bei Qualitätsanalysen von extern)

Selbst organisiertes Lernen (vorgestellt durch die stellvertretende Schulleiterin Frau Gongoll):

Zunächst nur ein paar Wochen (was nicht gut geklappt hat). Jetzt gesamte Schule, gesamter Unterricht so ausgelegt.

Ziel bei SOL: SchülerInnen übernehmen Verantwortung für ihr Lernen selbst!
Es funktioniert also nicht im Wechsel mit traditionellem Unterricht, sondern nur flächendeckend. Ein Team des Bildungsganges zum Berufsgrundschuljahr hat begonnen, das System für die Schule zu entwickeln. Beginn also mit LehrerInnen, die Spaß an der Entwicklung haben. (Problem bei Innovation: Beharrungskräfte, Komfortzonen, in die man gerne zurück will zu Beginn, Drittelung des Kollegiums (1/3 vorne weg, 1/3 unentschlossen, 1/3 dagegen) -> Aufgabe der erweiterten Schulleitung! Das Problem sind die Lehrer, weil sie einen Vergleich haben mit dem alten System und weil sie sich darin eingerichtet haben. Zudem kommen diverse Ängste dazu (Angst vor Kontrollverlust, Angst davor, alles an Prozessen offen zu legen, Probleme als Teamplayer etc.) LehrerInnen müssen dabei lernen, loszulassen. Zulassen können, dass ein Schüler/eine Schülerin auch mal eine Woche auf dem Sofa sitzen und nichts tun. Weiterhin: Angst vor dem Verlust der Selbstwirksamkeit.

Problem: SchülerInnen kommen mit 10 Jahren Schulerfahrung und haben gerade im Berufsgrundschuljahr nicht notwendigerweise eine positive Einstellung zu Schule.
Trotzdem: kein sanfter Einstieg, sondern bei der Anmeldung die Verantwortung der SchülerInnen thematisieren: Was stellen Sie sich vor? Was möchten Sie dafür tun?

Im BGJ: ähnliche, wiederkehrende Lernstrukturen innerhalb derer sich die SchülerInnen sehr selbstständig organisieren müssen. Immer vier Fächer zusammen. Der Mehrwert muss für die SchülerInnen klar sein! Beispiel: Advanced Organizer „Ich bin Kunde bei…“ Daran aufgehängt: Rechts- und Geschäftsfähigkeit etc.
SchülerInnen bearbeiten die Themen in ihrem eigenen Tempo. Hilfe dabei jederzeit möglich. Gruppen sind möglich, alleine lernen ist möglich. Damit das klappt, braucht es Supportsysteme: Zielpläne, Kann-Listen (beschreibt die Kompetenzen, die man am Ende der Woche erworben haben kann=Transparenz bei den Inhalten!), Punktekonten, Lerntagebücher, Feedback
An den Supportsystemen hängt es!
„Am Anfang ist immer SOL Schuld, wenn etwas nicht klappt..“
(Weil alle kleinen Probleme, die man sonst so in seinem Unterricht hat, auf einmal und für alle offen liegen…)

„Wenn SOL dann aber etabliert ist, führt es dazu, dass die gesamte Lernatmosphäre sich verändert.“
Es bedeutet aber auch, dass Lernmaterialien jede Woche überprüft werden an den individuellen Bedürfnissen der SchülerInnen.

Das erste Jahr funktionierte super mit VorzeigeschülerInnen. Im zweiten Jahr war dann der Anteil der SchülerInnen von Förderschulen sehr noch und das ganze Konzept war auf dem Prüfstand. Es brauchte weitere Zusatzsysteme, z.B. Bilanzgespräche mit dem Schulleitungsteam, freitags nachmittags, teilweise mit Eltern. Ganz wichtig dabei: Wertschätzung vermitteln, gerade bei SchülerInnen mit negativen Schulerfahrungen.

Problem: Differenziert Lernen, aber dann eine Klassenarbeit für alle gleich?
(Noch nicht komplett gelöst. Eigentlich müsste der Schüler/die Schülerin selber entscheiden, wann er welche Kompetenzen vorweist. Das lässt sich noch nicht organisieren.) Derzeit: Schüler und Schülerinnen mit Note „5“ oder „6“ dürfen die Klausuren mehrfach schreiben. Beim zweiten Versuch verfällt die erste Note, wenn gewünscht, danach wird ein Duschnitt gebildet (damit Verbesserung auf „4“ möglich). Der Schüler/die Schülerin schreiben die gleiche Klassenarbeit mehrfach. Die Arbeiten werden individuell besprochen, aber erst im Januar zurückgegeben! Hier also Abrechnung zum Zeugnis. Dann erst müssen die Kompetenzen nachgewiesen werden.
Problem weiterhin noch: Auf dem Zeugnis stehen Fächer.

Sonstige Leistungen werden mit einem Punktesystem/Punktekonto beurteilt, z.B.
„Ich kann mich selbst organisieren und den Gruppenprozesse organisieren.“ (Darunter: Ordnerführung 1 Punkt, Ordner wird von der Schule den SchülerInnen geschenkt.)
„Ich biete meine Lernpartnerschaft an.“

Das Punktekonto wird jede Woche vom Schüler/der Schülerin ausgefüllt und jede Woche mit dem Fachlehrer/Mentor besprochen und ist vom Schüler/der Schülerin zu belegen (z.B. durch Kurzprotokoll). Änderungen der möglichen Punkteverteilung müssen mit dem Team besprochen und den SchülerInnen sofort mitgeteilt werden. Während des selbst organisierten Lernens sind mind. zwei Lehrer für mehrere Klassen als Ansprechpartner in einem Bereich der Schule anwesend.

Baulich wurden in den alten Teilen der Schule zunächst die Türen der Klassenräume mit Fenstern ausgestattet. Der Neubau hat gleich Lernateliers mit verschiedenen Bereichen und unterschiedlichsten Sitz- und Stehmöglichkeiten auf einem Flur, auf dem sich SchülerInnen ganz frei bewegen und so arbeiten können, wie es gerade zu ihnen passt.

Weiterhin werden an der Schule Smartphones im Alltag ausdrücklich zugelassen! Außerdem hat jeder Schüler/jede Schülerin einen Laptop in der Schule, der morgens ausgegeben wird.

Finanzielle Mittel über Preisgelder und Sponsoring (seufz).

Der Effekt auf die Schüler und Schülerinnen kann wie folgt zusammengefasst werden:
– deutliche Kompetenzzuwächse im Bereich der personalen Kompetenzen
– Fachkompetenz an breitete Masse vermittelt
– geringere Abbrecherquoten
– entspannte Lernatmosphäre

Effekt bei LehrerInnen:
– Teamarbeit
– entspannte Lernatmosphäre
– weniger Disziplinprobleme

Belastung:
– Entwicklung von SOL-Arrangements
– Zeitaufwand für Teams
– mehr Nähe zu SchülerInnen und zu deren individuellen Problemen

Ausbilder und Eltern:
– sehr positive Resonanz aus Handel, Industrie, med. Bereich
– positive Auswirkungen im persönlichen, familiären Bereich

Fazit: Ich habe den Schulleiter und die stellvertretende Schulleiterin auch vor Ort an der Schule als unglaublich inspirierend erlebt. Eine Schule, an der es Spaß macht, zu lernen und zu arbeiten, fühle ich. So müsste Schule überall sein. Für SchülerInnen und LehrerInnen. (Ich habe nur für mich persönlich die Befürchtung, dass ich nach meiner Zeit im Landtag in einer herkömmlichen Schule nicht mehr glücklich werde…)

Fazit zwei: Wenn man Schulentwicklung macht, kommt man derzeit scheinbar nur schwer an der Bertelsmann Stiftung vorbei…

Nachtrag wegen des Streits um Sponsoring beim Educamp: Ja. Ich sehe immer noch, dass wir streiten müssen wegen dieses Themas, aber ich sehe auch, dass wir in Grundzügen eine Idee von Schule haben, die wir in die Schulen, die Ministerien und die Gesellschaft tragen wollen. Ich bin bei der Sponsoringfrage sehr radikal und eventuell muss ich darüber weiter nachdenken. Ich möchte jedoch nicht, dass wir uns so zerstreiten deshalb, dass keine gemeinsame Arbeit mehr möglich ist.