Auch erschienen in der Gai Dao – Sonderausgabe Solidarische Ökonomie
Kollektivbetriebe (und hier lag der Schwerpunkt der geführten Interviews) haben im allgemeinen den Anspruch, Arbeit hierarchiefrei (ohne Chef*in) zu ermöglichen. Da wir aber vom Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft sehr weit entfernt sind, bleiben viele Konstrukte daher in dem Widerspruch begrenzt, nach außen rechtliche Vorgaben erfüllen zu müssen, die nicht notwendigerweise zu den eigentlichen Vereinbarungen, Werten und Zielen im Innenverhältnis passen.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in einem auf Kapitalismus (und Wachstum) basierenden Rechts- und Steuersystem Formen des solidarischen Lebens kaum Unterstützung erfahren.
Die Diskrepanz zeigt sich unter anderem im Begriff der „Gewinnerzielungsabsicht“, der sowohl bei der Definition von Gewerbebetrieben und der Kaufmannseigenschaft als auch im Steuerrecht Anwendung findet. Wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, dass die Tätigkeiten eines Unternehmens etwa auf den Neigungen des Steuerpflichtigen beruhen und nicht dazu geeignet ist, entsprechend Gewinne zu erwirtschaften, hat dies Folgen vor allem bezogen auf die Möglichkeit, Verluste aus dieser Tätigkeit auf andere Einkünfte anzurechnen (Einkommensteuer). Die Pflicht, Umsatzsteuer zu zahlen, bleibt davon unberücksichtigt. (Dem Staat entgehen in diesem Fall keine Einnahmen, die Möglichkeiten für die oder den Steuerpflichtige/n werden hingegen begrenzt.)
Problematisch ist dies für Kollektive/Kooperativen allerdings nur im Einzelfall (siehe unten), da auch Kollektivbetriebe ohnehin insoweit Gewinn erzielen müssen, dass sie in der Marktwirtschaft überleben können.
Die Frage der besten Rechtsform
Die Gründung eines Unternehmens führt (nicht nur bei Kollektivbetrieben) unweigerlich auch immer zur Frage der besten Rechtsform für das Unternehmen. Die Möglichkeiten sind hierbei für Kollektivbetriebe nicht anders als für herkömmliche Unternehmen. In vielerlei Hinsicht sind auch die Vor- und Nachteile ähnlich. Unterschiedliche Ansprüche ergeben sich allerdings aus dem Streben nach Hierarchiefreiheit.
Die einfachste Varianten hierbei sind sicher Einzelunternehmungen und Personengesellschaften, zum Beispiel die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, auch BGB-Gesellschaft genannt). Die Gründung ist simpel, kostet kaum und ist schnell vollzogen. Eine GbR kann bereits entstanden sein, ohne dass die Beteiligten dies wissen. Das Streben nach einem gemeinsamen Ziel (im übertragenen, aber durchaus auch im direkten Sinne, z.B. bei einer Fahrgemeinschaft), aber auch eine WG, kann bereits eine GbR darstellen (ohne dass man dies je direkt erklärt hätte).
Da bei der GbR alle Beteiligten gleiche Rechte (im Innen- und Außenverhältnis) haben, klingt dies auf den ersten Blick durchaus gut. Das große Problem dieses Konstrukts liegt jedoch in der gesamtschuldnerischen Haftung aller Gesellschafter*innen nämlich einzeln für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft und dies auch mit dem Privatvermögen der Beteiligten.
Eine zentrale Frage bei der Wahl der passenden Rechtsform ist dementsprechend die der Haftungsbeschränkung auf das Unternehmensvermögen. Im Falle einer „Pleite“ (rechtlich: Insolvenz) eines Unternehmens ist es sinnvoll, den Schaden insofern zu begrenzen, dass beteiligte Menschen nicht mit ihrem privaten Geld für Schulden des Unternehmens einstehen müssen, sondern dass diese Haftung auf das Vermögen des Unternehmens begrenzt bleibt.
Hier drängt sich förmlich die Rechtsform der GmbH auf, bei der das Problem der Haftungsbeschränkung sinnvoll gelöst ist. Jedoch ergeben sich andere Nachteile. Die Gründung einer GmbH ist aufwändig (notariell beurkundeter Gesellschaftervertrag, Eintrag ins Handelsregister etc.), was für sich schon finanzielle Mittel erfordert. Erschwerend hinzu kommt die notwendige Stammeinlage von 25.000 €, die dem Umstand der Haftungsbeschränkung geschuldet ist, Gläubiger*innen schützen soll, aber von der bei Gründung mindestens die Hälfte eben auch erst einmal vorhanden sein muss.
Weiterhin unterliegt die GmbH diversen Vorschriften für Kapitalgesellschaften. Es muss ein/e Geschäftsführer*in vorhanden sein, was als Hierarchieebene verstanden, aber durch Rotation und Regelungen im Innenverhältnis in der Wirkung begrenzt werden kann. Weiterhin gilt es, Vorgaben zum Jahresabschluss (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung) erfüllen zu müssen.
Eine seit 2008 noch recht neue Alternative kann die Unternehmergesellschaft (UG) darstellen, die an den Möglichkeiten der GmbH angelehnt ist und von der aus dem britischen Raum bekannten Limited inspiriert wurde. Der offensichtliche Vorteil gegenüber der klassischen GmbH: Die Stammeinlage bei Gründung ist nahezu beliebig klein. (Deshalb wird auch von Mini-GmbH oder 1-Euro-GmbH gesprochen.) Im Gegenzug müssen deshalb jeweils 25 Prozent des Jahresüberschusses als Rücklage angesammelt werden (bis 25.000 Euro Stammkapital erreicht wurden). Weitere Vorschriften der GmbH bleiben bestehen (z.B. Buchführungspflicht).
Eine GmbH bleibt im Geschäftsleben aber anerkannt, weil durch die Sicherheit der Stammeinlage die Kreditwürdigkeit (Bonität) höher eingeschätzt wird.
Eine interessante Alternative kann die Genossenschaft sein. Zur Gründung benötigt man zwei Mitstreiter*innen (drei Gründer*innen sind vorgeschrieben). Die Genossenschaft ist so ein Ding zwischen Kapitalgesellschaften (GmbH) und Verein. Die Ideale von Genossenschaften klingen auch generell ganz gut. Es wird im Zusammenhang von Genossenschaften oftmals von Solidarität, Gemeinschaft und Kooperation gesprochen. Man benötigt keinen notariell beurkundeten Gesellschaftervertrag wie bei der GmbH und auch das Stammkapital entfällt. Allerdings gibt es auch hier Nachteile. Man muss ins Genossenschaftsregister eingetragen werden und -schlimmer noch- sich der Zwangsmitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband unterwerfen. Hinzu kommt eine Zwangsprüfung zur Gründung und dann alle zwei Jahre, die entsprechend dem jeweiligen Aufwand vierstellige Kosten aufwirft. Weiterhin müssen vom Kern hierarchische Organe gebildet werden (Vorstand, Aufsichtsrat), wobei ein Verzicht auf einen Aufsichtsrat bei unter 20 Mitgliedern möglich ist.
Eine weitere Alternative kann die Gründung eines Vereins sein. Hierfür benötigt man sieben Gründer*innen, wiederum eine Satzung und einen Vorstand. Das Problem des Vereins findet sich in der Abgrenzung zur wirtschaftlichen Tätigkeit. Zwar kann auch ein eingetragener Verein einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb aufweisen, aber vom Grundsatz dienen Vereine nicht dem Einkommenserwerb der Mitglieder, sondern kulturellen, politischen etc. Interessen und dem Gemeinwohl. Bei nicht eingetragenen Vereinen entspricht die Haftung der Mitglieder wieder der der BGB-Gesellschaft.
Was die Wahl der Rechtsform angeht, kann also keine allgemein gültige Empfehlung ausgesprochen werden. Die Entscheidung bleibt gerade für Kollektivbetriebe eine individuelle unter Berücksichtigung der jeweiligen Ziele in Abgrenzung oder Übereinstimmung zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Rechtsform. Nachteile von Rechtsformen, speziell die der Haftung, aber auch Vertretung und Geschäftsführung lassen sich im Betrieb selber durch Binnenverträge intern abfedern, die solidarisches Eintreten füreinander im Haftungsfall regeln, aber eben auch durch die Rechtsform angelegte Hierarchieebenen nach innen einschränken können.
Die Verteilung ist entsprechend bei den interviewten Kollektivbetrieben ebenfalls nicht eindeutig. Ein Einzelunternehmen (aus später zu erläuternden Gründen), zwei BGB-Gesellschaften (tw. weil Geld zur Gründung einer GmbH fehlte), zwei GmbHs, zwei Genossenschaften, mehrere Vereine (bei der Kommune Niederkaufungen mehrere Vereine zu verschiedenen Zwecken der Vermögensverwaltung).
Über die Wahl der Rechtsform hinaus gibt es diverse Probleme, die Ziele solidarökonomischer Betriebe in Einklang mit dem herrschenden Rechtssystem bringen zu wollen. Mögliche Fallen können hier nur exemplarisch aufgrund der geführten Interviews angerissen werden.
Sozialversicherung
Bei fast allen interviewten Kollektiven war dem Wunsch nach Sicherheit bezüglich Krankenversorgung etc. dadurch entsprochen worden, dass alle Personen des Kollektivs sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Teilweise wurden sämtliche dabei entstehende Kosten durch die Kollektive bzw. den Betrieb übernommen.
Versorgung im Alter war hingegen über die gesetzlichen Grundlagen hinaus kaum Thema. Dies beschäftigt eher Kollektive mit älteren Kollektivist*innen bzw. Kommunen, die sich akut damit konfrontiert sehen. Bis zu dem Moment wird die Frage oftmals verdrängt angesichts aktuellerer Probleme.
Entlohnung
Einige Kollektive diskutieren oder testen Bedarfslöhne. Für die Entkoppelung von Leistung und Bedarf gibt es im Grunde keine rechtliche Entsprechung. Eine Entlohnung erfolgt dann über Hilfskonstrukte wie (fiktive) Stundenlöhne oder feste Gehälter (unabhängig von der Arbeitszeit).
Entlohnung bietet weitere Aspekte zur Diskussion. Dem Wunsch nach einem einheitlichen Lohn stehen rechtliche Vorgaben entgegen, dass z.B. Menschen mit (auf dem Papier) höherer Qualifikation oder Verantwortung (Bsp. Meister*innen) mehr verdienen müssen als Menschen mit niedrigerer Qualifikation. In solchen Fällen sind große Systeme, wie beispielsweise die Kommune Niederkaufungen im Vorteil. Die Höhe der jeweiligen Löhne/Gehälter ist dort nicht mehr relevant, weil alle Einnahmen/Einkünfte in einen gemeinsamen „Topf“ der gemeinsamen Ökonomie fließen. Individuelles Vermögen ist dann entsprechend nicht mehr vorhanden.
Erwerb von landwirtschaftlich genutzten Flächen
Im Fall eines Interviewpartners wurde das Problem deutlich, dass der Kauf landwirtschaftlicher Flächen (je nach Bundesland) den Vorgaben unterliegt, dass diese nicht von einem Verein, sondern nur von Gärtner*innen/Landwirt*innen als natürliche Person (deshalb dann die Wahl der Rechtsform Einzelunternehmung, siehe oben) gekauft werden können und der Nachweis über einige Jahre erbracht werden muss, ob eine betriebswirtschaftlich sinnvolle (also Gewinn bringende) Bewirtschaftung erfolgt, bevor der Kauf endgültig wird.
Beratung sinnvoll
Bei Neugründung von Kollektiven gibt es Beratungskollektive, die helfend zur Seite stehen. Zudem ist es sinnvoll, sich mit schon bestehenden Kollektiven zu vernetzen und auf deren Erfahrungen aufzubauen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alternative Ansätze dem Problem unterliegen, sich geltenden Gesetzen unterwerfen zu müssen, die für sie nicht taugen und ihre Handlungsfähigkeit einschränken. Somit muss oftmals auf Umwegen und mit unnötigen Kompromissen gearbeitet werden. Wenn wir davon ausgehen, dass bei vielen solidarökonomischen Betrieben eine herrschaftsfreie Gesellschaft angestrebt wird und damit einhergehend auch die Überwindung des Kapitalismus Fernziel ist, sollte die Ausgestaltung der rechtlichen Zwänge im Außenverhältnis und formaljuristisch zumindest insoweit erfolgen, dass diese Ideale nicht verdrängt, sondern mindestens im Innenverhältnis gelebt werden können.
In der Mehrheitsgesellschaft übersteigen von der Norm abweichende Lebens-, Arbeits- und Selbstorganisierungskonzepte die Vorstellungskraft der meisten Menschen. Unsere Forderung muss dennoch gegen alle Widerstände sein, dass menschlich kooperatives Handeln Zwangsstrukturen nicht unterworfen werden darf. Konzepte von Kollektivbetrieben können der Mehrheitsgesellschaft als Vorbild dienen und in den von der Leistungsgesellschaft und Konkurrenz gehetzten Menschen den Traum wecken, anders leben und arbeiten zu wollen.