(oder: the system is broken)
Was geschah:
Gestern gab es im Landtag NRW unter anderem einen recht knapp gehaltenen Antrag von uns bezüglich Vorratsdatenspeicherung. Der Text lautete:
Der Landtag stellt fest:
Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte der Bürger unseres Landes.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
sich auf allen politischen Ebenen, auf EU-Ebene, im Bundesrat und der Innenministerkonferenz gegen jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.
Natürlich ist das ein Showantrag. Was auch sonst? Es war weitgehend klar, wie da abgestimmt wird. (Das ist es im Parlament übrigens meistens. Leider.)
Das Interessante an diesem Antrag ist aber Folgendes:
Der Antrag ist so originär gar nicht von uns. Er stammt aus Schleswig-Holstein. Von Piraten, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und SSW.
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/1200/drucksache-18-1285.pdf
Der erste Satz unseres Antrages ist original übernommen aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW.
VII.3 Innenpolitik:
„Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte. Deshalb werden wir uns auf Europa- und Bundesebene im Bundesrat und der Innenministerkonferenz gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzen.“
In NRW stimmen nun SPD und Grüne gegen den Antrag von uns. Warum eigentlich? Weil er von uns kommt? Nicht nur. Im Koalitionsvertragim Bund der noch ganz frischen Koalition von CDU und SPD steht zur Vorratsdatenspeicherung:
„Die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten werden wir umsetzen. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“
Die SPD hat sich also an die Vorgaben aus dem Bund gehalten. Die Grünen mussten sich dem anschließen, weil sie zwar gegen Vorratsdatenspeicherung sind (natürlich auch weiterhin), aber versprochen haben, mit dem Koalitionspartner zu stimmen. Das sind also diese „parlamentarischen Zwänge“.
Aus die Maus.
Mir tut sowas weh. Ich möchte nicht gegen meine Überzeugungen handeln und auch nicht dagegen abstimmen. Nicht aufgrund eines wie auch immer ausgestalteten „Fraktionszwangs“, aber es täte mir auch weh im Rahmen einer Zusammenarbeit wie einer Koalition. Sicher gibt es Kompromisse, aber auch die haben halt ihre Grenzen. Zumindest für mich.
Es ist aber ein grundsätzliches Systemproblem. Parlamentarismus führt unweigerlich zum Wunsch nach Macht. Zum Streben, eine Regierung zu bilden oder daran beteiligt zu werden, um etwas bewirken zu können. (Ich denke: Machtstrukturen kann und sollte eins aber immer wieder anzweifeln, hinterfragen, wenn möglich nach anderen hierarchiefreieren Systemen streben. Dem gegenüber steht aber eben diese Macht, die sich selbst erhält und verstärkt und zur Not Widerstände (auch gewaltsam?) beseitigt.)
Ist das im Parlament also alles nur Schein?
(Die Kurzfassung: An vielen Stellen: JA!)
Von Marc-Uwe Kling – Tütensuppentotalitarismus
Da sagt das Känguru: „Ich darf nicht wählen und ich will auch nicht. Der Wahlschein suggeriert Freiheit. Aber in Wirklichkeit: Alles Kapitalismus, alles Nestlé….“
Ich verstehe Nichtwähler*innen. Instinktiv ist Menschen, selbst wenn sie keine Ahnung haben, was so genau in Parlamenten abläuft, klar, dass es eigentlich nur Schein einer Debatte ist. Wenn die Regierungskoalition erst einmal feststeht, sind die Mehrheiten klar und dann sind sämtliche Diskussionen dort zwar mitunter hübsch anzusehen und zu hören, ändern aber genau nichts mehr am Abstimmungsverhalten.
Da werden Stunden zum Haushalt geredet. Das ist durchaus gut für die Nachvollziehbarkeit. An der Abstimmung ändert das aber nichts. Nie. (Oder hat da je nach 12 Stunden Debatte irgendwo irgendeine Regierung mal gesagt: „Ja. So haben wir das noch nie gesehen. Wir machen das jetzt anders.“ Nö. Nie.)
Fazit:
Der geneigte Leser ahnt schon: Auch ich habe da nicht die allumfassende Lösung. Aber: So macht unsere Demokratie für viele Menschen keinen „Spaß“. Sie erfassen, dass ihr Einfluss zu gering ist mit Wahlen alle paar Jahre und resignieren. Weil wir als Wähler*innen nichts bewirken.
Gefährlich daran ist, dass davon oftmals die konservativen Kräfte profitieren. Menschen aus der linken Szene ziehen sich offensichtlich eher aus „dem System“ zurück, an das sie ohnehin nicht glauben.
Spannender wären Debatten, wenn die Mehrheiten fallbezogen immer wieder neu ausgehandelt werden müssten. Wenn man die Behäbigkeit wegnimmt. Wenn dem System die Gewissheit fehlen würde. So aber hängen wir fest in einem Konstrukt aus Koalitionen und Zwängen.
Das Problem: Der gefühlte Wunsch der Deutschen nach Sicherheit. Sicher ist das System unserer „Demokratie“. Aber es ist durchsetzt von Zwängen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
(Ich weiß nicht, ob ich noch erlebe, dass und wie es sich ändert. Weil dieses System auch von Beharrlichkeit ist. Weil es um Besitzstandswahrung geht. Um Posten. Um Geld. Um Macht. Und an der Stelle müssen sich die Piraten nicht vormachen, dass sie in ähnlicher Situation sicher seien könnten, anders zu handeln. Wir haben nur das Glück, bisher nie in einer Regierung zu sein. Wir sind aber nicht per se bessere Menschen.)