Rückblick Bochum, unsortiert.
Geschrieben wird viel derzeit über den Bundesparteitag vom Wochenende. Es geht um Programmanträge, um die „Ständige Mitgliederversammlung“, um Zeitreisen und um Anpassung.
(Oder: Was müssen wir tun, um in den Bundestag einziehen zu dürfen? Um gewählt zu werden?)
Die Ansichten darüber sind durchaus unterschiedlich. Da wird nach mehr Professionalisierung gerufen (dabei heraus kommt gelegentlich, aber zunehmend watteweiches Schöngerede).
Gefühlt gibt es zudem sowas wie eine Verstärkung von Hierarchien bei uns. Es gibt die Piraten, die alle kennen (nenne wir sie mal „Promipiraten“) und die Mandatsträger (manchmal kommt das dann zusammen) und die mit Funktionen (auch Orga Parteitag) und noch ein paar Gruppierungen plus die „Basis“.
Es gibt die, die gerne einfach nur mitmachen möchten. Es gibt die, die sich darin sonnen wollen, auch mal wichtig zu sein (und die man dann gerne im Pressebereich antrifft.)
Insgesamt führt das nach meiner Wahrnehmung auch zu mehr Unhöflichkeiten. Klar, war das alles einfacher, als wir eine kleine und recht unbedeutende Partei waren. Aber es ist auffällig, dass wir uns teilweise mittlerweile so verhalten wie die prominenten Mitglieder der „großen“ Parteien.
Mal konkret: Ganz am Anfang unserer Parlamentszeit in NRW stand vor dem Landtag das prominente Mitglied einer anderen Partei. Wir haben uns brav mit Namen vorgestellt. Er hat uns zwar die Hand gegeben, aber irgendwie vorausgesetzt, dass wir wissen, wer er ist, also nicht mehr seinen Namen genannt.
Das sehe ich vermehrt auch bei so einem Parteitag von uns. Da gibt mir ein „Promipirat“ die Hand im Vorbeigehen, macht etwas Small-Talk, stellt sich aber den zwei neben mir stehenden Menschen nicht vor und gibt diesen auch nicht die Hand. Schon muss er wieder weiter… Zum nächsten Pressetermin. Das finde ich unnötig und unhöflich.
Ich hoffe, dass das bei mir nicht so der Fall ist. Zur Verteidigung aller mag man aber vielleicht feststellen, dass manchmal auch sowas wie leicht soziophobe Züge bei Piraten nicht einmal so selten sein dürften. Ich habe manchmal auch meine Probleme mit großen Menschenmengen und entsprechende Fluchtreflexe.
Ich habe weiterhin die Befürchtung, dass wir uns zu sehr treiben lassen. Da geht es darum, ob die Bild wirklich über das Transparenzgesetz geschrieben hätte (wenn ich nicht getwittert hätte). Darum, was für ein Programm wir brauchen, um eine Chance zu haben. Wie viele detaillierte Aussagen zu Wirtschaft, Europa, Umwelt etc. man eigentlich wirklich braucht. Richtig problematisch wird es, wenn wir uns davon nicht nur treiben, sondern entzweien lassen. Hat in Ansätzen schon funktioniert.
Fangen wir mal von vorne an: Warum bin ich eigentlich bei den Piraten? Da war 2009 viel Frust bei mir über andere Parteien. Da ging es um Zensursula. Aber Mitglied geworden bin ich, weil ich ganz unkompliziert einfach mitmachen konnte. Ich habe am Bildungsprogramm mitgeschrieben. Da war ich noch gar nicht Mitglied. Und wir hatten Spaß. Wir haben an Infoständen gestanden und Spaß gehabt. Ohne viel finanziellen Hintergrund. Ich gehe immer noch davon aus, dass die Menschen uns deshalb wählen. Weil wir unsere Werte mit Leidenschaft gelebt haben. Fragt euch mal: Tun wir das noch?
Oder tun wir etwas, weil wir glauben, dass wir es so tun müssen?
Insofern fand ich den Antrag über Zeitreisen überhaupt nicht schlimm. Ja. Das kostet Geld auf so einem Parteitag, aber das hat auch aufgelockert und war lustig und gut für die Stimmung.
Ich habe beide Tage beim Awareness Team verbracht. Sonntag waren deutlich mehr Streitfälle zu schlichten. Der Grad an Aggressivität war gefühlt höher als Samstag. Das war alles lösbar, aber es zeigte m.E. so ein wenig die Grundstimmung.
Wenn ich darüber nachdenke, warum uns Menschen wählen könnten, lande ich oft bei den Keynotes von @zeitweise aus mehreren Jahren Open Mind.
Ich schätze, dass wir bisher zu wenig transportieren, was eigentlich die Idee hinter den Piraten ist. Das, was uns eint. Was ist also unsere Vision von Gesellschaft?
Für mich geht es um Teilhabe. Für Menschen innerhalb und außerhalb der Partei. Um Teilhabe an politischen Prozessen. Um Teilhabe in der Gesellschaft. Das kann man dann weiterspinnen: Es geht um Bildung. Um Verteilung von Einkommen. Um Struktur von politischen Prozessen. Um die Einbindung von Möglichkeiten des Internets. Um Raum für Diskussionen. Um Zugang zu Informationen und Kunst. Um Urheberrecht. Um Medien. Um Gestaltungsmöglichkeiten… (to be continued)
In diesem Sinne ist mir die Diskussion um eine mögliche „Ständige Mitgliederversammlung“ durchaus wichtiger als konkrete Programmdiskussionen. Weil es um ein Grundproblem von Beteiligung geht. Weil es um die Frage geht, ob wir überhaupt je basisdemokratisch waren. Weil wir dafür eine Lösung brauchen. Im Moment gestalten und entscheiden die Piraten, die Zeit und Geld haben. Es geht also um Eliten. Noch komplexer wird das Ganze, wenn wir nun auch noch die Nicht-Mitglieder einbinden wollen.
Zur SMV gibt es gute Diskussionsansätze. Hier zum Beispiel:
http://t.co/yqz5Dwq6
Oder hier eine alternative Idee:
http://www.sudelbuch.de/2012/lokale-programm-mvs-statt-smv
Oder von @tosopiratas heute auf dem Bahnhof die Idee, thematische Parteitage abzuhalten, also einen zu Bildung, einen zu Wirtschaft etc.
(Da wäre dann auch sehr schnell klar, ob da Müll geredet wird oder ob das Substanz hat, was der Redner vorne erzählt, weil zu vermuten wäre, dass alle Anwesenden auch Ahnung vom Thema haben.) Blöd wäre die Variante nur für die Freunde des Schaulaufens…. Die müssten dann halt zu allen Parteitagen.
(Und wir hätten gerne beheizbare Bänke in Bahnhöfen…. )
Zurück zur Sache:
Niemand hat gesagt, dass es leicht werden wird (aus der Reihe: „Phrasen für Anfänger“)
Und nun könnt ihr euch noch ein schönes Zitat googeln, was sich mit dem Wort „Mut“ beschäftigt und es mir als Abschluss vorschlagen. (Oder als Einleitung…)