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Lost in der Polykrise

Übers verloren fühlen in der Schnellebigkeit der Welt und im Politaktivismus (und ein Lob auf Diskussionen/die Diskussionskuktur auf Mastodon)

Oft bin ich traurig in letzter Zeit. Manchmal auch pissig. Manchmal durchaus auf einzelne Menschen, aber grundlegend mehr auf strukturelle Gegenenheiten, internalisierten Kapitalismus, Effizienzstreben, „höher, schneller, weiter“, Insta-Fssaden. All das macht auch vor linken Strukturen nicht halt, sondern wird zunehmend Teil derer mit all den dadurch unangenehmen, toxischen Folgen.

Regt mich das nun vor allem deshalb so auf, weil ich das nicht mehr kann aufgrund von psychischen und physischen Beeinträchtigungen?

Ist das eigentlich schlimmer geworden in den letzten Jahren oder fällt mir das aufgrund dessen nur mehr auf? Wird dadurch Ableismus mehr? Sind mehr Menschen in der Szene unterwegs, die kapitalistische Ideale so stark verinnerlicht haben, dass das Polit-Arbeit und Strukturen verändert?

Und natürlich ist auch einfach viel, gegen das man kaum ankommt: Rechtsruck, damit einhergehend Faschobedrohungen, Terfs, Swerfs, Klimawandel. Das volle Abfuck-Programm.

Ich habe das zunehmende Gefühl, dass ich meinen politischen Kompass verloren habe, mein Gefühl von Zugehörigkeit. Ist das jetzt ‚nur‘ zunehmendes Alter? Hat sich politische Arbeit verändert? Habe ich mich so stark verändert? Muss ich kompromissbereiter werden? Wo sind meine roten Linien? Und wie gehe ich damit um, wenn die völlig andere sind als in vielen politischen Gruppen? Suche ich an den falschen Stellen? Bin ich zu hart geworden? Oder zu weich? Wo heulen wir eigentlich zusammen?

Atmen, zur Ruhe kommen, Stille: Fühlt sich das, was ich tue, richtig an? (Und oft fühlt es sich nicht richtig an…)

Was sind denn eigentlich meine Bedürfnisse? Ich habe immer mehr das Gefühl, dass wir auch in linken Bubbles Konflikte, Werte etc. nicht aufrichtig diskutieren. Vor allem: Dass wir uns keine Zeit nehmen fürs Aushandeln von Bedürfnissen und Positionen. Fürs Fühlen sowieso nicht. (Das habe ich aber auch erst durch Jahre Therapie gelernt.)

Ich passe nicht mehr. Oft fühlen sich für mich Begegnungen, Treffen, Plena völlig oberflächlich an. Es gibt einen Veranstaltungskalender mit zig Veranstaltungen, Vorträgen, Tresen, Kundgebungen, Kampfsport. Und ich fühle mich nahezu überall falsch. Als knirsche alles. Noch nen Sekt?

Für mich ist da gerade nichts bei. Das mit dem Rückzug ins Private habe ich auch verkackt. Vielleicht doch wieder um ein paar alte Katzen kümmern? Politzeug den Jüngeren überlassen. Nicht mehr dagegen halten. (Zum Beispiel bei Sexarbeitsfeindlichkeit.) Ich will nicht immer nur Kämpfe. Im Kern bin ich harmoniebedürftig. Erst recht in schwierigen Zeiten.

Wo reden wir über unsere Bedürfnisse? Die Menschen, die nicht (mehr) passen, sind halt weg, raus aus Strukturen. Wo ist Raum für Fehler(kultur), Verzeihen, Zärtlichkeit, Meditation? Wo nehmen wir uns Zeit für tiefe, aufrichtige Begegnungen? Wo sehen wir einander wirklich? Wie gehen wir mit Konflikten um? Überall Awareness? Was ist eigentlich noch echt?

Alles ist immer super wichtig, super dringlich. Klar. Abwehrkämpfe. Nächster Aufreger. Noch ne Abschiebung. Wieder ein toter Obdachloser. Aber wie verarbeiten wir das denn überhaupt? Also nicht in der nächsten Kundgebung. Ich meine, so emotional…

Mein Impuls in all dem wäre eigentlich, einen Schritt zurückzugehen. Langsamer machen. Weniger Populismus. Sich mehr mit sich selbst auseinandersetzen. Mit seiner Herkunft. Den alten Wunden. Aber damit bin ich irgendwie… alt? Falsch? Ich weiß es doch auch nicht.

Ich mag immer noch Gruppen, die sich fortbilden. Texte lesen, darüber reden. Sich Zeit dafür nehmen. Zum Beispiel fand ich mich an vielen Stellen in diesem wieder:

White Supremacy Culture

Ich habe mehr Fragen als Antworten. Mehr Unsicherheiten. Keine Lösungen.

Aber auch ein wenig Hoffnung. Meine größte, positive Überraschung der letzten Jahre ist Mastodon. Es ist vielleicht auch traurig, dass ich Auseinandersetzungen/Diskussionen dort oft mehr als im Draußen als sehr facettenreich, persönlich, bereichernd, durchdacht empfinde. Das passt nicht für alle. Wenn Du nur Inhalte raushauen willst, ist das vermutlich die falsche Plattform. Irgendwo schrieb mal wer, auf Mastodon seien die Loser, die Gescheiterten. (Empfinde ich nicht als Diss btw.)

Wie geht es euch so aktuell? Wo seid ihr sicher? Wo hadert ihr? Was sind eure Strategien? Wo fühlt ihr euch zugehörig? Was braucht ihr dafür?

Und warum brennt hier eigentlich nicht alles?

Über Transparenz und (fehlendes?) Klassenbewusstsein

(verfasst zusammen mit @rndm_resistance)

Auf der Re:Publica hat gestern Bernhard Pörksen in seinem Talk mit dem Titel „Filter Clash. Die große Gereiztheit der vernetzten Welt“ unter anderem auf Untersuchungen hingewiesen, die sich mit Wut im Flugzeug beschäftigen. Warum rasten Menschen aus auf Flügen? Ein Faktor ist gegeben, wenn es 1. und 2. Klasse gibt und zB. Menschen der 2. Klasse, um zu ihrem Sitzplatz zu gelangen, durch die 1. Klasse laufen müssen. Die gegenseitige Sichtbarkeit erhöht bei beiden Gruppen die Wahrscheinlichkeit für Wutausbrüche. (Die einen sehen, wie man auch reisen kann. Die anderen sind genervt, weil „der Pöbel“ durch ihre Wohlfühlzone läuft.)

Was ist eigentlich Klasse?

Im alten Rom wurde mit dem Begriff die Zugehörigkeit zu einer Steuerklasse bezeichnet, die moderne Soziologie versteht darunter nach Pierre Bourdieu im Wesentlichen eine Gemeinsamkeit im Hinblick auf wirtschaftliche Verhältnisse (z.B. in Form von Lohnabhängigkeit), aber auch auf Habitus, d.h. eingelebte Gewohnheiten (die „Manieren“ im sozialen Raum), Sprechweisen („Soziolekt“) sowie das von klein auf anerzogene Selbstverständnis, das bei „Kindern aus gutem Hause“ von Anspruchsdenken, bei Kindern aus Arbeiter*innenhaushalten von der Betonung harter Arbeit geprägt ist.

Dazwischen gibt es in der heutigen Gesellschaft diverse Abstufungen wie beispielsweise die höheren Angestellten, deren Alltag als „white-collar workers“ die Erfahrungen der Ausübung von Macht mit denen des ausgebeutet-Werdens vereint. Diese jeweiligen Zugehörigkeiten zeichnen den Lebensweg vor und formen zugleich die Lebenswelt, in der ein Mensch die Welt und seine Rolle darin kennenlernt.

Wir leben -auch Dank des Internets- in Zeiten großer Transparenz. Man kann auf Instagram verfolgen, was die Reichen und Schönen machen. Gleichzeitig nimmt in vielen Ländern die Ungleichheit der Lebensverhältnisse (wieder) zu.

Warum führt nun diese Sichtbarkeit nicht zu größeren Unruhen? Wieso wird diese Spaltung der Gesellschaft als selbstverständlich und alternativlos wahrgenommen? Wieso werden immer wieder Parteien, die eine Wirtschafts- und Sozialpolitik zu Lasten der ohnehin schon Benachteiligten machen, von genau diesen Gruppen ins Amt gewählt?

Da ist zunächst das Heilsversprechen von Leistung im Kapitalismus. Der amerikanische Traum quasi. Jede*r kann ja, wenn er/sie sich nur genug anstrengt, auch selber reich werden. (Es wird dabei gerne ausgeblendet, dass es zumindest nicht sehr wahrscheinlich ist, durch Lohnarbeit reich zu werden. In den allermeisten Fällen geschieht dies durch Erbe.) Reicht diese kleine minimale versprochene Chance also aus, um eine ungleiche Gesellschaft zu befrieden? (Für den bisher kleinen Rest an Widerstand hat man eine zunehmend durchmilitarisierte Polizei, die das dann schon mit staatlich legitimierter Gewalt regelt.)

Wenn den einen am 1. Mai gesagt wird, sie sollten lieber arbeiten gehen, während von den anderen die Einkünfte aus der überteuerten Vermietung von Immobilien als legitime Arbeit betrachtet wird, so zeigt dies deutlich, dass zumindest diese Schicht durchaus Klassenbewusstsein hat. Warren Buffett, US-Milliardär, sagte einmal live bei CNN: „Es gibt tatsächlich Klassenkampf, und meine Klasse, die der Reichen, hat ihn gewonnen.“; Henry Ford, Pionier der hochgradig spezialisierten Industriearbeit (genau die, über die Marx schrieb, dass sie den Arbeiter abstumpfe und sein vielfältiges natürliches Potenzial verkommen lasse), wird ein Zitat zugeschrieben, nach dem es „noch vor morgen“ längst eine Revolution gäbe, wenn die Mehrzahl der Leute das System der Banken und des Geldes verstünde.

Die jedoch -und das ist das Bittere- die sich abgehängt fühlen, pöbeln zwar irgendwie gegen „die da oben“, finden aber nicht den Weg zu mehr Solidarität, sondern suchen zu häufig in der rechten Ecke ihr Heil. Durch Abgrenzung gegen die, die noch weniger haben. Gegen Hartz IV-Empfänger*innen, gegen Menschen ohne Wohnung, gegen Geflüchtete. Angeheizt von Parteien, die ihre Unterstützung von denjenigen erhalten, die die Aussicht fürchten, durch die Umverteilung einen Teil des Kuchens abgeben zu müssen. Derweil werden die, die für mehr Gerechtigkeit kämpfen und solidarisch handeln dafür vom Staat kriminalisiert und von ihren Mitbürger*innen als überempfindliche, faule Unruhestifter verunglimpft.

Warum wiegen sich noch immer die meisten Menschen in diesem Land wie auch andernorts in der vermeintlichen Sicherheit, auf der Gewinnerseite zu enden, anstatt die Logik zu hinterfragen, die ihnen ihren Platz zuweist – während sie täglich beim Abendessen ihr Leid an Überarbeitung, schlechten Löhnen und narzisstischen Vorgesetzten klagen?

… Fortsetzung folgt (Arbeitstitel: Über Ohnmacht, Selbstermächtigung und das Brechen von Regeln)