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Keine Angst?!

Über Repression und Traumata und wie wir damit umgehen könnten:

„Wem Polizeigewalt widerfährt, ist allein gelassen!
Egal wie oft ihr es retweetet!

Sollte man wissen!“

Quelle:
https://.twitter.com/lottokoenigin

Aufhänger:Es war dem wohl ein Treffen vorangegangen, bei dem mehrere Menschen anwesend waren, die in Frankfurt/Blockupy im Kessel waren und die bis heute traumatisiert zu seien scheinen. Deren „Bewältigungsstrategie“ scheint teilweise zu sein, nach außen kalt zu reagieren und mit der Bewegung gebrochen zu haben.

Die gehen also vielleicht nie wieder auf eine Demo! Und das kann natürlich ein von Repressionsorganen gewollter Effekt sein.

Beim Antifa-Kongress in Berlin sprach ich bereits mit einigen Menschen über die Problematik der Auswirkungen von Repression und Polizeigewalt und was wir dagegen tun könnten. Ich komme aber erst jetzt dazu, mich in Textform damit zu befassen.

Völlig selbstverständlich ist bei jeder Demo/Aktion rechtliche Unterstützung erreichbar. Da leistet die Rote Hilfe großartige Arbeit und auch auch sonst gibt es gute Strukturen, die EAs (Ermittlungsausschüsse) stellen. Man meldet z.B. Festnahmen dort, kann Kontakt zu Anwält*innen bekommen etc.

Ebenfalls oft im Einsatz sind weiterhin meist Demosanitäter*innen, die erste Hilfe leisten z.B. nach Pfeffersprayeinsatz.

Noch nicht ganz so selbstverständlich, aber auch sehr wichtig, ist emotionaler Support. Belastungen bei Demos/Aktionen können sehr vielfältig sein bis hin zum Trauma mit weitreichenden psychischen Folgen.

Hierzu ein kurzer wissenschaftlicher Exkurs:

„Unter einem Trauma wird ein Ereignis verstanden, dass von jedem Menschen als extrem belastend oder katastrophal erlebt werden würde. Der Betreffende erfährt eine oder mehrere Situationen, in denen er lebensbedrohlichen Ereignissen oder Handlungen ausgesetzt war, durch die er körperlich schwer verletzt wurde oder die seine psychische Integrität bedrohten. Ebenso wird darunter das Miterleben als Zeuge verstanden.“ (S.260ff)

Die individuelle Möglichkeit jedes Menschen, sich auf einschneidende Erlebnisse anzupassen, hängt nicht nur vom „Ausmaß des Traumas“, sondern auch von der „individuellen Belastungsgrenze“ ab.

Mögliche Reaktionen umfassen „Veränderungen auf emotionaler, somatischer, kognitiver Ebene“.
Beispiele: „Angst, Verzweiflung, innere Leere, „Betäubung“, Verwirrung, Anspannung, Hilflosigkeit, verminderte Aufnahmefähigkeit“ plus körperliche Symptome wie „Schlafstörungen, Appetitverlust, Herzklopfen, Schwitzen, Zittern etc.“

Weiterführend kann man noch akute Belastungsreaktion und später auftretende Symptome unterscheiden, aber das führt jetzt zu weit, denke ich.

Interessant sind aber mögliche Folgen, wie „Desinteresse, sozialer Rückzug, Wut, Flash-Backs, Alpträume, Vermeidung ähnlicher Situationen, Teilnahmslosigkeit, Gefühlstaubheit etc.“

Zitate aus: Lieb, Frauenknecht, Brunnhuber: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. München 2008

Was uns helfen kann:

Bezugsgruppen

Im Idealfall habt ihr eine kleine Bezugsgruppe, wenn ihr bei einer Demo seid. Menschen, denen ihr vertraut und die einen ähnlichen Aktionsansatz haben. Die Frage, wie viel man mitmachen möchte, sollte im Grunde vorher geklärt sein, um Konflikte während einer Demo zu vermeiden. Trotzdem kann es auch in eingespielten Teams dazu kommen, dass sich während einer Demo die Stimmung ändert. Seid ehrlich, wenn euch etwas zu viel wird. Seid achtsam und nehmt trotz all des Stresses wahr, wenn es jemandem nicht gut geht mit einer Situation.

In Hamburg zum Beispiel gab es einen größeren, für mich sehr belastenden, Streit am Ende des Tages. Ein Teil meiner Gruppe wollte noch weitermachen. Ein Teil war einfach kaputt, auch von der empfundenen Ohnmacht nach diversen Übergriffen durch vermummte Polizisten (waren da tatsächlich vor allem Männer). Ich war nicht mehr in der Lage, adäquat zu reagieren, habe dann im Grunde resigniert und habe vorgeschlagen, ich könnte einfach alleine weggehen. Das ist natürlich total unvernünftig. Ich habe mich aber in dieser recht belastenden Situation auch nicht wirklich aufgefangen gefühlt. Ich wollte mich nicht dazu drängen lassen, an weiteren Aktionen teilzunehmen. Alleine wollte ich auch nicht sein. Irgendwann habe ich dann halt heulend in einem Hauseingang gesessen bis es wieder ging. Ein Freund war bei mir, aber auch da hat es lange gebraucht, bis er verstanden hatte, wie es mir wirklich geht. Obwohl ich wirklich ganz gut über Gefühle reden kann, ist es mir furchtbar schwer gefallen, in der Situation zu sagen, was los ist.

In der Folge des Erlebten habe ich Monate davon immer wieder geträumt und hatte für längere Zeit (trotz meiner Privilegien mit dem Ausweis) Probleme, mich mit Polizisten auf der Straße auseinanderzusetzen.

Möglicherweise ist das ein generelles Problem beim Umgang mit Emotionen in unserer Gesellschaft. Es ist aber eben manchmal auch eins in der linken Szene, die das durchaus mehr reflektiert als die „Mehrheitsgesellschaft“. Viele sind gerade politisch aktiv, weil sie mit diversen Ungerechtigkeiten nicht klarkommen. Weil sie nicht zusehen wollen, wie Asylsuchende abgewiesen oder sogar vor Grenzen getötet werden. Weil sie Diskriminierung bekämpfen wollen und für eine Gesellschaft, in der Menschen respektvoll miteinander umgehen. Ich kenne deshalb sehr viele empfindsame Menschen, die in der linken Szene politisch aktiv sind. Und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass auch wir, dass auch ich, die Gefühle wegschiebe/n, die uns dabei begleiten. Was das mit uns macht, wenn neben uns ein/e Freund*in weggeknüppelt wird. Was das mit uns macht, wenn jemand von uns von Nazis bedroht oder überfallen wird. Wo reden wir über die Wut, die Traurigkeit, die Angst, die Ohnmacht und Hilflosigkeit?

Was tun?

Es gibt zum Beispiel diese Gruppierungen:

Out Of Action (mit recht klaren Positionen, Strukturen und Grundlagen, weshalb der Name nicht einfach so verwendet werden soll)

Leider sind die Aktivitäten auf der Seite zum Beispiel schon einige Zeit her. Ich weiß aktuell nicht, ob die Gruppen noch alle Bestand haben, frage aber zumindest fürs Ruhrgebiet etc. mal dort nach. (Ergänzung: Es gibt im Ruhrgebiet eine aktive Gruppe. Vielleicht schaffen wir es für kommende Aktionen, das Team für alle besser erreichbar zu machen.)

Im Idealfall wünsche ich mir, dass jede Demo von uns auch ein Team mit Handynummer hat, welches sich um emotionale Unterstützung kümmert. Ich weiß: Wir sind immer zu wenig Menschen. Wir brauchen Menschen für Infogruppen, in Delegiertengruppen, für rechtliche Beratung, zur Bedienung der Ticker, für Pressemitteilungen, welche, die Versammlungen anmelden usw.

Aber immer wiederkehrende Diskussionen zeigen mir, dass wir auch emotionale Betreuung brauchen über den selbstverständlichen, achtsamen Umgang in unseren regelmäßigen Bezugsgruppen hinaus, um die Menschen nicht zu verlieren, die eventuell nicht immer gut vernetzt sind. Aber auch, um es als selbstverständlich zu etablieren, all die Emotionen, die um Aktionen herum entstehen können, auszusprechen, zu thematisieren und nicht zu verdrängen.

„Der Unterschied, auf den es wirklich ankommt, ist nicht der zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern zwischen der Neigung zur Machtausübung und der Abneigung dagegen.“ Orwell