That’s what democracy looks like?

Mein sehr subjektiver Bericht zum 21.12. in Hamburg:

Mit mehreren Freund*innen und Kollegen (aus dem Abgeordnetenhaus Berlin und aus dem Landtag NRW) wollte ich für den Erhalt der „Roten Flora“, für das Bleiberecht für Refugees sowie gegen den inakzeptablen Umgang mit den Menschen der „Esso-Häuser“ in Hamburg demonstrieren. Dass das unruhig werden könnte, war mir klar. Wie es dann wirklich war, hatte ich aber nicht voraussehen können.

Wir standen zu Beginn der Demo gegen 15 Uhr an der Seite des ersten Demoblocks, weil wir uns dahinter einreihen wollten. Als die Demo losging, dauerte es keine fünf Minuten bis zur ersten Eskalation. Die Demo kam nur ca. 20 Meter weit, bis die Polizei diese gewaltsam stoppte. Nach meinem Kenntnisstand sowie den Videos dazu ohne für mich erkennbaren Grund. Zu dem Zeitpunkt flogen keine Gegenstände. Auch nicht von der Brücke.

Video:

http://www.youtube.com/watch?v=rvQGQhxfDhc

Auf mich wirkte die Situation so, als sei es nie geplant gewesen, die Demo laufen zu lassen. Die Demostrecke wirkte ungesichert.

Nach dem Angriff der Polizei flogen Gegenstände. Wir haben uns weiter nach hinten zurückgezogen und an die Hauswand gedrückt. Ohne Provokationen aus unserer Ecke stürmte wenige Minuten später ein Trupp Polizist*innen in die Menschenmenge. Das Video ist unter Altersbeschränkung derzeit:

http://www.youtube.com/watch?v=Lu1kM3IEinU

(Ich verlinke die Videos, obwohl ich Probleme habe mit unverpixelten Gesichtern bei Demos.)

Nach der so entstandenen Unruhe begaben wir uns noch weiter nach hinten. (Der Rückzug wär uns überhaupt nur möglich, weil Menschen sich der Polizei entgegenstellten und uns damit Raum und Zeit verschafften!) Dort standen wir eine Weile ziemlich eingequetscht, aber sicher. Wir kämpften uns später weiter bis zur Polizeiabsperrung. Der Kollege versuchte, mit Hilfe seines Abgeordnetenausweises durch zu kommen, was misslang. Eventuell hätte man das an der Stelle diskutieren können, aber da ich ohnehin nicht weg wollte, wenn die restliche Demo das nicht darf, blieben wir. War zu dem Zeitpunkt entspannt, denn es gab offene Geschäfte/Restaurants, so dass wir Essen und Trinken kauften und zur Toilette konnten.

Als die Demo dann irgendwann in die andere Richtung doch nochmal Richtung „Esso-Häuser“ loslief, hielt sich meine Bezugsgruppe etwas abseits. Wir kamen ungehindert bis zur Reeperbahn, ein Transparent gegen Polizeigewalt tragend.

In der Nähe der Esso-Häuser sammelten sich Menschen auf einer Kreuzung. Einige Zeit später wurden wir von rennenden Polizist*innen über den Zaun in der Mitte der Straße auf die andere Straßenseite gejagt. An der Rückwand eines Weihnachtsmarktstandes wähnten wir uns sicher, was nicht lange anhielt. Der nächste Trupp Polizist*innen rannte auf die Menge dicht gedrängter Menschen zu, nun mit Reizgas(?), schubsend, schlagend, schreiend, wir sollten laufen. Wohin eigentlich (vor uns Menschenmengen) und warum? Ich hielt mich mit Kapuzen überm Kopf mit dem Rücken zu den Polizist*innen, um wenigstens das noch nicht ganz heile Auge zu schützen. Dafür dann Tritte(?) oder Schläge(?) kassiert. Leichtes Brennen im Mund. Rennen. Planlos. In einen von Bauzäunen abgetrennten Korridor. Zur Seite raus. Verschnaufen können. Eine junge Frau aus meiner Bezugsgruppe war genau an der Rippe getroffen worden, die schon einmal in Frankfurt durch Polizeigewalt angebrochen war.

Ortskundige warnten davor, dass die Polizei kesseln wolle und retteten uns durch einen Hinterhof (der kurze Zeit später von der Polizei abgesperrt wurde).

Neben uns wurden von Polizeitrupps Menschen verhaftet. Ich sah keinen Grund für dieses Vorgehen. Sie liefen wie wir die Straße entlang. In NRW hätte ich bei den Polizist*innen nachgefragt. Hier traute ich mich nicht, aus Angst vor deren Reaktion, diese überhaupt anzusprechen.

An einem Café mit einer Tafel „No Police -> No Violence“ machten wir eine Pause und erfuhren via Twitter, dass dort, wo wir gerade noch waren, Menschen gekesselt seien. Das blieb dann auch viele Stunden so.

(Ich habe den ganzen Tag das Gefühl, dass wir viel Glück hatten.)

Später fand an der „Hoheluftbrücke“ eine Spontandemo statt. Dort ankommen, rannten schon überall Polizeitrupps durchs Dunkle. Jagten Menschen die Straße entlang oder durch den angrenzenden Park. Wir hielten uns abseits. Unerwartet stürmte Polizei auf uns zu. Einer von uns fragte sie, warum. Keine Antwort. Stattdessen wurden wir wieder geschubst. Und da hatte ich auf einmal richtig Angst. Das Gefühl von Willkür und Hilflosigkeit. Wir retteten uns beim nächsten Angriff der Polizei vor ein Restaurant mit geschlossener Gesellschaft. Wir bekamen trotzdem Tee. Und dort blieben wir eine Weile. Die Menschen feierten einen 50. Geburtstag und erzählten uns von ihren Erfahrungen mit Polizeigewalt. So viel Solidarität gab es überall in Hamburg. Ich bin nicht sicher, wie das im Ruhrgebiet wäre… (Auf der Sponti soll es derweil zu weiteren Ausschreitungen gekommen sein.)

Am Ende der Nacht saß ich heulend in irgendeinem Hauseingang, weil das Gefühl, wehrlos gegen Gewalt (von Polizist*innen) zu sein, plus Erschöpfung die mich überwältigt hat.

Fazit:

Persönlich: Das kaputte Auge ist teilweise stark gerötet. Ich hoffe, das geht wieder ohne Folgen weg. Ein paar blaue Flecken. Sonst körperlich unversehrt.

Gesamt: Krasser Tag. Nicht wegen der Demo, nicht wegen den „Linken“, sondern weil ich verstehe, wie auch bei Demonstrant*innen dieses Gefühl von Willkür, von Angst und Hilflosigkeit und Ohnmacht in Wut umschlagen kann… Ich will keine Gegenstände werfen, aber ich war am Ende des Tages so fertig, dass ich mich nicht mal mehr traute, Polizist*innen anzusprechen. Geschweige denn, laut zu werden. Ich wollte da nur heile raus. Und das ist nicht der Sinn einer Gesellschaft. Dass Demonstrant*innen eingeschüchtert werden, um Protest zu unterbinden. Zumal das in Hamburg dann eben nicht klappt, weil es noch genug wütende Menschen gibt, die nicht aufgeben.

Es gab von Beginn an keinerlei Deeskalationsstrategie der Polizei. Da stehen einem ein so hochgerüsteter Apparat mit vollverkleideten, bewaffneten Polizist*innen und mehreren Wasserwerfern, Räumpanzern etc. entgegen. Das war von Anfang an darauf angelegt, zu eskalieren. Und dies wurde an jeder Stelle gezeigt. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Wie viele verletzte Demonstrant*innen gab es eigentlich?

Am Ende
„Lieber wütend als traurig?“

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